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Wut und Wasser. Frank Rijkaard, hier 1990 hinterrücks gegen Rudi Völler, schürzt inzwischen die Lippen.

© dpa

Vor Duell mit Deutschland: Holland bleibt die Spucke weg

Morgen empfängt die Fußball-Nationalmannschaft die Niederlande. Obwohl die Nachbarn mittlerweile die deutsche Spielkultur bewundern, geht es wieder um Prestige und Rivalität.

Ein bisschen Inszenierung war dann doch dabei. Jerome Boateng und Dennis Aogo warfen für die Fotografen ihre alten Handys in eine Kiste, weil ein bekanntes Telekommunikationsunternehmen mit dem Vorhaben wirbt, 500 000 Althandys für einen guten Zweck einzusammeln und eine Million Euro für die Aktion „Ein Herz für Kinder“ bereitzustellen. Also gaben die beiden deutschen Nationalverteidiger symbolträchtig ihre Handys ab, die man ihnen vorher zugesteckt hatte. Was tut man nicht alles für einen guten Zweck.

Die deutsche Fußballnationalmannschaft ist derzeit die beliebteste und öffentlich wirksamste Plattform geworden – noch dazu, wenn gerade ein Duell ansteht, was ganz ohne Inszenierung auskäme. Am Dienstag heißt es in Hamburg Deutschland vs. Holland – ein Spiel, das zu den besten zählt, was der internationale Fußball hergibt. Es ist ein Evergreen seit den frühen siebziger Jahren, ein Klassiker mit weltweiter Strahlkraft. Es gab zahlreiche große Duelle, das WM-Finale 1974 in München etwa, das dramatische EM-Halbfinale 1988 in Hamburg oder aber das WM-Achtelfinale 1990 in Mailand, bei dem vielen deutschen Fans die Spucke wegblieb. Vor allem lebten diese Duelle von einer Rivalität, die sich regelrecht zur beiderseits gepflegten Abneigung entwickelte. Eine Rivalität, die historische wie sportliche Gründe hat. „In den Achtzigerjahren war das ja schon fast so etwas wie Krieg“, erzählte Oliver Bierhoff. „Da wurden Feindbilder aufgebaut“, was es so heute nicht mehr gebe, wie es der Manager der Nationalmannschaft sagte, weil der Fußball in beiden Länder internationaler, vermischter geworden sei.

„Jeder weiß, Holland ist die aktuelle Nummer zwei im Weltfußball“, sagte der Hamburger Nationalspieler Dennis Aogo. Das nehme dem Testspiel am Dienstag den Testspielcharakter: „Es wird ein Spiel mit großen Emotionen.“ Die Mannschaft von Trainer Bert van Marwijk stand im vergangenen Jahr im WM-Finale von Johannisburg. Dort unterlagen die Niederländer dem späteren Weltmeister Spanien denkbar knapp.

Die beiden WM-Finalisten von 2010 und Deutschland zählen gegenwärtig zu den Mannschaften, die Fußball zu zelebrieren verstehen – eine Spielart, die vor allem die Holländer den Deutschen am allerwenigsten zugetraut haben. Inzwischen aber verneigen sich auch die Koryphäen des niederländischen Fußballs vor der flotten wie anspruchsvollen Spielweise der Deutschen. So lobt ausgerechnet Frank Rijkaard den ungeliebten Nachbarn, dem er stets Brecher- und Langweilefußball vorgeworfen hatte, mittlerweile in den höchsten Tönen. Jener Herr also, der in Deutschland vor allem wegen seiner Spuckattacke gegen Rudi Völler bei der WM 1990 in Italien bekannt geworden war. Deutschland spiele mittlerweile „einen richtig guten Fußball“, sagte Rijkaard und hob Spieler wie Mesut Özil und Sami Khedira hervor.

Die neue deutsche Mannschaft hat mittlerweile mehr zu bieten als Kraft, Kampf und Disziplin. Die neue Spielweise ist einerseits ein Verdienst des Wirkens Joachim Löws, gleichwohl aber auch dem steten Nachschub veranlagter Spieler geschuldet. Löw fügt an der Spitze zusammen, was im Nachwuchs inzwischen richtig und gut gemacht wird. Bierhoff verweist hierbei auch auf die deutschen Nationalspieler mit Migrationshintergrund, die eine neue Leichtigkeit ins deutsche Spiel trügen. Wo das noch hinführen soll, ist mittlerweile klar. „Wir wollen nicht nur schön spielen, sondern auch zeigen, dass wir große Spiele gewinnen können“, fordert Bierhoff. Für die deutsche Mannschaft gelte es nun, „die Lücke zu schließen“, die zuletzt offen blieb. Bei der WM 2006, der EM 2008 als auch der WM 2010 stand die deutsche Elf auf dem Treppchen der Sieger, aber nicht ganz oben. Der letzte Titelgewinn für den dreimaligen Welt- und Europameister liegt bei der EM im kommenden Sommer schon 16 Jahre zurück. Bierhoff schoss Deutschland bei der EM 1996 in England mit zwei Toren im Finale zum Titel.

Diesmal, beim Turnier in Polen und der Ukraine, könnten Spanien, Deutschland und Holland den Titel unter sich ausmachen. Spielen da auch alte Rivalitäten eine Rolle? „Das mit der Rivalität von früher kann ich nicht bestätigen“, antwortet Jerome Boateng, der sowohl beim HSV, Manchester City und beim FC Bayern mit holländischen Nationalspielern zusammenspielte und spielt. „Krieg gibt es keinen mehr, ich habe da eher Freunde wie Nigel de Jong.“ Ähnlich sieht es Dennis Aogo, der vom Prestigeduell spricht: „Es geht darum, wer die bessere Mannschaft hat.“

Dass mancher im jungen deutschen Team das „neue Holland“ sieht, geht Oliver Bierhoff dann doch zu weit. „Nein, das wollen wir gar nicht, sonst werden wir ja immer noch Zweiter bei großen Turnieren.“

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