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Einer von 36. Der Herthaner Walter Schilling liegt in Maissemy begraben.

© Uwe Zucchi/Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge

Fußballer im Ersten Weltkrieg: Wo die vergessenen Herthaner begraben sind

Zum 125. Vereinsjubiläum will Vorstand Ingo Zergiebel "vergessenen Herthanern ihre Namen zurückzugeben". Er hat sich auf die Suche nach den Spielern gemacht, die im Ersten Weltkrieg fielen.

Der Karfreitag des Jahres 1937 war in Berlin ein trister, grauer Tag, trüb und regnerisch. Das passte zu der Veranstaltung an der Plumpe, dem Stadion von Hertha BSC. Die Honoratioren des Vereins hatten sich dort versammelt, dazu Vertreter von SA und SS, um ein Denkmal für die Spieler Herthas zu enthüllen, die im Ersten Weltkrieg gefallen waren: „Unseren gefallenen Helden“, stand auf dem Sockel des steinernen Denkmals, das von einem SA-Obersturmbannführer entworfen worden war. Hanne Sobek, ehemaliger Nationalspieler des Vereins und zu Beginn des Jahrzehnts zweimal Deutscher Meister mit Hertha, verlas die Namen der Toten, 36 insgesamt.

Die Plumpe, Herthas altes Stadion am Gesundbrunnen, steht längst nicht mehr, auch nicht das Denkmal für die gefallenen Soldaten. Es gibt noch Fotos von diesem Denkmal mit den 36 Namen der Gefallenen auf dem Sockel und ihren Todesdaten. Ingo Zergiebel hat sie sich oft genug angeschaut, hat versucht, die Namen und Daten zu entziffern. Keine Chance.

Zergiebel, 52, ist selbst Soldat, Hauptmann und Personalratsvorsitzender beim Kommando Territoriale Aufgaben in der Julius-Leber-Kaserne in Wedding. Und er ist Herthaner, war Mitglied des Vereinsgerichts und gehört seit vielen Jahren dem Vorstand der Fußballabteilung an. Anfang des vergangenen Jahres hat er mit einer Recherche angefangen, von der er heute sagt: „Ich hätte nicht gedacht, dass das so umfangreich wird.“

In diesem Sommer feiert Hertha BSC seinen 125. Geburtstag. Zu diesem Jubiläum hat es sich Zergiebel zur Aufgabe gemacht, „vergessenen Herthanern ihren Namen zurückzugeben“. Jungen Männern, die womöglich im August 1914 wie so viele im nationalen Überschwang jubelnd in den Krieg gezogen sind und deren sterbliche Überreste jetzt seit hundert Jahren in Massengräbern in Frankreich, Belgien oder Russland liegen.

Zergiebel hat es weitgehend geschafft, die Herthaner der Vergessenheit zu entreißen. Nicht allein natürlich. Vor allem der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge mit seiner Expertise hat ihm entscheidend geholfen, dazu die Senatsverwaltung. Dem Volksbund ist es tatsächlich gelungen, die 36 Namen zu ermitteln. In der Bibliothek der Sporthochschule Köln hat er eine Festschrift zum 25-jährigen Bestehen des Verbands Brandenburgischer Ballspielvereine e.V. aus dem Jahr 1922 aufgetrieben, in der die Kriegsgefallenen aller Klubs des Verbands aufgeführt sind, auf Seite 203 auch die vom „Berliner Fußballklub Hertha 1892“.

Es sind die Namen, die auch auf dem Denkmal-Sockel an der Plumpe standen, in zwei Spalten untereinander, chronologisch angeordnet nach dem Datum ihres Todes: von Erich Frey, der am 11. Oktober 1914 bei Iwangorod gefallen ist, bis Bruno Gnieser, der drei Tage vor dem Waffenstillstand am 9. November 1918 ums Leben kam. Die Senatsverwaltung hat mit diesen Namen in ihren Archiven weiter recherchiert, hat anhand der Personenstandsurkunden die Geburtsdaten ermittelt, mit denen wiederum der Volksbund die Grabstellen identifizieren konnte. Nur in sechs Fällen ließ sich nicht ermitteln, wo die Herthaner begraben liegen, weil deren Namen zu oft vorkamen; bei einem weiteren gab es keinen Eintrag des Volksbundes.

Wer waren die Herthaner, die 1914 für den Kaiser ins Feld zogen?

Ende Juni wird das Präsidium des Fußball-Bundesligisten zu einer mehrtägigen Reise an die Stätten des Ersten Weltkriegs im Westen aufbrechen. Für den 2. Juli ist eine Gedenkveranstaltung auf der Kriegsgräberstätte Noyers-Pont-Maugis im Nordosten Frankreichs geplant. Fast 27 000 deutsche Soldaten sind hier begraben, einer von ihnen ist der Herthaner Max Swensen, der fast auf den Tag genau hundert Jahre vor der Gedenkveranstaltung am 25. Juni 1917 gefallen ist. Swensen war 22 Jahre alt.

Man könnte noch weiter recherchieren. Wer waren die Herthaner, die 1914 für den Kaiser ins Feld zogen? Was haben sie vor dem Krieg getan? Welche Rolle haben sie bei Hertha gespielt? Waren Sie am 4. Mai 1910 dabei, als Hertha Southend United mit 3:1 besiegte, beim angeblich ersten Sieg einer deutschen Mannschaft gegen eine englische? Aber wer soll davon noch berichten können? Der jüngste der gefallenen Herthaner war 17. Die meisten dürften keine direkten Nachfahren gehabt haben. Von zwei der Gefallenen hat die Senatsverwaltung Heiratsurkunden gefunden. Vielleicht hatten sie Kinder, aber auch die dürften längst tot sein und ihre Väter kaum gekannt haben.

Erst in der vergangenen Woche ist eine Mitarbeiterin des Klubarchivs auf einen der sechs Herthaner gestoßen, die anhand ihres Namens bisher nicht eindeutig identifiziert werden konnten. Bei Richard Voigt handelt es sich offenbar um Rieke Voigt, einen beliebten Mittelstürmer der Vorkriegszeit, der im Sommer 1915 im Alter von 29 Jahren gefallen ist. Schon kurz darauf, am 15. August 1915, veranstaltete der Verein ein Wohltätigkeitsspiel für die Hinterbliebenen Voigts. Bei strömendem Regen gewann Hertha 5:1 gegen Weißensee 1900. Nach dem Krieg benannte Hertha zu Ehren des gefallenen Spielers sogar einen Sportplatz an der Schönhauser Straße in Rosenthal nach ihm. Der Richard-Voigt-Sportplatz, 1927 für 65 000 Reichsmark erworben, musste nach dem Zweiten Weltkrieg einer Kleingartenkolonie („Am Anger“) weichen, für die Hertha bis heute eine Pacht bezieht.

Auf dem Denkmalsockel steht Voigts Name an zehnter Stelle, zwischen Albert Neuendorf (gefallen am 23. Juni 1915) und Erich Mahlow (8. Juli 1915). Sein Todesdatum ist nicht zu entziffern, es deutet aber einiges darauf hin, dass er am 3. Juli gefallen ist. Zergiebel hofft, mit den neuen Erkenntnissen nun auch noch sein Grab ausfindig zu machen.

Auf dem Friedhof Sailly-sur-la-Lys liegt Georg Löwenthal begraben, gefallen am 19. August 1918, mit knapp 20 Jahren. In Block 5 steht ein Kreuz mit seinem Namen. Die Recherchen haben allerdings ergeben, dass Löwenthal jüdischen Glaubens war. Deshalb soll sein Grab am 3. Juli eine jüdische Grabstele mit einem hebräischen Spruch erhalten – im Beisein der Delegation von Hertha BSC.

Ingo Zergiebel hat im Februar an Löwenthals Grab gestanden. Er hat eine blauweiße Schleife um das Kreuz gelegt und einen kleinen Davidstern aus Holz in den Rasen gesteckt. Neun Soldatenfriedhöfe in Frankreich und Belgien hat er mit Vertretern des Volksbundes besucht; zwölf Herthaner liegen auf diesen Friedhöfen begraben, manche im Einzelgrab, andere in Massengrabstätten mit zehntausenden anderer Toten. „Wenn man wirklich an einem Grab steht, wenn man den Namen liest, den man gesucht hat, weiß man: Der Aufwand hat sich gelohnt“, sagt Ingo Zergiebel. „Das hat wirklich was von Wiedergefunden.“

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