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Sport: Im Winter des Wandels

Jan Ullrich trainiert auf Mallorca für die Tour de France – schlanker als sonst und mit mehr Selbstvertrauen

Es klackt auf dem Parkplatz des Robinson-Clubs von Cala d’Or auf Mallorca. Klack, Klack, Klack, 29 Schuhpaare von 29 magentafarbenen Trikotträgern rasten ein in die Pedalen von 29 magentafarbenen Fahrrädern, das ist sozusagen das Startklacken in die Radsportsaison 2006. Sie soll ein besseres Jahr bringen, als es die vorherige war für das T-Mobile-Team. Vor allen Dingen soll es nicht nur ein gutes für Jan Ullrich, es soll ein herausragendes werden. Und wie immer in den vergangenen Jahren steht am Anfang die drängende Frage: Wird er wieder zu dick sein, wenigstens übergewichtig?

Die 29 Fahrer setzen sich in Bewegung, hier unter der hoffnungsvollen und wärmenden Sonne Mallorcas, zu Beginn des ersten Trainingslagers, und mittendrin im Pulk Jan Ullrich: längere Haare als gewohnt, keine Pausbacken, kein Fettwulst, durchtrainiert, lachend. Am vergangenen Montag hatte die Teamleitung zu ersten Tests auf den Ergometer gebeten. Auch wenn die Laktatwerte und die Wattzahlen, die die Fahrer mit ihren kraftvollen Tritten erreichen, geheim gehalten werden wie der Code von Fort Knox, anschließend strahlte Rudy Pevenage, der sportliche Leiter des Teams und Mentor Jan Ullrichs, und Lothar Heinrich, der Mannschaftsarzt, strahlte auch: „Jan ist sehr gut aus dem Winter gekommen. Er ist fit, er wird heute die Tour noch nicht gewinnen, aber er ist auf dem Weg dorthin.“ Gut, dass das geklärt ist.

Am Samstag nämlich entert die europäische Radsportjournaille die malerische Küste von Cala d’Or, 180 Journalisten werden erwartet, daneben die Konzernspitze, Matthias Prinz, der Medienanwalt und Freund des Hauses, ist schon da, Radsport-Verbandspräsident Rudolf Scharping, unvermeidlich und mallorcaerprobt, reist auch an. Ein Auftrieb der Hoffnung also. Und bei der dann offiziellen Teampräsentation wird es nahezu ausschließlich darum gehen, ob Ullrich tatsächlich im ersten Jahr nach Lance Armstrong dort weiter machen kann, wo er vor Lance Armstrong 1997 aufgehört hat: Mit dem Gesamtsieg des berühmtesten und legendärsten Radsportereignisses der Welt. Dergleichen ist unmöglich zu prophezeien, aber wer Ullrich in diesen Tagen erlebt und seine Stimmung und Körpersprache mit der vergleicht, die er in der Vergangenheit darbot, muss zu dem Schluss kommen, dass er wenigstens zum engsten Favoritenkreis zählt. Am Vortag des Massenstarts vom Parkplatz, nach Ergometertest und ein paar Intervallsprints über die Insel, war der 32-Jährige zurückgekehrt zur Hotelanlage, stieg vom Rad und wieder auf und sagte: „Wisst ihr, es läuft so gut, das Wetter ist schön, ich fahr noch eine Stunde.“ Nichts Gequältes, Bitteres sprach da aus ihm – ein gewandelter Jan Ullrich.

Ob’s daran liegt, dass Lance Armstrong nicht mehr dabei ist? „Das weiß ich noch nicht“, sagt er, „ich weiß noch nicht, ob es für mich jetzt leichter oder schwerer wird.“ Was auch Pevenage so sieht: „Früher gab es zwei, drei, die sich Hoffnung machten, mit Armstrong mithalten zu können, jetzt macht sich vielleicht ein Dutzend Fahrer Hoffnung auf den Gesamtsieg.“ Das wird das Verhalten im Peloton verändern, das wird alte Allianzen aufbrechen und neue schmieden, das wird ein anderes Rennen als in den vergangenen Jahren werden. „Egal“, sagt Ullrich, „es kommt auf mich an, und ich weiß, wo ich stehe und wo ich im Sommer stehen werde.“ Und auch sei es egal, wenn am Montag wieder reflexartig behauptet würde, er habe zu viel Schwarzwälder Kirschtorte gefuttert, „das würde mich nicht bekümmern“.

Jetzt konzentriert er sich erst einmal auf das Trainingslager auf Mallorca. Am Ende der 14 Tage wird er zwischen 2000 und 2200 Kilometer in den Beinen, der Lunge und dem Herz haben. „Das ist die Grundlage, wir machen hier Ausdauertraining. Wenn das Fundament nicht gut ist, kann man auch kein Haus drauf bauen.“ Am Rande und an der Bar des Hotels bestaunten am Abend ein paar jüngere Fahrer gleichwohl schon die Stabilität von Ullrichs Fundament. Offensichtlich hatte er schon bei diesen ersten Trainingseinheiten seine Stellung als Kapitän und wichtigster und bester Mann im Team deutlich gemacht. „Ab März wird verschärftes Tempo gefahren“, sagt Ullrich. Das dürfte dann auch in etwa der Zeitpunkt sein, zu dem er selbst in die Wettkämpfe einsteigt. Sehr dosiert allerdings wird das wieder sein, auch in diesem Jahr wird Ullrich sich nicht aufzehren auf Tournee, und auch in diesem Jahr werden wieder Scharen von Besserwissern kommen und ihm gerade deswegen fehlende Wettkampfhärte bescheinigen. „Und sie werden auch wieder kommen und mir vorwerfen, dass ich zu dicke Gänge fahre“, sprich: im Sattel sitzen bleibe und nicht wie Armstrong stehend im Wiegetritt den Berg hinauf stürme, „aber wenn ich als Erster oben ankomme mit meinem Stil, werden die gleichen Leute sagen, dass es die dicken Gänge waren, die mich an die Spitze geführt haben. Also, was soll’s.“ Zweifler sprechen anders. Man hat Jan Ullrich schon anders aus dem Winter kommen sehen.

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