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Einen Marathon zu laufen kann befreiend sein, muss aber nicht.

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Kolumne: So läuft es: Diagnose Marathon-Depression

Marathon-Depression? Unser Kolumnist weiß nicht, was das sein soll und hat einen Rat: Einfach weiterlaufen.

Ich bin letzte Woche mit Micha Klotzbier gelaufen. Im Januar 2015 wog Micha noch 160 Kilo und hatte einen Plan: Er wollte sich halbieren. Runter auf 80 Kilo, wieder sportlich sein, und vor allen Dingen einen Marathon laufen. Gut, es gibt viele Geschichten von Dicken, die durch das Laufen abnehmen. Und plötzlich Marathon laufen. Ich hatte zwar nie 160 Kilo, aber ich war auf einem guten Weg dahin.

Micha hat jetzt 112 Kilo, ich 72. Micha bloggt über seine Reise zum Marathon. Über das, was er dabei erlebt hat. Micha ist letztes Jahr den Berlin Marathon gelaufen, und er ist ihn zu Ende gelaufen. In einer langen persönlichen E-Mail gratulierte ich ihm zu diesem wunderbaren Moment. Ich wusste genau, wie er sich fühlen musste.

Vergessen Sie den besten Sex, vergessen Sie das Gefühl von Millionen auf dem Konto, dieser Moment ist viel, viel besser. Als dicke Wurst gestartet zu sein, als dünnes Ding nach 42 Kilometern ins Ziel zu preschen, das ist Gänsehaut von innen. Wirklich. Ich bin davon ausgegangen, dass Micha dieses Gefühl immer wieder haben wollte. Und direkt nach der Ziellinie den nächsten Marathon plante. Komisch war nur: Ich hörte nichts mehr von Micha. Bis letzte Woche. Wir liefen in Prenzlauer Berg los, durch den Volkspark Friedrichshain, Richtung Mitte und zurück. Direkt als wir starteten, war mir klar: Micha wollte nicht einfach nur mit mir laufen. Micha ging es nicht gut. Micha wollte etwas loswerden. Und so dauerte es keine fünf Minuten bis er auspackte: „Mike, es geht nix mehr voran. Ich hänge bei 112 Kilo fest. Ich nehme nicht weiter ab. Ich habe ’ne Krise. Nach dem Marathon war da einfach nur ein riesen Loch. Und ich bin komplett reingefallen. Und komm da nicht richtig raus. Ich hab auch ne Diagnose, ich habe eine Marathon-Depression!“

Wenn es mal nicht so läuft, laufen Sie bitte einfach weiter

Ich musste stoppen. Ich musste mich kurz sammeln. Ich war kurz davor, Micha in die Läufer-Depression zu folgen, um mich vor ein Auto in der Torstraße zu schmeißen. „Micha, was hast du? Alter, was hast du? Eine Marathon-Depression? Wer hat dir denn das erzählt? Ne Marathon-Depression. Is klar. Weißt du, was du hast? Was am Kopf hast du. Und ein fauler Sack bist du“, ich brüllte die Raumerstraße zusammen. Ein Mix aus Ärger und Lachanfall. Micha lachte mit. „Micha. Es gibt keine Marathon-Depression. Es gibt auch kein Runner’s High. Weißt du, wenn du nicht weißt, was nach dem Marathon kommt, dann sag ich es dir: Der nächste Marathon. Lauf einfach den nächsten Marathon, hör auf, wieder Pizza zu essen, und Haxe, und trink nicht unbedingt wieder zwei Liter Cola, und hör nicht auf Laufexperten. Lauf einfach, Mann. Klare Jacke. Dann nimmst du auch irgendwann weiter ab. Marathon-Depression, Junge Junge.“

Liebe Leserin, lieber Leser, liebe Läuferin, lieber Läufer. Wenn es mal nicht so läuft, laufen Sie bitte einfach weiter. Und hören sie nicht den Experten zu. Und lesen Sie keine klugen Laufartikel. Laufen Sie. Bitte. So läuft es.

Mike Kleiß leitet eine Kommunikations- und Markenagentur in Köln und schreibt hier an jedem Donnerstag übers Laufen.

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