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Modellathlet mit Mut. Michael Sam musste nach seinem Coming-out böse Beschimpfungen über sich ergehen lassen.

© afp

Homosexueller Football-Profi in den USA: Michael Sam und die Küsse aus Kalifornien

Er ist der erste offen homosexuelle Profi der NFL. Nachdem Michael Sam dies öffentlich gemacht hat, erfährt er nicht nur Zustimmung.

In einem Wohnzimmer irgendwo im Süden Kaliforniens harrten die Kamerateams aus, Geduld war gefragt. Die wichtigsten Nachrichten zur Spielerwahl in der US-amerikanischen National Football League (NFL) waren schon geschrieben, die größten Stars aus dem College-Football wie Johnny Manziel oder Jadeveon Clowney längst bei ihren neuen Teams vorgestellt. Der mediale Höhepunkt des diesjährigen Drafts sollte sich allerdings erst an diesem dritten und letzten Tag abspielen, und zwar hier, im Haus des Footballspielers Michael Sam.

Als überhaupt nur noch acht der insgesamt 256 Plätze in den Kadern der Profiteams zu vergeben waren, kam endlich der ersehnte Anruf auf Sams Handy. Die St. Louis Rams nahmen in der siebten Runde des Drafts den jungen Verteidiger der University of Missouri unter Vertrag – und damit den ersten offen schwulen Spieler in der Geschichte der NFL.

Sam war während des erlösenden Telefonats live im Fernsehen zu sehen, mit den Tränen kämpfend und die freie Hand fest in die seines Lebensgefährten gekrallt, der sich eng an den gekrümmten und zitternden Körper des 116 Kilogramm schweren Modellathleten schmiegte. Nachdem Sam aufgelegt hatte, gab es noch eine innige Umarmung sowie einen kurzen, aber emotionalen Kuss zu sehen.

Medienrummel um das Comming-out

Sam hatte sich bereits im Februar offen zu seiner Homosexualität bekannt, seitdem war er das Hauptgesprächsthema im Vorfeld der traditionell viel beachteten Talentwahl. „Ich freue mich darauf, zu sehen, wie Michael Sam eine Chance in der NFL erhält. Ich habe großen Respekt vor ihm und seinem Mut“, sagte Roger Goodell, der Ligachef der NFL.

Die Spekulationen drehten sich vor allem darum, ob Sams Coming-out dessen Chancen geschmälert hatte, von einem Team unter Vertrag genommen zu werden. Tatsächlich erschien die Wahl an Position 249 ziemlich spät. Vor seinem Bekenntnis war er noch als Kandidat für die dritte bis vierte Runde gehandelt worden, also unter den ersten 150 Spielern.

Ein Wort tauchte in den Debatten immer wieder auf: „Distraction“, Ablenkung also. Sam könne wegen des absehbaren Medienrummels Unruhe in den Verein bringen, weil durch die Anwesenheit eines offen schwulen Mannes die Chemie im Umkleideraum gestört werden könne.

Neben zahlreichen positiven und unterstützenden Reaktionen auf das Coming-out gibt es nach wie vor auch Ablehnung. Beim Draft wurde das durch zahlreiche erboste Kommentare in den sozialen Netzwerken deutlich. Kritik gab es in erster Linie für den übertragenden Fernsehsender „ESPN“, der den Kuss zweier Männer live in die Wohnzimmer Amerikas gesendet hatte. Unter den Anfeindungen waren auch Kommentare von ehemaligen und aktiven NFL-Profis. Ressentiments und Bedenken innerhalb der Vereine bestätigten auch mehrere Klub-Offizielle in anonymen Interviews gegenüber der Zeitschrift „Sports Illustrated“.

Ablenkung als Ausrede für Homophobie

Angst vor Ablenkung kann insofern natürlich als Ausrede für Homophobie gesehen werden. Andererseits könnten sich Vereinsbosse auch deshalb gegen Sam entschieden haben, weil der zu erwartende Rummel wahrscheinlich nicht im Verhältnis zu Sams sportlicher Bedeutung für das Team stehen wird. Dass ein Manager da lieber einen ähnlich oder weniger talentierten Spieler wählt, für den sich kaum jemand interessiert, anstatt sich mit Sam massenhaft Kamerateams und Interviewanfragen ins Haus zu holen, scheint ebenfalls nachvollziehbar.

Was letztlich den Ausschlag für den Absturz in den Draft-Rankings gab, lässt sich freilich schwer ergründen. Beim großen Probetraining vor den Augen der NFL-Verantwortlichen schnitt der „Verteidiger des Jahres“ der renommierten Uni-Football-Liga SEC nicht sonderlich gut ab. Ob Sams Draft-Position tatsächlich im Missverhältnis zu seiner sportlichen Leistungsfähigkeit steht, wird sich erst zeigen, wenn man ihn ab September in der NFL spielen sieht. Oder eben nicht, denn noch ist der Weg zu einem Stammplatz im aktuell 61 Spieler umfassenden Kader der Rams weit.

Das Problem der Ablenkung scheint Sam inzwischen erkannt zu haben. Bei seinem Coming-out hatte der Jungprofi noch die große mediale Bühne gesucht. In der vergangenen Woche verkündete er zudem, dass ein Fernsehsender eine Reality-Dokumentation über ihn drehen werde. Nach Gesprächen mit den St. Louis Rams sind die Aufnahmen auf unbestimmte Zeit verschoben worden.

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