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Retter aus Leidenschaft: Vor dem Stadion des MSV Duisburg werden Retter-Shirts verkauft.

© dpa

MSV Duisburg nach dem Lizenzentzug: Trotzig in Trümmern

Nach dem Lizenzentzug bekennen sich die sonst so kritischen Fans des MSV Duisburg mehr denn je zu ihrem Verein. Und das in der schlechtesten Phase der Klubgeschichte.

Es ist ein Sonnabend mit Symbolwert: Rund 150 Zuschauer stehen am Spielfeldrand auf dem Trainingsgelände des MSV Duisburg im Stadtteil Meiderich. In weiß-blaue Trikots und Schals gehüllt warten sie. Sie wissen nicht, wer kommt. Fast täglich verlassen Spieler den Verein, wie Sören Brandy, der zu Union wechselte, denn ihre Verträge sind hinfällig. Das Training ist freiwillig. Der Verein versucht so, wenigstens für etwas Alltag und Normalität zu sorgen in dieser Zeit im Wartestand. Wenige Tage zuvor hat das DFB-Schiedsgericht dem MSV Duisburg endgültig die Zweitligalizenz verweigert. Nach 27 Jahren geht es wieder in die Drittklassigkeit, vielleicht sogar bis in die fünfte Liga hinab.

Für die Fans ist es ein Charaktertest – wer bekennt sich noch zum MSV? Als die Spieler aus der Kabine treten, ist es fast still, nur ihre Stollenschuhe klacken auf dem gepflasterten Weg. Dann regen sich die Anhänger, sie klatschen in die Hände, nicht frenetisch, sondern geradezu sanft. Anerkennend. Vom Applaus begleitet traben die Spieler über den Rasen. Es sind genau elf. Das letzte Aufgebot.

Dieser Wartezustand dauert nun schon einen Monat an. Damals, Ende Mai, erreichte Duisburg die Nachricht der Deutschen Fußball Liga (DFL), dass dem MSV die Lizenz zur Zweiten Liga verweigert wird. Zuvor hatte Roland Kentsch, der als Geschäftsführer für die Lizenzunterlagen zuständig war, noch Optimismus verbreitet. Nun sollen 364.000 Euro gefehlt haben. Expräsident und Stadionerbauer Walter Hellmich soll zudem Darlehen nur unter der Bedingung gestundet haben, dass er zwei Plätze im Aufsichtsrat und den Geschäftsführer mitbestimmen darf – zu viele Verstöße gegen die DFL-Richtlinien.

Am Abend vor dem Training haben Aufsichtsrat und Vorstand im Wedaustadion wieder bis zum späten Abend daran gearbeitet, den MSV wenigstens in der Dritten Liga, im Profifußball, zu halten. Das Horrorszenario heißt Insolvenz. Fünfte Liga. Amateurfußball. Roland Kentsch ist längst entlassen.

MSV Duisburg: Der Verein braucht jeden Cent, falls es doch zur Insolvenz kommen sollte

Auch die Fans sind wieder am Stadion, wie schon in den vergangenen Wochen. Knapp 2000 sind es diesmal, die sich in der Abendsonne vor der Glasfassade der Arena auf den Steinstufen versammelt haben. Sie machen ihr eigenes Ding, wie schon in den vergangenen Wochen. An einem Stand werden T-Shirts mit der Aufschrift „Retter aus Leidenschaft“ verkauft. Mehr als 4000 Euro sind damit schon eingenommen worden. Innerhalb von zwei Wochen wurden rund 250 neue Mitglieder geworben. Der Verein braucht jeden Cent, falls es doch zur Insolvenz kommen sollte.

Der TV-Kommissar Bernie Kuhnt, berühmt für seine weiße Kaffeetasse mit dem blauen MSV-Emblem, die er in seiner Krimiserie stets in die Kamera hält, muntert derweil die Fans auf: „Früher saß ich oft im Stadion und dachte: Geiles Spiel, geiles Wetter, geiler Gegner, aber keine Zuschauer“, spricht er nun ins Mikrofon, „doch wenn ich das heute hier sehe und was in den letzten Tagen los war, da kann ich nur sagen: Hut ab!“

Die alten Duisburger Probleme: Geld- und Zuschauermangel

Großer Auflauf im Revier. Die Fans des MSV Duisburg beim Protestmarsch Anfang Juni.
Großer Auflauf im Revier. Die Fans des MSV Duisburg beim Protestmarsch Anfang Juni.

© dpa

Mangelnder Zuschauerzuspruch hat hier Tradition. In der abgelaufenen Saison kamen im Schnitt weniger als 13.000 Fans in die Arena. „Der MSV hatte immer viele Anhänger in der Stadt, nur sind die nicht ins Stadion gegangen“, sagt Robert Philipps, MSV-Vorstandsmitglied. In der Stadt habe er noch nie so viele weiß-blaue Trikots und Schals wie jetzt gesehen. So eine Anteilnahme habe es noch nie gegeben, erzählt er: „Die Leute merken, dass sie etwas zu verlieren haben.“

Während die MSV-Verantwortlichen sich mit den alten Duisburger Problemen Geld- und Zuschauermangel herumschlagen müssen, haben die Fans etwas Neues geschaffen. Eine neue Mentalität. Der Ruhrgebietler an sich neigt ohnehin zu Fatalismus und Zweckpessimismus – immer mit dem Schlimmsten rechnen. Die MSV-Fans pflegten über Generationen eine Art Zwecknihilismus – wird eh nix. Doch in der schlechtesten Phase des Vereins zeigen sie eine Treue, wie es sie in Duisburg noch nie gegeben hat.

Einer, der diesen Mentalitätswandel hautnah miterlebt hat, ist Michael Wildberg, MSV-Fan und Autor des Buches „So lonely: Ein Leben mit dem MSV Duisburg“. Er kann sich noch an die Zeiten erinnern, als die Duisburger Zuschauer bei Heimspielen schon beim ersten Fehlpass stöhnten und pfiffen, als wäre das ganze Leben ein einziger Fehlpass. Nicht mal ein Jahr ist das her. „Der MSV war noch nie so sexy wie jetzt“, sagt er. Seit vier Wochen trotzen die Anhänger, anstatt zu trauern. „Ich habe noch nie so eine stolze Fanszene in Duisburg gesehen.“

MSV Duisburg: Zum Protestmarsch wurden 600 Fans erwartet - es kamen 6000

Am eindrucksvollsten hat sich das Anfang Juni gezeigt. Wenige Tage nachdem die DFL dem MSV die Lizenz verweigert hatte, wollten die MSV-Anhänger mit einem Protestmarsch für ihren Verein demonstrieren. 600 Teilnehmer erwartete die Polizei. 6000 zogen schließlich vom Hauptbahnhof zum Stadion, unterstützt von einigen Anhängern der Revierrivalen aus Schalke, Dortmund oder Essen. Anstatt Hass gegen DFL, Roland Kentsch oder Walter Hellmich zu schüren, trugen die Fans ein breites weißes Banner vorneweg: „Ewig treu“ prangte darauf in blauer Farbe. „Das war das Schönste“, sagt Michael Wildberg. „Die haben nicht gegen etwas protestiert, sondern den MSV gefeiert.“

Der Spielplan der Dritten Liga steht zwar schon fest. Doch noch hat der DFB keine Zusage erteilt, dass der MSV auch wirklich dort spielen darf. Wenn alles gut geht, startet der MSV mit einem Heimspiel. Welche elf Spieler dann auflaufen werden, weiß noch keiner. Aber Duisburgs Fans glauben daran: Es wird nicht das letzte Aufgebot sein.

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