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Mann für Geduldsspiele. Im Schnitt sitzt keiner länger am Brett als Carlsen.

© picture alliance / dpa

Kandidatenturnier: Carlsen fordert Schachweltmeister Anand

Magnus Carlsen wird zum Herausforderer von Schachweltmeister Viswanathan Anand. Dabei hätte er beim Kandidatenturnier in London beinahe doch noch alles verspielt.

Weshalb er beinahe alles verspielt hätte, konnte Magnus Carlsen unmittelbar nach der nervenaufreibenden Schlussrunde selbst kaum erklären. „Irgendwie habe ich das Gespür für Gefahren verloren“, sagte das norwegische Schachgenie. Dass Carlsen das WM-Kandidatenturnier in London trotz seiner finalen Niederlage gegen den Russen Peter Swidler noch gewinnen sollte, verdankte er glücklichen Umständen: Weil der Konkurrent Wladimir Kramnik seine Schlussrundenpartie ebenfalls verlor, blieben die beiden führenden Großmeister mit je 8,5 Punkten gleichauf. Letztlich entschied eine umstrittene Feinwertung zugunsten von Carlsen, der im Vergleich zu Kramnik mehr Partien gewann.

Der 22 Jahre alte Weltranglistenerste wäre also fast um Jahre zurückgeworfen worden. Mit dem unerwartet zittrigen Turniersieg hat er sich aber nun als Herausforderer des indischen Weltmeisters Viswanathan Anand qualifiziert. Das Duell im November dieses Jahres werde „vielleicht etwas weniger dramatisch“, sagt Carlsen. Einen Druck wie in London habe er jedenfalls nie zuvor gespürt. „Die letzten drei Runden waren sehr schwierig für mich. Davor habe ich hier sicher das beste Schach gespielt.“ Tatsächlich verlief das Turnier kurios: Zur Halbzeit dominierten Carlsen und der Armenier Levon Aronjan noch gemeinsam das achtköpfige Feld, mit einem scheinbar komfortablen 1,5-Punkte-Vorsprung. Im zweiten Durchgang fiel jedoch zunächst Aronjan in ein Formtief, verlor drei Partien in kurzer Folge, während der ehemalige Weltmeister Kramnik plötzlich groß aufspielte und von Sieg zu Sieg eilte.

„Ich bin beeindruckt von seinem Comeback in der zweiten Turnierhälfte“, staunte Carlsen über Kramniks Serie. „Es ist aber, glaube ich, nicht unfair zu sagen, dass er in einigen Partien auch etwas Glück hatte.“ Wie auch immer, zwei Runden vor Schluss war Kramnik sogar an Carlsen vorbeigezogen. Dieser konnte aber in der Vorschlussrunde Großmeister Teimour Radjabow nach fast siebenstündigem Kampf niederringen und schloss wieder zu Kramnik auf.

Im Schnitt sitzt niemand länger am Brett als Carlsen. Sein kraftraubender Stil wäre ihm jedoch diesmal beinahe zum Verhängnis geworden. Nach fast drei Wochen fehlte Carlsen offensichtlich die Spannung, um gewohnt schnell und präzise zu manövrieren. Dass er seine beiden Niederlagen in den Runden 12 und 14 ausgerechnet mit Weiß hinnehmen musste, offenbarte zudem die einzige Schwäche des jungen Genies: Mit seinen verhaltenen Systemen gelingt es ihm selten, andere Topspieler in Verlegenheit zu bringen.

Nur in einer seiner 14 Londoner Partien kam Carlsen mit einem nennenswerten Vorteil aus der Eröffnungsphase heraus. Im Vergleich dazu stand Kramnik, der weltbeste Eröffnungskenner, in fünf Partien frühzeitig besser. „Wenn man nur die Stellungen nach den Eröffnungen sieht, hätte Kramnik den Sieg verdient“, sagte Carlsen. Aber Eröffnungen seien eben nicht alles, Kramnik unterliefen hinterher vergleichsweise oft Fehler. Dies mache den Unterschied.

Im Hinblick auf den Weltmeisterschaftskampf gegen Anand werde er „nicht allzu viel ändern“, behauptet Carlsen. Eine wertvolle Figur hat er dem Weltmeister aber schon jetzt abgeknöpft: Der hünenhafte Däne Peter Heine Nielsen, der Anand bislang in allen WM-Kämpfen als Eröffungsexperte zur Seite stand, hat das Lager gewechselt. Großmeister Nielsen arbeitet seit einigen Monaten für Magnus Carlsen.

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