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Sport: „Ich kann jetzt nicht sagen: Ich hör’ auf“

Motorradpilot Stefan Bradl über den Unfalltod seines Kollegen Marco Simoncelli und die Konsequenzen

Herr Bradl, wo sind Sie gerade?

Auf dem Flughafen in Dubai. Ich lande heute Abend um neun in München.

Wie geht es Ihnen nach diesem Wochenende in Malaysia, an dem Ihr Kollege Marco Simoncelli tödlich verunglückt ist?

Mir geht’s gut. Aber es ist schon schrecklich, was passiert ist, das kann man nicht so schnell vergessen. Es ist schon sehr, sehr traurig, wirklich tragisch.

Sie sind kurz zuvor Zweiter beim Rennen in der Moto2-Klasse geworden. Wie haben Sie den Unfall in der MotoGP erlebt?

Ich kam gerade aus der Pressekonferenz und habe mich in meinem Büro umgezogen. Da haben wir so einen kleinen Fernseher, auf dem habe ich den Start gesehen. Beim Crash hatte ich direkt das Gefühl, dass etwas Schlimmeres passiert ist.

Was fühlt man in diesem Moment als Fahrer, der eben selbst noch an der gleichen Stelle gefahren ist?

Natürlich sind wir alle Gegner auf der Strecke, aber irgendwie sind wir auch eine komplette Familie. Wir kennen uns alle, deshalb ist das schon brutal. Zumal seine Freundin auch dabei war und sein Papa, die habe ich dann im Fahrerlager gesehen, das war für mich das Schlimmste.

Wie gut kannten Sie Simoncelli?

Ich kannte ihn, wie man sich im Fahrerlager halt kennt. Wir haben uns gegenseitig sehr respektiert und mal ein kurzes Pläuschchen gehalten, aber mehr auch nicht. Ich kannte ihn nicht so gut wie Valentino Rossi. Die zwei waren ja Freunde.

Rossi hat seinen Freund quasi selbst überfahren. Wird Ihnen in solchen Momenten bewusst, dass Ihr Beruf trotz aller Anstrengungen um mehr Sicherheit ein gefährlicher ist?

Auf jeden Fall. Man wird wieder krass damit konfrontiert, wie es sein kann. Die Stimmung danach war im Fahrerlager brutal ruhig. Jeder war sehr in sich gekehrt, es war komisch. Das war einfach ein Schock für uns alle, auch für mich. Man denkt auch noch ziemlich oft daran.

Machen Sie sich grundsätzliche Gedanken über Ihren Sport, oder akzeptieren Sie das Risiko als Teil Ihres Berufs?

Es ist noch zu früh, das zu beantworten. Ich muss das erst einmal sacken und Gras drüber wachsen lassen, und dann kann ich mich da wieder… (Pause) Ich kann jetzt nicht sagen: Ich hör’ auf nach dem Unfall. Natürlich ist das auch dumm, denn vor 14 Monaten war es Tomizawa, jetzt der nächste tödliche Unfall. Da sind dann natürlich sofort die Zweifler, die immer die dümmsten Fragen stellen. Wir sind uns, glaub’ ich, schon alle bewusst… (Pause) … aber wie ich damit umgehe, da lasse ich noch ein bisschen Zeit vergehen.

Die Umstände der Unfälle von Simoncelli und Shoya Tomizawa waren recht ähnlich, beide wurden auf sicher geltenden Strecken von Konkurrenten überfahren. Wird unter den Fahrern darüber gesprochen, welche Möglichkeiten es gibt, um das Fahren im Pulk sicherer zu machen?

Mir fällt nichts ein, was man verbessern kann. Das war ein Rennunfall. Marco hat versucht, seinen Vorderradrutscher abzufangen und nicht runterzufallen. Dann hat das Motorrad sich wieder ein bisschen gefangen und ist statt nach außen wieder zur Fahrbahninnenseite gerutscht. Die nachfolgenden Fahrer hatten keine Chance mehr auszuweichen. Man kann sich viel darüber unterhalten, aber mir fällt nichts ein, wie man das hätte vermeiden können.

Vielleicht durch einen noch besseren Schutz der Kopf- und Halspartie, die größte Schwachstelle der Piloten?

Dann müsste man einen Ganzkörper-Airbag bauen, der sofort aufgeht und einen umschlingt. Aber so etwas gibt es noch nicht. Wir haben zwar einen Airbag in der Lederkombi, der Schultern und Nacken schützt. Aber das nützt im Fall von Marco auch nichts. Zwei Fahrer haben ihn mit über 130 km/h erwischt, zweimal 250 Kilo mit voller Wucht, das ist nicht ohne. Es ist halt passiert.

Also wird der Unfall keinerlei Konsequenzen haben?

Ich denke schon, dass irgendwas passiert, dass sich irgendwas ändert, aber ich kann nicht sagen, was. Die Leute, die dafür verantwortlich sind, machen sich jetzt bestimmt schwer Gedanken.

Ihr Vater Helmut war selbst Rennfahrer. Sprechen Sie über die Gefahr oder wird das ausgeblendet?

Nein, wir werden schon darüber reden, wenn ich heimkomme. Jetzt bin ich aber erst mal froh, wenn ich meine Familie wiedersehe, und will die Zeit genießen.

In zwei Wochen geht es weiter zum Saisonfinale nach Valencia, wo Sie mit einem 13. Platz der erste deutsche Weltmeister seit 1993 werden können. Können Sie so schnell wieder zur Tagesordnung übergehen?

Ich muss Zeit vergehen lassen und schauen, wie ich damit klarkomme. In Valencia wird es für uns alle nicht einfach werden. Sicher, der Sport geht weiter, das Leben geht weiter, und das ist auch gut so. Aber es wird schon Spuren hinterlassen.

Werden Sie in Valencia mit vollem Risiko fahren oder eher vorsichtig, um sicher ins Ziel zu kommen?

Das weiß ich jetzt noch nicht. Das hängt von den Umständen ab, vom Wetter, wie ich reinkomme ins Wochenende, wie es läuft. Und dann werde ich das wahrscheinlich im Rennen entscheiden.

– Das Gespräch führte Christian Hönicke.

Stefan Bradl, 21,

führt vor dem letzten Rennen die Moto2- Klasse der Motorrad- WM an. In der MotoGP- Klasse verunglückte am Sonntag in Malaysia der Italiener Marco Simoncelli tödlich.

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