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Guten Morgen Deutschland! Mit einem freundlichen Tröööt werden die etwa 350 deutschen Fans im Camp auf dem Gelände der Tshwane Universität begrüßt.

© ddp

Außentermin: Deutsche Fans: Wie die Feuerwehr

Die deutschen Fans folgen ihrem Team überallhin – auch nach Südafrika. Ihre Geschichten verleihen der durchgestylten Weltmeisterschaft ihren Charme. Ein Besuch im Fancamp.

Oliver Bierhoff hat einen Traum. Seit 24 Jahren arbeitet er in der Fußballbranche, er kennt den Geruch von Gras und Kabinen in den Stadien, aber die Dinge hinter der Kreidelinie sind ihm merkwürdig fremd geworden. „Eigentlich“, sagt Bierhoff und denkt kurz nach, „eigentlich müsste ich mir eine Perücke auf den Kopf setzen und wie früher in ein Stadion gehen.“ Die Gesänge, die Gerüche, all die Geschichten. Bierhoff, 42, lächelt. Er scheint Gefallen an diesem Gedanken zu finden.

Der Manager der Nationalmannschaft sitzt an einer Biertischgarnitur hoch über den Häusern von Pretoria, über ihm hängt eine schwarz-rot-goldene Flagge an der Zeltdecke. Bierhoff ist zu Gast auf dem Universitätsgelände der Stadt. Dort haben die deutschen Anhänger ihr Quartier aufgeschlagen, im DFB-Fancamp. Und was Bierhoff hier in diesem Bierzelt hört, „das find ich echt klasse“, sagt er und schüttelt lachend den Kopf. „Oder verrückt.“ So genau weiß er das nicht.

300 Fans haben die Studentenzimmer gemietet, für 55 Euro die Nacht. Es gibt eine Leinwand im Zelt, einen Wachdienst, eine Theke aus Deutschland und keinen Kühlschrank im Zimmer, aber egal, das Bier kühlt wunderbar nachts auf dem Balkon. Einsfünfzig kostet die Flasche. Und was sie hier für Geschichten erzählen! Da sind zum Beispiel Ronnie, 32 Jahre alt und Maschinenbauer, und Manuel, ein 30 Jahre alter Heilpädagoge. Sie sind vor drei Monaten in Bielefeld aufgebrochen, in einem alten Feuerwehrauto, das sie ersteigert haben und das nicht mehr schafft als 90 Stundenkilometer. „20 000 Kilometer unterwegs“, sagt Ronnie. In Afrika ist ihr Lieblingsklub Arminia Bielefeld jetzt so populär wie Chelsea London, sie haben nämlich tausende Aufkleber dabei. Und das Arminia-Logo pappt nun an jeder Straßenlaterne zwischen Kairo und Kapstadt.

Geschichten haben sie alle zu erzählen, die so einer durchgestylten und überdrehten WM erst den gewissen Charme verleihen. Auf dem Hügel über Pretoria wird das Milliardenturnier geerdet. „Südafrika ist kein Turnier für Eventfans“, sagt Michael Gabriel, der Chef der Koordinationsstelle der Fanprojekte. Mit einem Team von Sozialarbeitern ist er hier, kümmert sich mit dem DFB um das Häufchen Deutscher. Im Charterflieger ging es nach Durban und Port Elizabeth, in fünf Bussen fahren sie am Mittwoch nach Johannesburg – fast so als wären sie auf der A2 bei Helmstedt und nicht auf den staubig-breiten Asphaltpisten von Südafrika.

Ronnie und Manuel aus Bielefeld fahren einen ausrangierten Feuerwehrtruck. Sie sind rund 20.000 Kilometer nach Pretoria gefahren.
Ronnie und Manuel aus Bielefeld fahren einen ausrangierten Feuerwehrtruck. Sie sind rund 20.000 Kilometer nach Pretoria gefahren.

© André Görke

Zu teuer, zu kalt, zu unsicher, zu weit weg. Das alles hat Gabriel oft gehört über die Weltmeisterschaft: „Wer hierher reist, ist Abenteurer.“ Vielleicht so wie bei der WM 1986 im heißen und unsicheren Mexiko, vielleicht aber auch wie 2002 in Asien. Jene WM war auch teuer, die Fans konnten nicht mal die Schrift in der U-Bahn lesen. Viele „Allesfahrer“ waren damals dabei, mehr Lob geht nicht in der Fanszene. „Ich“, erzählt Jürgen aus Ludwigsburg und holt aus: „Ich habe die letzten zehn Weltmeisterschaften mitgemacht und …“ – da wird er auch schon unterbrochen, „sonst sitzen wir ja noch in zwei Wochen hier“, knurrt ein Fan.

Warum sie hier wohnen und nicht unten in der Stadt? Ach, hier sind die Preise nicht so versaut, sagt Robert, 27, aus Chemnitz. Und man hat’s auch bequem. Nebenan ist ein Fußballplatz, die Häuschen gelten als sicher, wer will, kann mit dem DFB auch zu Touri-Zielen rollen. Alle anderen können bis in die Nacht fachsimpeln und die kernigsten Auswärtsstorys beim Pils auftischen, aber nur bis 2 Uhr. Dann ist Nachtruhe im Quartier. Das gilt im Speziellen und ganz ausdrücklich für Ralf, 48, aus Heilbronn. Der ist mit einem vier Meter langen Alphorn angereist („im Handgepäck“), und Ralf tönt: „Sollen die hier alle auf ihrer Tröte rumspielen, ich habe eine Big Vuvuzela.“ Im deutschen Fanblock wurde ein Vuvuzela-Verbot durchgesetzt, „bei uns wird gesungen“, muffelt einer. Und wenn man so die stattlichen Schränke am Flughafen von Port Elizabeth gesehen hat, glaubt man ihnen das auch sofort.

Bierhoff sitzt noch immer an der Biertischgarnitur, er fühlt sich sichtlich wohl, doch plötzlich droht Ärger. Ein Fan schimpft: Wir sind soweit gereist, ständig sabbelt ihr vom zwölften Mann, „wir wollen mal die Mannschaft sehen“! Geraune im Bierzelt, Bierhoff entscheidet sofort, unverzüglich: „Klar, ihr kommt rein zum Training.“ Spontaner Applaus brandet auf.

Später entschuldigt sich der Fan leise bei Bierhoff. „Ich habe Sie nicht gesiezt, dafür habe ich eben einen Rüffel bekommen und …“ – Bierhoff haut ihm ganz kumpelmäßig auf die Schulter: „Du, damit habe ich echt kein Problem.“

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