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Hans Wilhelm Gäb, ehemaliger deutscher Tischtennis-Nationalspieler und Spitzenfunktionär, gab seinen Olympischen Orden aus Protest gegen die IOC-Entscheidung zurück.

© Andreas Gebert/dpa

Ex-Sportfunktionär Hans Wilhelm Gäb: „Thomas Bach schadet dem Sport“

Der frühere Sportfunktionär Gäb kritisiert im Interview die Rolle des IOC und seines Präsidenten im Fall Russland. Am Dienstag hatte Gäb seinen Olympischen Orden aus Protest zurückgegeben.

Von Ronja Ringelstein

Herr Gäb, Sie haben Ihren Olympischen Orden zurückgegeben. Mit der Begründung, dass Sie nicht die Auszeichnung einer Organisation tragen möchten, die die Ideale des Sports verrät. Inwiefern hat das IOC das getan?
Dem IOC liegen eindeutige Beweise für kriminelles Doping in Russland vor. Und diese kriminelle Aktivitäten des Russischen Olympischen Komitees sind unterstützt worden vom russischen Geheimdienst und offiziellen Institutionen. Das hat ja die Wada selbst ermittelt.

Im sogenannten McLaren-Report der Welt-Antidoping-Agentur.
Genau. Und die schlimmste Kriminalität, die es im Sport überhaupt geben kann, ist vom IOC nicht sanktioniert worden. Wer aber gegen Kriminalität dieser Art nicht vorgeht, der verrät die Ideale des Sports. Also Transparenz, Sauberkeit, Fairplay, Regeltreue und Anständigkeit.

So wollten Sie ein Zeichen setzen?
Ja. Dass ich meinen Orden zurückgegeben habe, war für mich einfach ein Signal, weil ich unglücklich bin über die IOC-Entscheidung. Viele andere und auch ich haben sich seit Jahren und Jahrzehnten dafür eingesetzt, dass der Sport von Anständigkeit und Fairplay geprägt wird. Diese Werte zu bewahren ist ja auch sein moralischer Anspruch. Dass er so eklatant entgegen seiner eigenen Prinzipien handelt wie jetzt, das haben wir noch nicht erlebt. Da muss man doch aufstehen. Es sei denn, wir akzeptieren, dass der der Sport zu einer reinen Geldmaschinerie wird und zu einem reinen Werkzeug machtpolitischer Interessen.

Hat sich das IOC verändert? Korruption gab es schon früher – ist es eine neue Stufe, dass man über offensichtliche Fälle von staatlichem Doping hinwegsieht?
Ja, dies ist ein gewaltiger Einschnitt. Es hat natürlich früher auch mal Unsauberkeiten gegeben. Aber das IOC hat dennoch im Grundsatz viele Jahrzehnte nach bestehenden Regeln gearbeitet. Dieses Prinzip aber ist nun von der Führung des Weltsports selbst ausgehebelt worden. Und der Einfluss eines Staates auf die Sportpolitik war noch nie so drastisch zu erkennen wie jetzt.

IOC-Präsident Bach ist mittlerweile in Rio de Janeiro. Er steht in der Kritik für die Entscheidung, Russland nicht von den Spielen auszuschließen.
IOC-Präsident Bach ist mittlerweile in Rio de Janeiro. Er steht in der Kritik für die Entscheidung, Russland nicht von den Spielen auszuschließen.

© imago/Xinhua

Warum?
Das deutlichste Zeichen dafür war die Startverweigerung für Julia Stepanowa, die Russland aus Angst vor Repressionen verlassen musste, nachdem sie den Betrug aufgedeckt hat. Sie steckte eine Zeitlang zwar selbst im russischen Dopingsystem, hatte aber ihre Strafe verbüßt. Nun darf sie nicht starten, während andere ehemalige Doper nach Ablauf ihrer Sperre starten dürfen. Das ist eine schamlose Aktion und in meinen Augen ein Kniefall vor der von ihr bloßgestellten russischen Führung.

Wieso darf Stepanowa aus Ihrer Sicht nicht starten?
Eine logische sportliche Erklärung gibt es dafür nicht. Hier ist unter Druck ungerecht gehandelt worden.

Robert Harting hat über den IOC-Präsidenten Thomas Bach gesagt, dieser sei Teil des Doping-Systems. Wie sehen Sie Bachs Rolle?
Über Hartings Wortwahl kann man streiten, aber seine Grundsatz-Kritik an Thomas Bach ist doch verständlich. Thomas Bach schadet dem Sport, wenn er als mächtiger Anführer des IOC sportschädliche Entscheidungen trägt und sie nicht verhindert. Und ich denke nicht, dass da irgendetwas gegen seinen Willen geschehen ist.

Harting ging sogar noch weiter und sagte, im IOC herrschten Zustände wie bei der Fifa. Würden Sie sagen, dass man schon so weit ist?
Selbst in der Fifa hat man es zumindest fertig gebracht, einige korrupte Funktionäre über staatliche Behörden und in eigener Regie auszuschließen und bestrafen zu lassen. Insofern ist der Vorgang im IOC, wo man solche Maßnahmen nicht getroffen hat, besorgniserregend. Hier in diesem Fall, wo eine detaillierte Beweisführung für kriminelle Machenschaften vorliegt, hat das IOC gegen die dafür Verantwortlichen nicht gehandelt.

Sie überlegen, auch Ihre DOSB-Ehrennadel zurückzugeben, wenn sich das Präsidium der Haltung Alfons Hörmanns anschließt, der die IOC-Entscheidung als „fair und gerecht“ bezeichnete.
Das ist für mich nur logisch, dass ich in dem Fall auch die Ehrennadel des DOSB zurücksende. Es gibt aber bisher keine Stellungnahme des DOSB-Präsidiums, und das ist auch verständlich. Es ist ja auch alles sehr kurzfristig. All die Entscheidungen, die längst hätten getroffen werden können, sind hier wenige Tage vor Beginn der Spiele getroffen worden …

… zwölf Tage vor der Eröffnungsfeier in Rio.
Da hat niemand ausreichend Zeit, um zu reagieren. Viele Top-Funktionäre haben die Koffer schon gepackt, Athleten ohnehin. Da kann man sich in der Konzentration auf die Wettkämpfe nicht auf die politische Seite der Spiele konzentrieren. Ich hoffe aber nicht, dass es nötig wird, die Nadel zurückzuschicken. Ich glaube, im DOSB gibt es eine große Mehrheit von Menschen, die ihn sauber halten wollen. Ich zähle auch Alfons Hörmann dazu, und hoffe, dass seine erste, unter Zeitdruck entstandene Reaktion übereilt war und er sie revidiert.

Erwarten Sie, dass auch andere öffentlich Stellung beziehen?
Ich denke, jeder erkennt die Situation. Es liegt in der Verantwortung eines jeden Sportführers, dazu Stellung zu nehmen. Oder aber er duckt sich weg. Leider ist das Wegducken nicht mehr so ganz ungewöhnlich.

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