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Fankultur: Magie aus dem Megafon

In den Bundesligastadien ist es laut. Die Fans singen und trommeln, dazu kommen Werbung und Show. Aber nicht immer ist die Klangkulisse auch echt.

Die Stimmung war super, wieder einmal. Mächtige Paukenschläge, rhythmisches Klatschen, „Ha-ho-he-Hertha-BSC“. So wie es sich jeder Fußballfan wünscht und hören möchte. Dabei war das Olympiastadion nicht einmal halb gefüllt. Doch die Soundkulisse stimmte.

Das Problem: Die Gesänge kamen nicht aus der Kurve, sondern aus dem Kasten. Genauer gesagt aus den 19 Lautsprechern, die im Stadion unter dem Dach hängen, und im halbleeren Rund kräftigen Widerhall fanden. Auch im Gästeblock. Die 500 mitgereisten Aachener Fans kamen akustisch kaum gegen die elektrische Übermacht an. Der Vorfall im Heimspiel gegen Aachen vor einem Monat sei „eine technische Panne“ gewesen, sagt Thomas Herrich, Mitglied der Hertha-Geschäftsleitung und zuständig für die Abläufe im Olympiastadion. „Ein Techniker hat da ein Kabel falsch eingestöpselt.“ Im November 2005 waren im Heimspiel gegen Mönchengladbach schon einmal die Gesänge im Olympiastadion aus den Boxen gekommen, auch damals handelte es sich offiziell um eine Panne. Ein ehemaliger Tontechniker im Olympiastadion bestritt dies und sagte, schon früher sei die Kurve künstlich verstärkt worden. Das brachte Hertha viel Häme ein. Hatte man es wirklich nötig, die eigenen Fans hochzupegeln?

Auch in anderen Stadien soll dies schon vorgekommen sein. In Internetforen beschweren sich Fans, dass in Leverkusen, Dortmund, München oder Nürnberg in den letzten Jahren angeblich künstlich nachgeholfen wurde. Nachzuweisen ist so etwas im Nachhinein schwer, verboten ist es definitiv. Laut Spielordnung der Deutschen Fußball-Liga (DFL) darf die Beschallungsanlage während des Spiels „ausschließlich zum Zwecke der Bekanntgabe wesentlicher spielbezogener Informationen für die Stadionbesucher, zum Beispiel Ein- und Auswechslungen, genutzt werden“. Dass die spielbezogenen Informationen lautstark von Sponsoren präsentiert werden, ist hingegen nicht verboten.

„Sieht man die Lautstärke der Fanblöcke als Wettstreit an, dann ist das Beschiss“, sagt Philipp Markhardt vom Fanverband „Pro Fans“. Auch beim Hamburger SV hätten die Fans vor einigen Jahren das Gefühl gehabt, künstlich verstärkt worden zu sein. Nach einer Beschwerde beim Verein kam dies aber nie wieder vor. Markhardt sagt: „Sei es der naive Gedanke vom Verein, den eigenen Fans etwas Gutes zu tun, oder das Kalkül, den Gästeblock zu übertönen – die Fans wollen das nicht.“

Sollten wirklich Fangesänge in Stadien künstlich mit Absicht verstärkt werden, wäre das eine feine Ironie des modernen Fußballs: Schließlich leiden die Sprechchöre unter dem lautstarken Rahmen- und Werbeprogramm, das den Kurven das Singen erschwert. Und unter Zuschauern, die mehr des Events wegen ins Stadion kommen als zum Selbersingen. Doch ohne Fangesänge, -geklatsche und -getrommel gibt es keine Atmosphäre.

Die oft gepriesenen neuen Stadien haben mit ihren modernen Soundanlagen in den letzten Jahren enorme Möglichkeiten geschaffen, künstlich Atmosphäre zu kreieren. Zuweilen mündet das eher in akustischer Umweltverschmutzung.

Überraschend selten wird über die Geräuschkultur der Bundesliga diskutiert. Dabei schätzen Experten die durchschnittliche Lärmbelastung im Fußballstadion auf 105 Dezibel, das ist in etwa so laut wie ein Presslufthammer oder eine Motorsäge. An Arbeitsplätzen muss ab 85 Dezibel Schallschutz getragen werden. Das Wenigste dieser Klangkulisse besteht mittlerweile aus Gesängen und Getrommel, dafür gibt es Musik, Werbung und Showprogramm. Nicht nur vor dem Spiel und in der Halbzeitpause, sondern auch oft, während der Ball rollt.

In dem Wirtschaftslehrbuch „Zielorientiertes Management von Fußballunternehmen“ werden nützliche „Rahmenprogrammelemente“ aufgezählt. Dort listen die Autoren zum Beispiel die „Veranstaltung fußballaffiner Aktionen auf dem Spielfeld wie zum Beispiel 1000-Euro-Schuss“ oder die „Verlosung von Merchandising-Artikeln“ auf, aber auch die „dezente Verstärkung der Fangesänge über die Stadionanlage zur Unterstützung der Stadionatmosphäre (Fallbeispiele: Bayer 04 Leverkusen, Hertha BSC Berlin)“. Mit solchen Maßnahmen „können an sportlichen Höhepunkten arme Begegnungen kompensatorisch mit Spannung, Abwechslung und nachhaltigen Erlebnismomenten versehen werden. Alle ausgeführten Ansatzpunkte stellen für den Besucher direkte Klubmarkenerlebnisse dar“.

Der Zwischenfall bei Hertha konnte sich deshalb ereignen, weil in den Fanblöcken Richtmikrofone angebracht sind. Sie nehmen die Fangesänge auf und bringen Stadionatmosphäre in den Innenraum und die Vip-Logen; durch die Glaswände wäre sonst nichts zu hören. Gegen Aachen war der Ton aber im ganzen Stadion hörbar.

Nicht nur der Verein, sondern auch die Fans nehmen die Anlage in einigen Stadien in Beschlag. In Frankfurt am Main oder Stuttgart etwa nutzen die Vorsänger der Ultras die Stadionanlage, weil sie mit einem Megafon nicht alle Ränge erreichen würden. Mit dem Rücken zum Tor und dem Mikrofon in der Hand stimmen die Capos – die Anführer der Gesänge – dann die Sprechchöre an, oft unabhängig vom Spielgeschehen. Die Fans in den anderen Blöcken sind davon nicht immer begeistert. „Viele Fans im Oberrang beschweren sich, dass sie nur noch den Vorsänger hören und die anarchische, spielbezogene Gesangskultur untergeht“, berichtet Wilko Zicht vom Bündnis aktiver Fußballfans (Baff).

In Berlin baut die Ostkurve vor dem Spiel ihre eigene Anlage auf. „Wenn wir wirklich einmal akustisch über die Stadionanlage verstärkt wurden, wäre das gegen alle unsere Grundsätze, eine Katastrophe“, sagt Steffen Toll vom Förderkreis Ostkurve. Wie viele Fans leiden die Ostkurven-Fans unter dem umfangreichen, lauten Rahmenprogramm. Doch nach einer Zeit, in der im Rahmenprogramm alles probiert wurde, was ging, geht der Verein nun wieder auf die Fans zu. Vor dem Spiel treffen sich Vertreter der Ostkurve mit dem Stadionsprecher und besprechen, wo es Lücken im Vorprogramm gibt, damit sich die Fans einsingen können. „Er hält dann Blickkontakt mit der Kurve und entscheidet: So, jetzt spielen wir mal fünf Minuten keine Musik“, sagt Toll. „Das ist natürlich zu wenig, aber im Europapokal zum Beispiel gibt es Abläufe, die auch der Verein nicht beeinflussen kann.“

Dabei hat es in Berlin gerade bei schwach besuchten Europapokalspielen den besten Hall von den leeren Rängen gegeben, auf ganz natürliche Weise. Da wirkte es auf einmal wie Kontrastprogramm, als Hertha nach Fankrawallen im April eine Stadionsperre erhielt und die Fans das Spiel gegen Stuttgart an der Waldbühne verfolgten. „Da konnten wir unser eigenes Programm gestalten, mit Musik von Seeed, die einen Bezug zu Berlin hat. Und wir konnten die Anlage auch mal herunterdrehen, wenn die Zuschauer anfingen zu singen.“ Im Stadion selbst müssen die Fans die Musik hinnehmen. Nur bei allzu unerträglichen Schlagern aus der Feder Jack Whites protestieren sie schon einmal beim Verein. Heimlich beneidet man die Fans in St. Pauli. Dort wird im Programm Rockmusik der härteren Gangart gespielt, mit der sich die dortigen Fans eher identifizieren können.

Doch nicht nur im Lauten sind die Fans in St. Pauli schon ein Stückchen weiter – auch im Leisen. Auf einem Fankongress im Juli 2009 einigte man sich mit dem Verein darauf, das Rahmenprogramm auf das Nötigste zu beschränken. Am Millerntor beginnen Durchsagen und Musik nun eine halbe Stunde vor Spielbeginn und enden sieben Minuten vor Anpfiff. Dass der Rummel rund um das Spiel aber nicht überall kritisch gesehen wird, zeigt das Beispiel Freiburg. Dort gab es lange kein Rahmenprogramm, bis die Fans sich in einer Umfrage dafür aussprachen. Nun gibt es auch in Freiburg die Show ums Spiel.

Dabei kann Stille manchmal Magie erzeugen. Als in den sechziger Jahren in Liverpool einmal mitten im Lied „You'll never walk alone“ die Lautsprecher ausfielen, sangen die Fans es einfach selbst weiter. Die bekannteste Fanhymne der Welt war geboren.

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