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Ein Brett, ein Bein, eine respektable Leistung. Alexander Ilinow auf der Piste. Der Russe belegte am Ende Platz 27.

© dpa

Snowboard erstmals im Programm: Die Tanzparty der Paralympics

Bei der Premiere des Snowboard-Wettbewerbs sehen amüsierfreudige Zuschauer Sportler mit Glamour.

Erst den Salsaschritt üben und dann den Sprung über den Schneehügel. Jetzt den Rumbahüftschwung trainieren und danach den Kantengriff des Boardes perfektionieren. Amy Purdy, 34 Jahre alt, hat während der Paralympics in Sotschi gleich ein doppeltes Training absolviert – auf der Piste und auf dem Parkett. Am Freitag nahm sie am ersten Snowboard-Crosslauf der Geschichte der Paralympics teil, und am heutigen Sonnabend steigt sie schon wieder ins Flugzeug nach Los Angeles, zur US-Fernsehshow "Dancing with the Stars".

Erstes Gold an Bibian Mentel-Spee

Aber erst mal hat die Frau aus San Diego, um die sich in der Interviewzone in Rosa Khutor Kamerapulks drängen, mit 2:14,29 Minuten in den besten zwei von drei Läufen auf der Piste an der Aibga-Bergkette die Bronzemedaille geholt. Silber bei den Frauen ging an die Französin Cécile Hernandez-Cervellon. Die erste paralympische Snowboardmedaille in Gold auf der zuvor wegen der olympischen Boardercrossunfälle entschärften Piste über 140 Höhenmeter erfuhr sich Bibian Mentel-Spee aus den Niederlanden (1:57,43). Jede der bunt gekleideten Starterinnen hier hat eine Geschichte zu erzählen – und bereits Geschichte geschrieben. Die 40 Jahre alte Mentel-Spee war sechsfache holländische Meisterin in Halfpipe und Snowboardcross, bevor ihr rechter Unterschenkel wegen einer Krebserkrankung amputiert werden musste. Vier Monate nach der Operation stand sie schon wieder dank ihrer Sportprothese auf dem Brett. Und gestern schob die riesige niederländische Fangemeinde Mentel-Spees Sohn scherzhaft in einer Mülltonne zur Feier des Sieges im Schnee herum: Orange ist nur die Müllabfuhr. Und das Siegerdress.

Feiern können sie, die Boarder, und auch die Zuschauer. Auf den mit Stahlstangen hochgezogenen Besucherrängen war es bei den Paralympics noch voller als sonst. Jetzt scheint die jüngste Disziplin der Spiele dem bisherigen Zuschauermagneten, dem Sledgehockey, den Rang abzulaufen. Rockmusik dröhnte aus den Lautsprechern, und jeden der elf weiblichen und 44 männlichen Starter, unter anderem aus Brasilien und Argentinien, bejubelten die Russen frenetisch. "Für mich ist jeder Einzelne hier ein Held, alle haben Gold verdient", ruft Victoria Jakowka in all ihrem begeistert zusammengekratzten Englisch in der Pause zwischen zwei La Olas. Die Frau aus Sotschi sitzt mit ihrem Mann, dem kleinen Sohn und natürlich „Russia“-Flagge auf der Tribüne. Sie würden den Kopf schütteln, könnten sie nur die Vita von Fahrerinnen wie Amy Purdy lesen.

In Sotschi schwang Amy Purdy auf dem Snowboard über Wellen und an Schräghängen entlang.
In Sotschi schwang Amy Purdy auf dem Snowboard über Wellen und an Schräghängen entlang.

© imago

Para-Snowboarding bei den X-Games

Da steht: Massagetherapeutin, Make-up-Künstlerin, Schauspielerin, Mitbegründerin der Organisation "Adaptive Action Sports" und Sprecherin der "Challenged Athletes Foundation". Mit ihrem Lebensgefährten Daniel Gale hat sie sich erfolgreich dafür stark gemacht, dass Para-Snowboarding unter anderem bei den "X-Games" aufgenommen wurde. Und, so steht ganz zum Schluss da noch beiläufig: "Sie ist auch zweifach beinamputiert." Im Alter von 19 Jahren litt Purdy an bakterieller Meningitis, und beide Unterschenkel mussten ab. Aber sie überlebte, knapp. Zwei Jahre danach musste ihr Vater ihr eine Niere spenden. Jetzt schwang sie über Wellen und an Schräghängen entlang, als ob nichts gewesen wäre. Hat sie nicht Sorge, dass sich bei den Sprüngen oder auch mal Stürzen ihre Beinstümpfe aus den Prothesen lösen könnten? "Nein", sagt sie lachend, "ich hab eine Menge technisches Equipment unten dran."

Sein vom Szene-Spezialisten Ottobock entwickeltes "Pro-Carve-Bein" hat dem ersten und bislang einzigen deutschen Paralympics-Snowboarder Stefan Lösler die gegnerische Unfallversicherung bezahlt. Der 29-Jährige hatte vor dreieinhalb Jahren eine kostbare Ladung in seinem Auto sichern wollen, ein Tonmischpult. Er hielt mit seinem Auto regelgerecht, ging nach hinten, da fuhr ein mit 2,0 Promille alkoholisierter Mann im Auto auf. "Zum Glück hat er nur mein linkes Bein erwischt", sagt Lösler, der in Graz Ton- und Elektrotechnik studiert.

Lauter Applaus für Stefan Lösler

Anfangs bekam er Medikamente, dann hat er seinen linken Beinstumpf in den Unterdruckstrumpf der Hightech-Prothese gesteckt. "Ich musste umlernen, bin auch gut hingestürzt, habe aber daraus einfach gelernt", sagt Lösler, der vor seinem Unfall auch Snowboardlehrer war. Er wusste, dass er als vergleichsweise schwer Behinderter bei der noch unausgereiften Klassifizierung beim Snowboarden chancenlos gegen die nur Unterschenkelamputieren sein würde.

Als Stefan Lösler, der sich anders als Amy Purdy selbst trainiert, nach einem Sturz durch den Fangzaun hindurch wieder auf die Piste hochkrabbelte, gab es so lauten Applaus wie sonst nur für die Russen und die Ukrainer. Jetzt muss Lösler wie Purdy auch etwas anderes trainieren. Eigentlich ist er Triathlet.

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