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Sport: Skispringen: Schattenseite der Glitzerwelt

Mehr Prämien und Preisgelder, mehr Sponsoren, höhere Einschaltquoten und eine in Deutschland noch nie erlebte Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit vermitteln das Skispringen als heile Welt.Das ist aber nur eine Seite der Medaille.

Mehr Prämien und Preisgelder, mehr Sponsoren, höhere Einschaltquoten und eine in Deutschland noch nie erlebte Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit vermitteln das Skispringen als heile Welt.

Das ist aber nur eine Seite der Medaille. Die andere ist dunkel und überaus bedenklich. Denn der Ehrgeiz, um jeden Preis zu den springenden Popstars aufzusteigen, zu partizipieren an Geld und Ruhm, hat eine buchstäblich ungesunde Entwicklung forciert: den Trend zu möglichst wenig Gewicht. Schon ganz junge Sportler versuchen, jedes Pfund abzuhungern. Nach der Formel ein Kilogramm weniger auf den Rippen, bringt x Meter mehr auf der Schanze. Besonders im Wachstumsprozess absolut schädlich und oft direkt zur Magersucht führend.

Nehmen wir das wohl prominenteste Beispiel Sven Hannawald. In einem Interview deutete er kürzlich an: "Als ich 70 Kilogramm wog, habe ich gemerkt, dass ich keine Chance gegen die Segelflieger habe." Da war der derzeitige Skiflug-Weltmeister schon mittendrin in seinen Abmagerungskuren. Vor fünf Jahren soll der 1,84 m große Thüringer, der nach Hinterzarten übergesiedelt ist, 14 kg Gewicht abgebaut haben. Eine Gewaltkur. Im Vorjahr war er bei 65 kg angelangt, drückte das Gewicht aber nochmals auf etwa 60 Kilogramm. Die Folge: sein Körper rebellierte. Hannawald fühlte sich zu schwach, um trainieren zu können, hatte Schlafstörungen, war permanent gereizt. Er nahm eine Auszeit und wurde daheim von seiner Mutter auf nun wieder rund 65 kg hochgepäppelt. Junioren, die keiner kennt, oder der Österreicher Christian Moser und das in der Versenkung verschwundene deutsche Jungtalent Michael Uhrmann sind andere Fälle, in denen Skispringer beim Gewichtmachen ihre Gesundheit riskierten.

Zu dieser Entwicklung hat ungewollt Ende der 80er Jahre der Schwede Jan Bokloev beigetragen. Als er bei einem verunglückten Versuch die Skispitzen zu einem V geöffnet hatte, lag er plötzlich auf einem Luftpolster. Das trug ihn weit hinunter, weiter als sonst. Der Erfolgsstil der 90er Jahre war geboren - auch Bokloev- oder V-Stil genannt.

"Er hat den Wandel des Skispringens von einer Schnellkraftsportart zum technischen Sport eingeleitet, in dem die Aerodynamik immer wichtiger wurde", sagt Walter Hofer, FIS-Sprungdirektor aus Österreich. Mit erweiterten Skiflächen und überdimensionierten Ballon-Anzügen wurde der Auftrieb entscheidend angehoben. Je leichter der Springer, desto mehr konnte er die aerodynamischen Kräfte nutzen. Weniger die athletische Sprunkraft,sondern mehr das Fluggefühl, kombiniert mit technischen Finessen, entschied über Weiten und Siege.

Walter Hofer und die zuständige FIS-Kommission haben mit Regeländerungen versucht, diesen Trend abzuschwächen. Da wurde die Skilänge abhängig zur Körpergröße verordnet, da wurde die Luftdurchlässigkeit der Anzüge modifiziert oder der Schwerpunkt der Ski verschoben. Doch der Vorteil der Leichtgewichte konnte damit nicht wirksam beschnitten werden.

Deshalb hat die FIS nach Ende des letzten Winters erneut am Reglement gebastelt. Die Ski sind nun schmaler und die Sprunganzüge wieder enger am Körper. Hofer: "Der Faktor Sprungkraft soll gegen die Aerodynamik besser zur Geltung kommen. Nicht die Superleichten, sondern der Durchschnittstyp im Springen - 1,76 Meter groß und 68 Kilogramm schwer - soll wieder ein faire Chance erhalten." Die FIS habe nur indirekt auf den gefährlichen Trend reagieren können. So wie das Regelwerk, der 3,05 m hoch hängende Korb, im Basketball vornehmlich großgewachsene Sportler aufs Parkett bringe, sollen die jetzigen Regeln den erwähnten Springertyp auf das Podium führen. Ob das gelingt, wird man sehen. Wenn nicht, wird die FIS im nächsten Frühjahr wieder über neue Vorgaben brüten müssen. Hofer: "Skispringen ist nie ein starres System gewesen, sondern war immer fließender Prozess."

Ernst Podeswa

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