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Rudi Kargus im Rathaus seiner Heimatstadt Worms zu Beginn einer Vernissage vor dem Ölgemälde "Andreasstift Ansicht 1".

© dpa

Rudi Kargus im Interview: Früher Fußballprofi, jetzt Künstler

Der Ex-Nationaltorhüter und heutige Maler Rudi Kargus spricht im Interview über Brüche in seiner Biographie und Berührungspunkte zwischen Malerei und Profifußball.

Rudi Kargus, kennen Sie James Cauty?

Nein, wer ist das?

Ein Engländer, der als Musiker bei der Band KLF einige Welthits hatte. Danach hat er eine Million Pfund verbrannt, einen Film darüber gedreht und lebt nun als Künstler. Erkennen Sie darin Parallelen zu ihrem eigenen Werdegang?

Bedingt. Mit Millionen hatte ich damals eher weniger zu tun, aber damit, dass man seinem Leben noch mal eine völlig neue Richtung gibt, kann ich mich identifizieren.

Ihre Abkehr verlief ohne rituelle Handlungen. Es heißt, Sie reden nicht mehr gerne über Fußball.

Ich habe damit auf gewisse Weise abgeschlossen und sage: »Das war mein erstes Leben.« Trotzdem habe ich es total genossen. Ich wollte es damals nicht anders, es war immer mein Kindheitstraum, Fußballer zu werden. Jetzt ist es halt die Kunst, die mein Leben bestimmt. Ein neuer Bereich, den ich als Geschenk empfinde, mit wenig Parallelen zum Fußball.

Wann haben Sie das letzte Mal »Sportschau« geguckt?

Sie werden lachen, erst letzten Samstag. Ich lehne den Fußball nicht ab und schaue auch hin und wieder bei den Heimspielen des HSV vorbei. Wobei mich eher das Spiel fasziniert und weniger das Ballyhoo drum herum.

Was meinen Sie damit?

Ich möchte nicht wie ein Ewiggestriger klingen, aber manches kann ich schwer ertragen. Etwa die Einpeitscher auf dem Platz eine Stunde vor Spielbeginn oder der einstudierte Torjubel. Da setzt bei mir Fremdschämen ein.

Würde Ihnen als Maler etwas fehlen, wenn Sie vorher nicht Fußballer gewesen wären?

Ich glaube, dass es für die Kunst immer gut ist, Brüche in der Biografie zu haben. Wenn alles glatt läuft, fehlt die Inspiration.

Schon als Fußballer sind sie öfter mal angeeckt.

Erst mal war ich ein total guter Profi, der sich im vorgegebenen Disziplinrahmen bewegt hat, auch wenn das völlig unsinnig war. Wenn ein Trainer sagte, ich solle 300 Meter im Entengang laufen, habe ich das gemacht. Andererseits haben mich Ungerechtigkeiten genervt, und wenn es zu viel wurde, ging ich auf die Barrikaden und bekam Ärger. Dieser Zusammenhang ist mir aber erst durch meine Selbstreflexion in der Kunst klar geworden. Damals war ich vollständig in der Maschinerie gefangen.

War es mit der Malerei und Ihnen Liebe auf den ersten Blick?

Zumindest fühlte es sich von Anfang an gut an, im Gegensatz zur Musik. Ich hätte gerne ein Instrument gelernt, aber ich habe leider kein Talent.

Kann es sein, dass Sie sich noch einmal neu erfinden und die Kunst nur eine Phase bleibt?

Im Gegenteil: Der Gedanke, dass ich vielleicht irgendwann nicht mehr malen kann, macht mir Angst. Ich bin als Maler ziemlich produktiv, das hängt glaube ich damit zusammen, dass ich fürchte, mir läuft die Zeit weg. Ich habe ziemlich spät angefangen, und die Restlaufzeit wird weniger.

Robert Enke und die Ängste eines Torhüters

Hat es Ihnen als Künstler genützt, dass Sie zuvor ein populärer Torwart waren?

Zu Beginn haben sich die Boulevardmedien auf das Thema gestürzt: Sieh mal, ein Fußballer, der malt! Ein Exot! Das hat mir großes Kopfzerbrechen bereitet.

Aber haben Sie nicht auch profitiert? Wenn Sie vorher Finanzbeamter gewesen wären, hätten sich vielleicht weniger Leute für Ihre Bilder interessiert.

Logisch. Trotzdem stellen sich mir die Nackenhaare auf, wenn ich etwas lese, womit ich mich überhaupt nicht identifizieren kann. Anfangs habe ich ernsthaft überlegt, ob ich unter einem Pseudonym malen soll.

Aber Sie sind als Künstler auch ehrgeizig.

Das ist sicher ein Zwiespalt. Das Alleinsein im Atelier, die daraus resultierende Autonomie sind für mich ein totaler Genuss. Andererseits suche ich die Öffentlichkeit, sonst würde ich ja keine Ausstellung machen.

Wenn wir uns in Ihrem Atelier umschauen, scheint das zentrale Thema Ihrer Arbeiten zu lauten: die Einsamkeit des Individuums in einer immer unübersichtlicheren Welt.

Das passt. Da ist dann auch ein Berührungspunkt zu meiner Zeit als Torwart, das wird mir erst in der letzten Zeit immer klarer.

Die Angst des Tormanns beim Elfmeter.

Wobei das Buch ja nichts mit Fußball zu tun hat. Aber das Thema der Einsamkeit ist offenbar seit dem Fußball in mir drin.

Glauben Sie, dass Sie heute derselbe Künstler wären, wenn Sie früher auf einer anderen Position gespielt hätten?

Ich weiß es nicht. Wichtiger war vermutlich das Leben in der Öffentlichkeit, weniger die Position. Andererseits waren für mich von klein auf Torhüter immer etwas Besonderes.

Wie sehr hat Sie der Suizid von Robert Enke berührt?

Sehr. Ich habe das Buch über ihn gelesen, das ist mir nahe gegangen. Viel von dem, was dort über den Druck steht, dem die Torhüter ausgesetzt sind, konnte ich sehr gut nachvollziehen. Weniger die Krankheit, die ist ja etwas Persönliches. Aber in alles Torwartspezifische konnte ich mich hineinversetzen.

Zum Beispiel?

Ich habe auch unter Trainern gelitten, wo ich den Druck kaum aushalten konnte. Und ich hatte Versagensängste. Am schlimmsten war die Furcht, durch eigene Fehler den Kollegen zu schaden. Dazu braucht man natürlich eine gewisse Sensibilität. Die hatte Enke, und die hatte ich auch.

Quelle: 11Freunde

Jens Kirschneck

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