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Die Feier nimmt kein Ende. Niemand hat die Paralympioniken bisher so euphorisch und fair angefeuert wie die Briten – nicht nur im Olympiastadion von London.

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Abschluss der Paralympics: Eine Ära beginnt

Die Paralympics 2012 haben neue Maßstäbe gesetzt: Noch nie feuerten so viele Fans die Athleten an, noch nie waren Behindertensportler solche Stars wie heute. Dennoch ist ein Umdenken notwendig.

Die Briten können nicht nur organisieren, sie können auch feiern. Mit schier unbändiger Begeisterung jubelten sie in den voll besetzten Stadien noch den letzten Läufer der Paralympics ins Ziel.„Ich finde es großartig, dass die Paralympics das Stigma der Behinderung von den Menschen genommen haben“, sagte Mapara Fernandez stellvertretend für viele Zuschauer. Die 30-jährige Sportfanatikerin fieberte bei den Paralympics im stets ausverkauften Olympiastadion mit. „Ich fand die lebensbejahenden Protagonisten und ihrem Action-Sport inspirierender als Olympia.“ So wie diese Londonerin denken inzwischen Millionen Menschen in Großbritannien. Behinderte Leistungssportler wurden während der Spiele als „Superhumans“ beworben, erstmals wurden sie als Stars vermarktet – und das Publikum nahm die neuen Helden an. London hat mit den Paralympics eine neue Ära der zweitgrößten Sportveranstaltung der Welt begründet.

Bei der Abschlussfeier heute treten mit Rihanna, Jay-Z und Coldplay Weltstars auf (22 Uhr, live im ZDF); das war nicht immer so in der Geschichte der 1948 in London begründeten Behindertenwettkämpfe. Auch die Kriegsversehrten der Truppen aus Afghanistan sollen ein Programmpunkt bei der Schlussfeier sein. Kriegspropaganda, sagen Kritiker. Die Paralympics versöhnen aber auch: Iraker und US-Amerikaner scherzten einträchtig im paralympischen Dorf.

Eine neue Normalität? Die Fans der Spiele des Behindertensports hoffen darauf. Unter ihnen die Königsfamilie samt Queen und auch der neue Bundespräsident Joachim Gauck. „Die Spiele geben dem Sport die Bühne, die er verdient“, sagte eine Zuschauerin im Rollstuhltennis-Stadion. Etwa 50 Euro kostete sie der Ausflug mit Mann und zwei Kindern. So viele Behinderte überall, völlig normal.

Briten wie der Sprinter Jonnie Peacock machten sich als Lokalmatadoren einen Namen in aller Welt. Die USA sind inzwischen eines der wenigen Länder, in die die Spiele mit den 4200 Athleten aus 166 Ländern nicht umfassend live übertragen wurde. Im Heimatland überschlugen sich die Medien, auch in Deutschland stieg das öffentlich-rechtliche Fernsehen ernsthaft in die Berichterstattung ein.

Gerechtere Zusammenlegung der Startklassen gefordert

Ich bin dann mal weg hier. Karbonprothese oder Bein, was ist schneller? Solche Fragen stellten sich Beobachter auch beim 100-Meter-Vorlauf der Frauen in der T44-Klasse.
Ich bin dann mal weg hier. Karbonprothese oder Bein, was ist schneller? Solche Fragen stellten sich Beobachter auch beim 100-Meter-Vorlauf der Frauen in der T44-Klasse.

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Zu sehen bekamen die Zuschauer bewegende Momente vor vollen Rängen. Die Veranstalter vom Internationalen Paralympischen Komitee (IPC) und die Organisatoren hatten zum Schluss insgesamt 2,7 Millionen Tickets verkauft. Ein Rekord, genau wie die 12,5 Millionen Euro Einnahme für die Fernsehrechte.

Welch großer Sport war dort zu sehen. Noch nie gab es so viele Rekorde, so viel guten Nachwuchs. Rang eins nach Medaillen belegt China, vor Großbritannien und Russland. Die Deutschen verbesserten sich von Platz elf in Peking auf Rang sieben.

Aber es wurde für die Zuschauer auch seh- und hörbar, was hinter den Kulissen schon länger kritisiert wird. „Die Klassifizierungen und Buchstabenkürzel versteht doch keiner“, sagte die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft. Beim Reiten immerhin wurden etwa Geburtsfehler, Unfall oder Krankheit in der Arena angesagt – ein erster Schritt zu mehr Nachvollziehbarkeit. Nun fordern alle, dass die Zusammenlegung der Startklassen gerechter geregelt wird; in London haben Blinde mit Führer beim Marathon am Sonntag gegen Einzelläufer kaum noch Chancen auf Gold.

Und das Thema Technik-Doping als Fairness-Bremse hat die Welt erreicht. „Es wäre schön, wenn reichere Länder die ärmeren unterstützen könnten“, sagt Sarah Ebrahim Al-Shawi vom Leichtathletik-Team Bahrain. Industrieländer gehen oft mit besserem Equipment ins Rennen. Gut, dass etwa in Rio 2016 neue Regeln bei der Maximalhöhe von Karbonprothesen gelten.

Die Briten können organisieren, die Sportler begeistern, die Zuschauer feiern – nun muss sich nur noch der Sport selbst weiterentwickeln.

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