zum Hauptinhalt

Michael Ballack: Das Ende einer Karriere

Er wurde verspottet als ewiger Zweiter, ohne großen Titel. Doch wenn die deutschen Fußballer weit kamen, 2002, 2006 oder 2008, dann lag das an ihm, Michael Ballack. Der doch gar nicht an seinen Erfolgen gemessen werden will, sondern an seiner Persönlichkeit, wenn er jetzt seine Karriere beendet.

Dieses Gesicht wird bleiben. Die Augen zu Schlitzen verengt, die Brauen zornig nach oben gezogen, die Backen aufgeplustert, die Nasenlöcher groß wie Nüstern, die Unterlippe quillt wulstig hervor. Nie hat Michael Ballack entschlossener gewirkt als an diesem 16. Juni 2008 im Wiener Praterstadion, wo es im abschließenden Gruppenspiel der Fußball-Europameisterschaft um alles geht. Wenn die Deutschen gegen Österreich verlieren, sind sie schon nach der Vorrunde ausgeschieden. Der Bundestrainer ist nervös, weil auch sein Job auf dem Spiel steht. Kurz vor der Pause wird Joachim Löw wegen ständigen Reklamierens auf die Tribüne verbannt. Von dort oben beobachtet er, wie es kurz nach der Pause, 25 Meter vor dem österreichischen Tor, einen Freistoß für seine Mannschaft gibt.

Der Ball wird kurz angetippt, dann kommt Ballacks rechter Fuß ins Spiel. Der Ball gewinnt an Fahrt und Höhe und schlägt mit 120 Stundenkilometern im rechten oberen Eck ein. Aber es ist nicht die technische Perfektion, es ist dieser Ausdruck im Gesicht des deutschen Kapitäns, der von dem einzigen Treffer des Abends haften bleibt: diese wilde, fast schmerzhafte Entschlossenheit.

Am Dienstag nun hat Michael Ballack das Ende seiner Karriere verkündet, sechs Tage nach seinem 36. Geburtstag und 150 nach seinem letzten Bundesligaspiel für Bayer Leverkusen.

Es war eine Nachricht, die wie aus dem Nichts zu kommen schien. Ballack hatte sich seit dem Sommer nahezu vollständig aus der Öffentlichkeit zurückgezogen, selbst wenn er auf gewisse Weise natürlich präsent blieb – und bleibt. Sein Österreich-Gesicht zum Beispiel wird jetzt gerne wie ein Kronzeuge verwendet gegen die aktuelle Nationalmannschaft und ihren Trainer Joachim Löw. So einer wie Ballack fehle diesem Team, lautet die Klage. Ein Anführer, der sich nicht alles gefallen lässt und seine Mannschaft gerade in schwerer Zeit zum Erfolg treibt. Einer, der weiß, dass man für Siege auch leiden muss. Die neue Nationalmannschaft ohne Ballack hat zuletzt vor allem an ihren Niederlagen gelitten. Vor zwei Jahren im Halbfinale der Weltmeisterschaft gegen Spanien. Und noch viel mehr in diesem Sommer, bei der EM, gegen Italien. Mit Ballack, heißt es dann, wäre das vermutlich ganz anders gelaufen.

Es ist schon lustig. Einer, der früher als ewiger Zweiter verspottet wurde, dem Günter Netzer wegen seiner Herkunft aus der DDR vorgehalten hat, er sei „nicht prädestiniert für die typische Rolle eines Führungsspielers“, ausgerechnet dieser Michael Ballack wird jetzt zum großen Anführer des deutschen Fußballs umgedeutet. Unstrittig ist, dass Ballack ein Weltklassefußballer war, der einzige, den Deutschland zu seiner Zeit hatte. Aber was bleibt sonst von ihm? Was wird man künftig verbinden mit Michael Ballack, geboren in Görlitz, aufgewachsen in Karl-Marx-Stadt, fußballerisch groß geworden im Westen der Republik? Wird er als tragischer Verlierer in Erinnerung bleiben? Oder als der letzte Anführer des deutschen Fußballs?

Leader oder Loser? Beides wird ihm nicht gerecht

Michael Ballack hat in seiner Karriere einige starke Bilder hinterlassen. Es gibt ein zweites aus dem Frühjahr 2008, nur vier Wochen vor dem Österreich-Spiel. Champions-League-Finale, das Größte, was man als Vereinsfußballer erreichen kann. Zwischen dem FC Chelsea und Manchester United muss das Elfmeterschießen entscheiden. Ballack hat seinen Mannschaftskameraden Frank Lampard und Juliano Belletti die Arme um die Schultern gelegt, als ihm plötzlich die Beine wegknicken. Lampard versucht noch, seinen Arm zu halten, aber Ballack sinkt zu Boden. Er hat die Augen geschlossen und den Kopf zur Seite geneigt. John Terry, Chelseas Kapitän, ist bei seinem Elfmeter ausgerutscht, der Ball daraufhin an den Außenpfosten geklatscht. Wenn Terry getroffen hätte, hätten Chelsea und Ballack zum ersten Mal die Champions League gewonnen. Wieder triumphieren die anderen.

Typisch Ballack, sagen seine Kritiker. Wenn es ernst wird, packt er es einfach nicht. Dass er seinen Elfmeter zuvor sicher verwandelt hatte – geschenkt. Fußball ist ein Mannschaftssport, aber das Scheitern wird immer wieder auf Michael Ballack reduziert. „Michael Ballack ist in Deutschland sehr oft Unrecht getan worden“, hat Rudi Völler, der frühere Teamchef der Nationalmannschaft, schon 2005 gesagt.

Leader oder Loser? Diese Frage zieht sich durch Ballacks Karriere. Beide Deutungen werden ihm und seiner Leistung nicht gerecht. Michael Ballack ist häufiger Erster als Zweiter geworden. Er war Meister und Pokalsieger, sowohl in Deutschland als auch England. Das Einzige, was ihm fehlt, ist ein internationaler Titel. Aber mit Bayer Leverkusen überhaupt das Finale der Champions League zu erreichen – das wird man nur schwer zum Misserfolg umdeuten können. Genauso wie den Einzug der Nationalmannschaft ins WM-Finale 2002. „Wenn ich Vize-Weltmeister werde, bin ich doch nicht gescheitert“, hat Ballack einmal gesagt.

Seine Karriere mag im Rückblick unvollendet wirken, aber auch ohne Titel hat Ballack eine Ära geprägt. Man könnte auch sagen: Er war eine Ära, weil es über viele Jahre neben ihm in der Nationalmannschaft keinen anderen Spieler seines Formats gegeben hat. Wenn die Deutschen wie 2002, 2006 oder 2008 erfolgreich waren, dann waren sie es nur wegen Ballack. Gemessen an seiner Bedeutung und auch an der Beachtung, die ihm stets zuteil geworden ist, hat sich Ballack jetzt heimlich von der großen Bühne geschlichen. Über eine Hamburger Anwaltskanzlei ließ er die Nachricht von seinem Karriereende verbreiten. Ballack widmete dem Land sechs Sätze in üblicher PR-Prosa, von wegen „wunderbare Zeit“, „nie zu träumen gewagt“, „neues Kapitel in meinem Leben“ und so weiter.

Drei Jahre ist es her, Interview im Hotel der Nationalmannschaft. Normalerweise wechseln die Spieler ihre Gesprächspartner im 20-Minuten-Takt, aber Ballack ist längst Herr über seine Zeit. Eine Dreiviertelstunde dauert das Gespräch, man kommt ins Plaudern, und als Ballack weggeht, lässt er gedankenverloren seine Zimmerkarte auf dem Tisch liegen, mit der er die ganze Zeit gespielt hat. Er ist 33, natürlich weiß er, dass das Ende seiner Karriere absehbar ist. Aber er redet ungern darüber. „Ich weiß, dass mit dem Fußball irgendwann mal Schluss sein wird“, sagt er. „Aber mein Ziel ist es, diesen Job so lange wie möglich auszuüben.“ Dass er nach dem Gespräch nur noch vier Länderspiele bestreiten wird, ahnt zu diesem Zeitpunkt niemand.

Die Tragik ist, bei allen Erfolgen, ein Leitmotiv in seiner Karriere

Sami Khedira liegt auf der Massagebank, als ihn die Nachricht erreicht, dass Ballack für die Weltmeisterschaft in Südafrika ausfällt. Ein Schock sei das gewesen, hat der Nationalspieler kurz darauf berichtet, obwohl die Verletzung des Kapitäns ihm selbst den nächsten Schritt seiner Karriere ermöglicht. Khedira nimmt Ballacks Position im Mittelfeld ein, und er macht das sehr gut. Doch als Chance wird Ballacks Ausfall im Mai 2010 ganz sicher nicht gesehen. Die ARD sendet einen Brennpunkt, die halbe Nation sorgt sich um die Nationalmannschaft und ihren Kapitän. Vor allem aber leidet sie mit Michael Ballack. Das Foul von Kevin-Prince Boateng, der ihm im englischen Pokalfinale das Sprunggelenk zerlegt hat, bringt ihn um den mutmaßlich letzten Höhepunkt seiner Karriere. Diese persönliche Tragik lässt niemanden kalt.

Ballack ist zu diesem Zeitpunkt immer noch die herrschende und beherrschende Figur des deutschen Fußballs: der einzige Weltstar, der bei einem ausländischen Renommierklub unter Vertrag steht. Und nach wie vor gilt die Aussage von Rudi Völler: Der Nationalmannschaft dürfe alles passieren, nur eins nicht – dass Ballack verletzt ausfällt. Doch bei der WM zeigt sich, dass es ohne Ballack nicht nur nicht wehtut, es fühlt sich sogar richtig gut an. Die Mannschaft ist jung, sie spielt phasenweise wie befreit, und sie emanzipiert sich mehr und mehr von ihrem Kapitän, der die Mannschaft an der kurzen Leine geführt hat und dessen Alphatiergehabe immer weniger goutiert wird.

Mitten in diesem rauschhaften südafrikanischen Winter stattet Ballack seiner Mannschaft einen Besuch ab. Es gibt ein Foto für die Presse. Philipp Lahm, formal Ballacks Stellvertreter als Kapitän, und Bundestrainer Löw nehmen den Gast in die Mitte. Man kann die Distanz förmlich sehen. Auch Ballack scheint zu spüren, dass er ein Fremder ist. Er reist schneller ab als ursprünglich geplant – und kehrt nach 98 Länderspielen auch nicht mehr zur Nationalmannschaft zurück.

Die Tragik ist, bei allen Erfolgen, so etwas wie ein Leitmotiv in Ballacks Karriere. Im Mai 2000 verhindert er mit einem Eigentor in Unterhaching den ersten Meistertitel für Bayer Leverkusen. 2002 führt er die Nationalmannschaft ins WM-Finale – doch als die Deutschen gegen Brasilien das Endspiel verlieren, sitzt ihr bester Spieler gesperrt auf der Tribüne. Im Halbfinale gegen Südkorea hat er seine Mannschaft mit einem taktischen Foul vor dem Rückstand bewahrt und dafür seine zweite Gelbe Karte im Turnier gesehen. Ballack weiß, dass er im Finale fehlen wird, als er vier Minuten später das einzige Tor des Spiels erzielt.

Auch das Ende seiner Karriere ist in gewisser Weise tragisch zu nennen. Die Rückkehr nach Leverkusen ist wohl der verzweifelte Versuch, das Ende noch ein bisschen hinauszuzögern und die Karriere, wenn schon nicht mit einem Titel zu krönen, doch zumindest abzurunden. Der Versuch scheitert. Nach all seinen Verletzungen ist Ballack schon körperlich nicht mehr in der Lage, die ihm zugedachte Rolle auszufüllen. Dass er am Ende seiner ersten Saison in Leverkusen noch einmal Vizemeister wird, ist allenfalls eine nette Pointe.

Natürlich wolle jeder Fußballer möglichst viele Titel gewinnen, hat Ballack vor drei Jahren auf die Frage geantwortet, wie er denn in die Geschichte des deutschen Fußballs eingehen wolle. Aber das Entscheidende seien gar nicht die Erfolge: „Große Spieler zeichnen sich durch ihre Art und ihre Persönlichkeit aus.“ Er, Michael Ballack, würde deshalb gerne als Persönlichkeit in Erinnerung bleiben. Seine Chancen stehen wohl nicht schlecht.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false