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Die ohnehin rasante Entwicklung Katars dürfte sich durch die Fußball-WM 2022 noch beschleunigen.

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Fußball-WM 2022: Katar - der Schleier lüftet sich

Bis 2022 wird sich Katar stark verändern. Wir haben uns angeschaut, wie es im Gastgeberland heute aussieht – und wie es bei der WM aussehen könnte.

DER FUSSBALL IN KATAR

Die Nationalelf des Landes ist in der Fifa-Weltrangliste gerade vier Plätze abgerutscht, auf den 113. Rang, zwischen die Zentralafrikanische Republik und Thailand. „Die Nationalelf kann gar nicht stark sein, denn es gibt ja nicht viele Kataris“, sagt Dieter Meinhold, der von 2007 bis 2009 Sportdirektor der Ersten Liga Katars war. Meinhold, ehemaliger Manager des Karlsruher SC, kann gut einschätzen, wie stark Katars Fußball ist. „Es gibt zwei, drei Vereine, die in der deutschen Zweiten Liga im oberen Drittel mitspielen könnten“, sagt Meinhold. „Der Rest hat eher unteres Zweit- oder Drittliganiveau.“ In der Zweiten Liga spielen Teams vom Militär und Polizei mit. „Das Militärteam ist topp, die rennen alle anderen in Grund und Boden, da sie den ganzen Tag für Training und Fitness nutzen können“, sagt Meinhold. „In den anderen Mannschaften spielen bis auf einige Ausländer einheimische Amateure.“ Der ehemalige Bundesligatrainer Frank Pagelsdorf ist sich trotzdem sicher, dass Katars Mannschaft bei der Heim-WM eine ordentliche Rolle spielen wird. „Konkurrenzfähig gegenüber der Weltspitze wird Katar sicher nicht sein“, sagt Pagelsdorf, der mehrere Jahre auf der arabischen Halbinsel im benachbarten Dubai gearbeitet hat. „Aber um bei der WM an den Start zu gehen, ordentlich mitzuspielen und sich gut zu präsentieren, wird es reichen.“ Derzeit würden zu diesem Zweck schon marokkanische Spieler eingebürgert. „In zwölf Jahren wird Katar eine vernünftige Nationalmannschaft haben“, glaubt Pagelsdorf.

DIE FANKULTUR

Die Katarer sind wie alle Araber sehr fußballinteressiert. Zusammen mit Kamelrennen ist Fußball die Sportart Nummer eins im Land. Auf die Zuschauerzahlen in den Stadien schlägt sich diese Begeisterung allerdings nicht nieder. Der Katarer verfolgt das Geschehen lieber von der heimischen Couch aus. Alkohol ist in dem muslimischen Land weitestgehend verboten, nur in Hotels und einigen wenigen Bars sind alkoholische Getränke erhältlich. Es ist strikt untersagt, auf der Straße Alkohol zu trinken. Vermutlich würde da auch gar kein Bier schmecken: Bei Temperaturen bis zu 50 Grad wird jedes Kaltgetränk in kurzer Zeit englisch-lauwarm. So werden in den Stadien hauptsächlich Nüsse gegessen, um die Schalen kümmern sich nach Spielschluss Putzkräfte. Fast alle Katarer gehen in traditioneller Bekleidung ins Stadion, trägt doch jemand mal Shorts und T-Shirt, handelt es sich meist um einen Ausländer. Rund 80 Prozent der katarischen Bevölkerung sind Gastarbeiter, nur rund 200 000 Menschen haben auch die Staatsbürgerschaft Katars. Gastarbeiter sind zwar oft nicht gut bezahlt – viel Geld braucht aber niemand, um in Katar ins Stadion zu gehen. Nicht selten ist der Eintritt sogar frei. Das trotzdem kaum Stimmung aufkommen will, liegt auch an der in Katar verbreiteten Unlust zum Singen. Mehr als rhythmisches Klatschen ist selten zu hören.

DIE WM-INFRASTRUKTUR

Die neuen, klimatisierten Stadien werden bis zur WM 2022 problemlos fertig werden. „Die Katarer sind einfach in der Lage, in einer anderen Geschwindigkeit zu bauen, als wir es gewohnt sind“, sagt Frank Pagelsdorf. Zum einen, weil sie leicht billige Arbeitskräfte besorgen könnten. Zum anderen, weil sie auch nachts arbeiten lassen dürften. „Es dürfte maximal ein Jahr dauern, ein Stadion fertigzustellen“, sagt Pagelsdorf. Um die Arenen zu füllen, bedarf es allerdings vieler ausländischer Fans. In das neue Stadion von Al-Shamal sollen 45 120 Zuschauer passen, die Stadt selbst hat aber nur 11 229 Einwohner. Die WM-Spielorte Al-Dayeen (36 592 Einwohner) und Umm Sal (44 177 Einwohner) sind kaum größer. Um alle Besucher aufnehmen zu können, sind rund 140 neue Hotelbauten mit 55 000 Zimmern geplant. Das Hauptaugenmerk liegt dabei aber auf Nobelhotels. Billige Herbergen gibt es derzeit kaum, weil die Nachfrage fehlt: Die Leute, die kommen, haben Geld.

DIE ROLLE DER FRAU

Das hautenge T-Shirt endet weit über der Hüfte, der Bauchnabel ist frei, ein gepiercter Bauchnabel. Die Besitzerin hat blonde Haare, die fast bis zum Gürtel reichen. So kann das aussehen, wenn eine Frau in der Shopping-Mall in Doha, dem riesigen Einkaufszentrum mit der Kunsteisfläche im Erdgeschoss, einkaufen geht. Keine Frau muss sich in Katar verschleiern, keine muss ein Kopftuch tragen. Genauer gesagt: keine Ausländerin. Denn neben der Blondine mit dem knappen T-Shirt schwatzen zwei einheimische Frauen, in schwarze Gewänder gehüllt, die fast bis zum Boden reichen. Die Haare sind selbstverständlich bedeckt.

Locker vom Höcker.
Locker vom Höcker.

© AFP

Katarische Frauen haben immer noch eine Vielzahl von Problemen, sie werden benachteiligt, sie erhalten nicht genügend Schutz bei häuslicher Gewalt und Scheidungen sind erschwert. Aber dahinter gibt es Fortschritte, die den Frauen Zug um Zug mehr Rechte verschaffen. Vor wenigen Jahren noch hingen die Gewänder wie Kartoffelsäcke an den Frauen, jetzt sind die Kleider figurbetont und mit aufgestickten Muster geschmückt. Und seit die Frau des Emirs von Katar bei einem Staatsbesuch in den USA wie unabsichtlich ihr Kopftuch weit nach hinten geschoben hatte, zeigen auch die normalen Frauen von Katar mehr von ihren Haaren. Sie dürfen jetzt auch Auto fahren, bis vor ein paar Jahren war das undenkbar. Für ausländische Frauen gelten die Kleidungsvorschriften nicht. Wer als weiblicher Fußball-Fan die WM verfolgt, braucht kein Kopftuch. Oder höchstens, um sich gegen die Hitze zu schützen.

ein äußerst populärer Sport.
ein äußerst populärer Sport.

© AFP

DIE HITZE

Am Donnerstag hat die Debatte um die extremen Temperaturen in Katar neues Futter bekommen. Peter Velappan, der ehemalige Generalsekretär des Asiatischen Fußball-Verbands (AFC), forderte eine Verlegung der WM 2022 in den Winter, wie es schon Franz Beckenbauer vorgeschlagen hatte. Velappan plädierte dafür, das Turnier wegen der großen Hitze aus dem Sommer auf die Monate Januar oder Februar vorzuziehen. Velappan sagte, es sei „keine Lösung“, die Stadien und Trainingsplätze mit Klimaanlagen herunterzukühlen und warnte, dass einige europäische Mannschaften das Turnier wegen der Hitze sogar boykottieren könnten. Fifa-Präsident Joseph Blatter wies den Vorstoß zunächst zurück: „Die Basisausschreibung spricht gegen eine Winter-Weltmeisterschaft in Katar. Die Bedingungen waren, dass die WM 2018 und 2022 anhand des bestehenden internationalen Kalenders im Juni und Juli ausgetragen werden müssen.“ Gleichzeitig hielt sich der Chef des Weltfußballs eine kleine Hintertür offen. „Aber es sind ja noch zwölf Jahre bis 2022“, sagte Blatter und verwies auf ein globales Thema: „Man weiß ja nicht, was auch mit dem Klima noch passieren kann.“

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