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Schön ist es im Velmore Grande’ Hotel - und exklusiv.

© ddp

Nachspielzeit mit Harald Martenstein: Mitte im Nirgendwo

Tagesspiegel-Autor Harald Martenstein fühlt sich im DFB-Quartier an Big Brother erinnert. Dabei soll das Hotel "Velmore Grande" in den kommenden Wochen der geistige Mittelpunkt von Deutschland sein.

Ich bin in Afrika, endlich, wie einst mein Vorbild Hemingway. Afrika ist eine endlose Weite aus Highways, Kreisverkehren, Vororten und Shopping Malls. Ohne die Hilfe der Eingeborenen bist du verloren und findest keinen Parkplatz. Sie lieben die Deutschen. Jeder Afrikaner kennt mindestens drei deutsche Wörter, „Computer“, „Euro“ und „Beckenbauer“.

Die deutsche Mannschaft ist mitten in der Savanne untergebracht, an einem Ort, der „Velmore Grande’ Hotel“ heißt. Warum der Apostroph? Der schwarze Kontinent gibt seine Rätsel nicht preis. Viele haben über die Rückspiegel ihrer Autos eine Art Kondom gestreift, in den Landesfarben. Die Kondome auf dem Rückspiegel sollen verhüten, dass es mit Afrika rückwärts geht statt vorwärts. Und bei einem Turnier gilt sowieso die Devise: Schau nicht zurück. Schau immer nur auf das nächste Spiel.

Das Hotel mit dem Apostrophen ist in den kommenden Wochen der geistige Mittelpunkt von Deutschland. Kann es sein, dass in diesem verdammten Jahr vielleicht doch noch etwas für Deutschland Positives geschieht? Jeden Tag hängen in dem Hotel fünfundzwanzig Prozent der deutschen Journalisten herum. Sie kommen jeden Tag hierher und hoffen darauf, dass etwas passiert. Aber was soll schon passieren? Die Wahrheit liegt auf dem Platz, und der Platz ist anderswo.

Plötzlich: Franz Beckenbauer tritt auf. Die Stühle im Konferenzraum sind mit schwarzen, roten und goldenen Bezügen geschmückt, es gibt auch eine Bierbar. Beckenbauer wird gefragt, wie es um die Chancen der Deutschen steht. Er sagt: „A bissel a Glück brauchst.“ Dann wird ihm erzählt, dass Michael Ballack in Chelsea gefeuert worden ist. Beckenbauer sagt: „Er ist ja nicht mehr der Jüngste. Wie alt isser? Vierunddreißig?“

Die ausländischen Reporter, die natürlich alle wegen Beckenbauer gekommen sind, finden ihn bezaubernd. Beckenbauer muss Ballack nichts mehr beweisen. Ein Franzose sagt: „Beckenbauer und Platini, das ist wie Obama und Bush.“

Quer durch den geistigen Mittelpunkt von Deutschland verläuft eine Art Mauer, dahinter leben die Stars, die Fußballer. Es ist in dem Hotel wie beim „Big Brother“-Camp, der Reality Show, wo es auch eine Barriere quer durch die Wohnung gab, auf der einen Seite lebten Unter-, auf der anderen Seite Überprivilegierte. Manchmal dürfen ein paar Journalisten auf die andere Seite, vor allem Fernsehleute. Ein Tor tut sich auf, der Torhüter lässt jemanden ein. Die Fernsehleute haben neben dem Hotel, auf einer dafür plattgemachten Blumenplantage, ein riesiges Feldlager errichtet. Jeder Sender hat mindestens 250 Mann geschickt.

Wozu braucht man so viele Fernsehleute? Die Kameras machen sowieso alles automatisch. Es kommt doch eh alles im Internet. Vielleicht sind es Ein-Euro-Jobber. Über der Savanne, den Shopping Malls und den Fernsehleuten sinkt nun blutrot die Sonne Afrikas. Jetzt warten natürlich alle auf den ersten Auftritt der deutschen Mannschaft.

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