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Nicht zu fassen. Silke Lippok ist verblüfft über die Silbermedaille, die sie bei der EM über 200 Meter Freistil gewonnen hat.

© dpa

Silke Lippok: Die Leichtigkeit des Schwimmens

Die 16-jährige Silke Lippok entwickelt sich in einer angenehmen Atmosphäre zur Weltklasse-Athletin. Sogar die große Italienerin Federica Pellegrini ist von ihr beeindruckt.

Wählt sie die einfache Variante, dann beschreibt Silke Lippok den Spezialanstrich an ihren Fingernägeln als „grün-metallic“. Aber es gibt noch einen viel schickeren Ausdruck für den Nagellack, den sich die 16-jährige Schülerin aus Pforzheim vor ihren Rennen über 200 Meter Freistil immer verpasst. „Green envy“ nennt die Schwimmerin den internationalen Titel ihres Markenzeichens, bei dessen Anblick ihre Rivalinnen offensichtlich grün vor Neid werden sollen. Zumindest die eine oder andere Athletin wurde neidisch, als Silke Lippok bei der Schwimm-Europameisterschaften in Budapest im Finale über 200 Meter Freistil durchs Wasser pflügte. Denn die 16-Jährige lag vor fast allen anderen, nur die Favoritin Federica Pellegrini aus Italien war schneller. Silber gab es für Silke Lippok in persönlicher Bestzeit (1:56,98 Minuten), das war eine Riesenüberraschung.

„Ich bin etwas geschockt, mir wackeln noch die Knie. Das ist für mich alles unglaublich“, sagte die Gymnasiastin fast atemlos in die Mikrofone. Bis zur letzten Wende hatte Lippok sogar geführt, ehe die Italienerin sie noch abfing. Und die Siegerin war beeindruckt. „Ohne sie hätte ich diese Zeit nicht geschafft“, sagte Pellegrini. „Sie kann einmal meine größte Konkurrentin werden.“

Nicht nur in Europa, sondern weltweit, sollte das heißen. Vor zwei Jahren brach Lippok über 200 Meter Freistil den deutschen Altersklassenrekord von Franziska van Almsick – und nicht nur die frühere Weltklasse-Schwimmerin weiß spätestens seit dieser EM: „Silke ist das größte Talent im deutschen Team.“ Dirk Lange muss man so etwas gar nicht mehr erzählen. Der Bundestrainer war schon vor der EM Fan der unkomplizierten Lippok.

Dabei sind die Bedingungen, unter denen die Tochter eines Pforzheimer Taxiunternehmers trainiert, etwas anders als bei den meisten ihrer Konkurrentinnen. Das Becken in Pforzheim ist nur 25 Meter lang. „Na und?“, sagt Lippok. „Dort ist meine Familie, da fühl’ ich mich wohl.“

Zur Familie gehört ihr Trainer Rudi Schulz, ein 70-jähriger Rentner. Auch mit ihren Trainingsumfängen ist die 16-Jährige noch längst nicht am Limit. Und manchmal ist das Becken in Pforzheim zudem auch noch geschlossen. Dann fährt die Schülerin 60 Kilometer nach Heidelberg und trainiert dort am Olympiastützpunkt des DSV. Und jetzt rückt das Thema Olympische Spiele 2012 in London immer näher. „Da will ich hin“, sagt Lippok. „Und wenn alles so weiterläuft, sollte das auch möglich sein.“ Mit ihrem Talent kann sie es zweifellos weit bringen – und mit ihrer Nervenstärke auch. „Es macht mir jedenfalls keine besondere Angst, wenn ich neben einer Olympiazweiten oder -dritten auf dem Startblock stehe“, sagt die Gymnasiastin.

In Budapest stand Pellegrini neben ihr, die Italienerin aus Venedig, die nicht nur schnell ist, sondern auch immer wieder die Titelseiten von Hochglanz-Zeitschriften ziert. „Ich hab’ mein Ding gemacht. Und ich glaube, ich habe sie auf den ersten hundert Metern schon verwirrt“, sagte Lippok nach ihrem Finale über 200 Meter Freistil. Zudem war sie cool genug gewesen, Pellegrini in den Minuten vor dem Start etwas genauer zu beobachten. Das Ergebnis dürfte der Italienerin gefallen. „Sie kommt sehr selbstbewusst rüber, war mir aber auch sympathisch. Vor dem Rennen hat sie mir sogar zugelächelt. Ich fand sie ganz nett.“ Silke Lippok schaut sich immer wieder etwas von ihren Rivalinnen ab, in der Hoffnung, sie könne davon irgendwann mal profitieren.

Über Silke Lippok schwärmte auch Dirk Lange. „Das war ein Rennen: mutig, beherzt – so muss man auftreten“, sagte der Bundestrainer beeindruckt. Und so lange Lippok als Vorzeigekraft der deutschen Schwimm-Jugend die hohen Erwartungen erfüllt, soll sie seiner Ansicht nach ihren Trainingsalltag ruhig beibehalten. „In Silkes Alter ist es wichtig, dass sie sich in ihrem Umfeld wohl fühlt. Und es funktioniert ja“, sagte Lange, der bei Lippoks 200-Meter-Finale „eine Gänsehaut“ bekam.

Dieses kribbelnde Gefühl will der ehrgeizige Coach auch bei der WM im nächsten Jahr und vor allem bei den Olympischen Spielen 2012 wieder erleben. Deshalb nahm er den Shooting-Star der Europameisterschaften gestern Vormittag auch gezielt zur Seite. „Ich habe ihr gesagt, sie soll sich ihre Frische bewahren“, sagte Lange danach. Schließlich hat es vor Silke Lippok schon genug hoffnungsvolle Talente gegeben, denen genau das nicht gelungen ist.

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