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Neues Deutschland.

© picture-alliance/ dpa

Sport: „Manche nennen das Bestechung“

Historiker Young über Entwicklungshilfe vor Olympia 1972 in München, die Idee von Spielen im geteilten Berlin und Probleme der Bewerbung für 2018

Herr Young, Sie haben die Geschichte der Olympischen Spiele 1972 in München erforscht. Was hat Sie dabei überrascht?

Ich stand einmal im Olympiastadion von München und dachte: Hierüber möchte ich mal ein Buch lesen. Es gab aber keins. Das hat mich erstaunt. Also bin ich mit meinem Kollegen Kay Schiller in die staatlichen und sportlichen Archive gegangen. Und in den Dokumenten hat mich überrascht, dass die Bewerbung die Idee von ein paar Männern war.

War München kein nationales Projekt?

Sie musste es erst werden. Anfangs hatte NOK-Präsident Willi Daume die Idee, die Spiele in die Bundesrepublik zu holen – nur hatte er keine Stadt. Zunächst kam er für die Spiele 1968 auf Berlin, die Olympiastadt Nummer eins in Deutschland.

Aber Berlin war geteilt.

Ja, es war so etwas wie eine Schnapsidee von Daume und Willy Brandt, dem Regierenden Bürgermeister von West-Berlin. Sie wollten Olympia in beiden Hälften der Stadt, scheiterten aber am Veto der Alliierten und der Bundesregierung. Zweite Wahl war München. Dort war Brandts Parteifreund Bürgermeister, der junge Hans-Jochen Vogel. Daume sagte zu ihm: Sitzen Sie fest auf Ihrem Stuhl? Ich will die Spiele nach München holen! Vogel war begeistert, er sah die Chance für die Stadtentwicklung und natürlich für seine Karriere. Drei Monate später lagen alle Genehmigungen vor.

Wie hat München die Spiele bekommen?

Es gibt viele Faktoren – etwa, dass sich mit Wien ein Konkurrent schon früh verabschiedet hatte. Ein wichtiger Faktor war auch die sportliche Entwicklungshilfe für Afrika. Auch wenn der Begriff zu kurz greift: Manche würden das vielleicht als Bestechung bezeichnen.

Wie bitte?

Damals war die Welt in Ost und West geteilt, auch im IOC. Also kämpfte man um die Stimmen der Dritten Welt. Die Südamerikaner würden für Madrid stimmen, das war klar; also konzentrierten sich die Deutschen auf die Afrikaner. Inoffizielle Diplomaten machten sich auf den Weg, etwa Alfred Ries. Er war Präsident von Werder Bremen und langjähriger Diplomat; nun redete er mit IOC-Mitgliedern. Ihnen wurde Hilfe versprochen: Fußballtrainer kamen in Entwicklungsländer, in Lagos wurde eine Laufbahn gebaut. Die sportliche Entwicklungshilfe hat sich Ende der Sechzigerjahre innerhalb weniger Jahre verdreifacht. Und diese Gaben haben sich gelohnt.

Wurde auch staatliche Entwicklungshilfe aufgestockt?

Natürlich. Es gab eine Afrikareise von Bundespräsident Heinrich Lübke, bei der Marokko finanzielle Zusagen gemacht wurden. Angeblich war das unabhängig von Olympia – geschadet hat es ihr jedenfalls nicht. Auch Montreal, Münchens damaliger Konkurrent, hat exzessiv geworben. Und vor der Fußball-WM 2006 lief es ja auch nicht anders.

Welches Deutschlandbild sollte München mit den Spielen transportieren?

Das wussten die Macher anfangs nicht. Erst als die Entscheidung für die Bewerbung gefallen war, haben die PR-Leute entdeckt, dass München das positivste Image aller deutschen Städte hat. Die Stadt stand für Gelassenheit, Freundlichkeit, Stil, klassische Architektur, Hochkultur, südländisches Lebensgefühl, Biergartenstimmung. Da sagten die Organisatoren: Wir präsentieren Deutschland wie München ist. Man hatte nur ein wenig Angst, dass die Bayern wegen der Dirndl und der Volksmusik in der Welt vielleicht als provinziell wahrgenommen werden. Deshalb entwickelten die besten Designer und Architekten des Landes das moderne Design der Spiele.

Sollte München ein Gegenbild abgeben zu den Nazi-Spielen 1936 in Berlin?

Interessant war, dass man sich des Konzepts von 1936 bewusst bediente. Einheitliches Design, einheitliche Farben – die Nazis wussten, wie man visuell die Spiele rüberbringt. Diese Methoden haben sich Münchens Designer abgeguckt, um ein neues Deutschlandbild zu zeigen. In einem Dokument, das wir gefunden haben, sagt der berühmte Designer Otl Aicher: Die Welt glaubt uns nicht, wenn wir sagen, dass dieses Land anders ist. Wir müssen es der Welt zeigen.

Herr Young, München bewirbt sich nun für die Winterspiele 2018, hat aber mit Protesten und Problemen zu kämpfen. Was macht die Bewerbung von heute falsch?

Die Kandidatur für Olympia 1972 war vom Zeitgeist getragen. Die derzeitige ist es nicht. Damals dachte man, dass sich die Welt immer positiv entwickelt, dass sich Fortschritt planen lässt. Zudem gab es noch Aufholbedarf für die deutsche Infrastruktur nach dem Krieg. Inzwischen sind die Menschen bei Großprojekten viel skeptischer. Der Zeitgeist ist eher grün, und die Menschen wollen mitreden, wenn ihr Land bebaut wird. Ein kommerzielles Event wie die Olympischen Spiele ist nicht mehr ohne Makel.

Das Gespräch führte Robert Ide.

Christopher Young, 42, ist Sporthistoriker in Berlin und Germanistik-Dekan der University of Cambridge. Mit Kay Schiller veröffentlicht er gerade das Buch „The 1972 Munich Olympics – and the making of modern Germany“ (UC Press).

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