zum Hauptinhalt
Franz Beckenbauer hat im Fußball alle Erfolge errungen. Als Spieler und Teamchef wurde er Weltmeister mit der deutschen Nationalmannschaft, dann organisierte er erfolgreich die WM 2006 in Deutschland.

© ddp

Franz Beckenbauer: "Der Fußball ist ein Feld von Gauklern"

Franz Beckenbauer hat die WM schon als Spieler, Trainer und Organisator gewonnen. Im Interview erzählt er, wie sich das Spiel und sein Leben verändert haben – und warum er kein Internet braucht.

TAGESSPIEGEL: Herr Beckenbauer, haben Sie schon einmal in eine Vuvuzela geblasen?

FRANZ BECKENBAUER: Ja, da kamen sogar ein paar Töne raus. Man muss den Mund ganz dicht an die Tröte halten und pressen. Mein Sohn hat mir das verraten. Er spielt Trompete, da blase ich hin und wieder hinein. Ich habe ihm ein paar Vuvuzelas aus Südafrika mitgebracht, er spielt darauf in den unterschiedlichsten Tönen. Unsere Nachbarn freuen sich.

TAGESSPIEGEL: Ihnen scheint immer alles zu gelingen. Worüber können Sie sich noch freuen?

FRANZ BECKENBAUER: Ich fühle Dankbarkeit. Das Verhältnis zu meinen Kindern ist anders geworden. In meiner ersten Ehe habe ich das Aufwachsen meiner Kinder leider gar nicht richtig mitbekommen, ich war viel zu jung und weit weg. Rund um die WM 2006 hatte ich sieben, acht Jahre intensivsten Schaffens, jetzt mache ich weniger. Wenn früher etwas war, sind die Kleinen zur Mutter gerannt. Ich war ja fast nie da. Jetzt kommen sie auch schon einmal zu mir, wenn sie etwas wollen.

TAGESSPIEGEL: Was wollen sie denn?

FRANZ BECKENBAUER: Manchmal möchten sie etwas wissen oder einfach nur spielen. In unserem Haus gibt es einen Gang zur Küche, das ist jetzt unser Fußballplatz. Wir haben da zwei Tore – die Küchentür und mein Büro. Die machen wir auf, und dann rollt der Ball, bis es in meinem Büro scheppert oder in der Küche ein paar Gläser umfliegen.

TAGESSPIEGEL: Spielen Ihre Kinder auch Fußball am Computer?

FRANZ BECKENBAUER: Die Kleinen spielen Fifa-Manager. Mein Sohn ruft dann: Papa, Bayern hat wieder 8:0 gewonnen. Aber wenn wir ins Stadion gehen, sieht er: So einfach ist das nicht. Ich lehne Computer und die technischen Dinge eher ab.

TAGESSPIEGEL: Keine Lust, mal ins Internet zu gucken?

FRANZ BECKENBAUER: Ich brauch das nicht. Sehen Sie, mein Assistent schaut andauernd in seinen Blackberry, um E-Mails zu lesen. Wir waren in Moskau und in Abu Dhabi, aber er hat fast gar nichts gesehen. Vom Flughafen bis in die Innenstadt schaut er pausenlos auf sein Gerät, Nachrichten checken. Ich schaue zur selben Zeit aufs Meer hinaus, entspanne mich, meine Gedanken fließen. Was bitte schön ist wichtiger? Wozu brauche ich diese ganzen Informationen? Was soll ich mit denen machen?

TAGESSPIEGEL: Verarbeiten, weitergeben ...

FRANZ BECKENBAUER: Aber das interessiert ja niemanden.

TAGESSPIEGEL: Die Informationen, die Sie weitergeben, interessieren offenbar viele Menschen.

FRANZ BECKENBAUER: Ist das so? Das wäre komisch.

TAGESSPIEGEL: Haben Sie Geheimnisse, die Sie für sich behalten?

FRANZ BECKENBAUER: Ich? Über mich steht doch alles in der Zeitung.

TAGESSPIEGEL: Können Sie sich vorstellen, dass es jemanden gibt, der Sie nicht kennt?

FRANZ BECKENBAUER: Ach, da gibt es sicher welche. (macht eine Pause) Obwohl … kennen tut man mich vielleicht schon. Auch wenn manche nur sagen: Ach, das ist doch der Franz aus dem Fernsehen. Gerade junge Leute fragen: Ich habe Sie in der Werbung gesehen, was machen Sie eigentlich wirklich?

TAGESSPIEGEL: Was antworten Sie denen?

FRANZ BECKENBAUER: Ich frage zurück: Wo habt ihr mich denn gesehen? Ich weiß doch gar nicht so ganz genau, wo ich im Moment zu sehen bin, ich schaue nicht viel Fernsehen.

TAGESSPIEGEL: Haben Sie noch nie einen Tatort geguckt?

FRANZ BECKENBAUER: Nein. Ich schaue höchstens Fußball. Ich habe überhaupt keine Ahnung, wie die ganzen Schauspieler heißen. Meine Stars waren noch Frank Sinatra, John Wayne, Clint Eastwood …

TAGESSPIEGEL: Was interessiert Sie überhaupt noch?

FRANZ BECKENBAUER: Gerade sind es Kinderfilme: Wickie und die starken Männer. Drachenzähmen leicht gemacht. Das ist ein Film in 3-D, da fliegen die Drachen an einem vorbei und man muss in Deckung gehen, damit dich keiner trifft.

TAGESSPIEGEL: Wenn Sie einem Kind beschreiben müssten, wer Sie sind: Was würden Sie sagen?

FRANZ BECKENBAUER: Weiß ich nicht, das sollen andere machen. Ich kann nur sagen, wie ich nicht beschrieben werden möchte: Ganz am Anfang meiner Karriere als Fußballer hat mal jemand geschrieben, ich sei arrogant. Dieses Klischee ist mir lange hinterhergelaufen.

TAGESSPIEGEL: Wie lange wollen Sie eigentlich noch Fußballexperte sein?

FRANZ BECKENBAUER: Ich mache es gerne und verstehe etwas davon, ein Spiel zu analysieren und zu charakterisieren. Wenn mich das Fernsehen nicht einladen würde, würde ich natürlich nie nach Barcelona fahren, um mir ein Spiel gegen Chelsea anzuschauen. Im Fernsehen wird der Sport ganz anders präsentiert. In den Sechzigern gab es nur eine Kamera, heute kannst du jeden Grashalm in Zeitlupe betrachten. Durch das 16:9-Format denkt man, dass da nur Sprinter unterwegs sind. Wenn man im Stadion ist, sieht man, dass die auch nicht schneller sind als wir früher.

TAGESSPIEGEL: Wenn das Spiel läuft und die Fernsehzuschauer Sie nicht sehen, starren Sie meist gedankenverloren auf den Rasen.

FRANZ BECKENBAUER: Im Stadion stehe ich meistens, da kann ich besser sehen. Ich konzentriere mich voll auf das Spiel. Wenn es spannend ist, kann man eine Blaskapelle neben mir spielen lassen, die höre ich nicht.

TAGESSPIEGEL: Woher nehmen Sie eigentlich Ihre Gewissheiten über den modernen Fußball? Vergleichen Sie das Gesehene einfach mit Ihren früheren Erlebnissen als Fußballer oder Trainer?

FRANZ BECKENBAUER: Ich bekomme schon mit, wie sich der Fußball verändert. In den Sechzigern und Siebzigern wurde weniger miteinander gespielt, jeder hat den Ball genommen und ist losgelaufen. Nach ein paar Zweikämpfen und 30 Metern hat man mal abgegeben. Wir haben noch mit einem Lederball gespielt. Wenn es geregnet hat, war der fünf Kilo schwer. Beim Kopfball hat man sich eine Gehirnerschütterung geholt. Heute gibt es Kopfbälle, da fliegt der neue Ball 50 Meter weit.

TAGESSPIEGEL: Wird der Fußball irgendwann zu weit fliegen?

FRANZ BECKENBAUER: Der Fußball ist ein Feld von Gauklern geworden: Spielervermittler, wohin man schaut, Profitmacher. Man kann viel Geld verdienen, man kann sofort berühmt werden. Da will natürlich jeder mitmachen.

TAGESSPIEGEL: Jeder Streit im DFB wird mittlerweile behandelt wie eine Staatskrise.

FRANZ BECKENBAUER: Manchmal ist es kaum zu glauben. Zuletzt ist der DFB überrollt worden von der Schiedsrichter-Geschichte. Aber hinterher ist man immer schlauer. Die geplatzte Vertragsverlängerung mit Joachim Löw war natürlich unglücklich. Es wäre besser gewesen, wenn das einvernehmlich gelöst worden wäre.

TAGESSPIEGEL: Jetzt muss der Bundestrainer seine Mannschaft mit einem wackligen Arbeitsvertrag in die WM führen.

FRANZ BECKENBAUER: Na und? Ich war sechs Jahre lang Teamchef der Nationalmannschaft und hatte nie einen Vertrag. Hermann Neuberger hat immer zu mir gesagt: Herr Beckenbauer, sie müssen endlich den Vertrag unterschreiben. Da habe ich gefragt: Wozu brauchen wir einen Vertrag? Wenn ich nicht mehr will, sage ich Ihnen das rechtzeitig. Und wenn Sie nicht mit mir zufrieden sind, sagen Sie mir das auch. Dann geben wir uns eben die Hand, und fertig. Für was brauche ich denn als Trainer einen Vertrag? Um mich abfinden zu lassen? Davon haben nur die Anwälte etwas.

TAGESSPIEGEL: Sie haben als Spieler und Trainer den Weltmeistertitel gewonnen und danach noch die WM 2006 organisiert. Gibt es ein Geheimnis für ein erfolgreiches Turnier?

FRANZ BECKENBAUER: Ohne Fleiß, Disziplin und Ordnung geht nichts, auch bei einer WM-Bewerbung. Wir Deutschen müssen härter arbeiten als andere. Wir waren nie Künstler wie die Brasilianer auf dem Rasen.

TAGESSPIEGEL: Ist die deutsche Nationalmannschaft von Joachim Löw ehrgeizig genug für den Titel?

FRANZ BECKENBAUER: Ohne Michael Ballack wird es schwer. Nun ist unsere Mannschaft geschwächt und die Spieler müssen das Beste aus dieser Situation machen. Schauen Sie sich die Spanier an, die spielen gerade wie eine geniale Mannschaft. Sie verschieben die Räume perfekt, da ist jeder Schritt abgestimmt. Und mit den Brasilianern muss man immer rechnen. Alle anderen sind auf ähnlichem Leistungsniveau, deshalb müssen wir hart arbeiten, um überhaupt ins Halbfinale zu kommen

TAGESSPIEGEL: Ohne treffsichere Stürmer?

FRANZ BECKENBAUER: Naja, Lukas Podolski hat früher bei den Bayern auch wenig getroffen – kaum war er mit der Nationalmannschaft unterwegs, hat er Tore geschossen. Bei Miroslav Klose und Mario Gomez ist es ähnlich Und … (Beckenbauers Handy klingelt) … Wer ist das denn? … (Eine SMS ist angekommen) … Ah, Dietmar Hopp. Ein ganz feiner Kerl.

TAGESSPIEGEL: Viele halten Investoren wie Dietmar Hopp auch für Gaukler.

FRANZ BECKENBAUER: Ach, Dietmar Hopp schiebt in Hoffenheim nur alles an und zieht nichts raus. Dietmar Hopp bleibt bescheiden, achtet auf seinen Freundeskreis, auch wenn der nicht gerade klein ist – jeder will natürlich dabei sein.

TAGESSPIEGEL: Ist Geld das Geheimnis des modernen Fußballs?

FRANZ BECKENBAUER: Geld ist natürlich ein Reizmittel. Als wir im Europapokal gespielt haben, war die Siegprämie bei 10 000 Mark angesetzt. Das war für uns wahnsinnig viel Geld, da sind wir gerannt wie die Osterhasen.

TAGESSPIEGEL: Birgt der Fußball für Sie noch irgendetwas Neues?

FRANZ BECKENBAUER: Der Fußball hat eine neue Kraft entwickelt. Wenn heute eine Milliarde Menschen zusehen, bringt das Spiel bei Kriegen sogar die Waffen zum Schweigen. Die Entwicklung der Menschheit besteht nur aus Eroberungen, Plünderungen, Kriegen. Jahrhundertelang gab es nichts anderes. Ich bin Jahrgang 1945, wir haben noch auf zerbombten Fußballfeldern gespielt. Auch heute gibt es zu viel Unruhe auf der Welt. Bei einer WM kann man das hoffentlich einmal vergessen.

TAGESSPIEGEL: Als Fußballer waren Sie ein Rebell, jetzt wirken Sie wie ein netter Opa.

FRANZ BECKENBAUER: Ach, ich bin gelassener geworden. Schauen Sie mich an: Der Spiegel dokumentiert meinen Verfall. Wenn mir jemand meine alten Autogrammbilder schickt, denke ich: Wie sich ein Mensch verändern kann, mein Gott.

Das Gespräch führte Robert Ide.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false