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Freiwillig hier – oder Volunteer? Um leere Ränge zu füllen, werden viele Helfer auf die Zuschauerplätze delegiert. Zu erkennen sind sie an der offiziellen Olympia-Bekleidung.

© AFP

Stimmung bei Olympia: Begeisterung auf kleiner Flamme

In Sotschi bleiben viele Plätze leer, und die Stimmung ist oft einseitig, weil kaum Ausländer gekommen sind. Das IOC zeigt sich besorgt und fordert volle Stadien – die Veranstalter füllen Lücken deshalb mit Helfern.

Wer dieser Tage in Sotschi oder im olympischen Bergdorf Krasnaja Poljana unterwegs ist, hat es schwer, diverse Party-Animationsversuche zu ignorieren. An quasi jedem zentralen Platz in den beiden olympischen Veranstaltungsorten schmettern Discjockeys in aufgebauten Bretterbuden Technoähnliches durch die Lautsprecher. Vor den Musikhäuschen versuchen als Fans getarnte Animateure in bunten Kostümen und unsinnigsten Verkleidungen – etwa als Riesenplastikhuhn – das vorbeilaufende Volk zum Tanzen zu nötigen. Doch es bleibt kaum jemand stehen, weil kaum jemand vorbeikommt: Es gibt erstaunlich wenige Fans bei den Winterspielen, vor allem aus dem Ausland.

Das ist das große Dilemma von Sotschi, das sich bei allen Veranstaltungen beobachten lässt. Viele leere Sitze beim Biathlon, noch mehr leere Sitze beim Eisschnelllauf und ganz wenige Zuschauer beim Rodeln oder beim Public Viewing in der Stadt am Schwarzen Meer. Selbst bei den alpinen Veranstaltungen geht der Blick sofort auf leere bunte Plastikschalensitze auf den Tribünen aus Stahlrohr. Sotschi ist bislang Olympia auf kleiner Flamme.

Teure Flüge, teure Hotels, wenig Touristenattraktionen

Es gab schon vor den Spielen Anzeichen dafür, dass viele ausländische Fans auf eine Reise nach Russland verzichten. Teure Flüge, teure Hotels, wenig Touristenattraktionen in der Region Krasnodar, dazu kommen der ganze Aufwand mit den Beschaffungen von Visa und eine abschreckende Prozedur mit den Eintrittskarten. Für jede Veranstaltung braucht der Zuschauer einen zusätzlichen Ausweis. Jeder, der eine Sportstätte betritt, wird eingescannt. Viele Zuschauer wirken deswegen genervt, zudem sind die Veranstaltungen oft nur mit langen Wartezeiten zu erreichen. Die Gondelbahnen zum Biathlon-Stadion sind regelmäßig überlastet, wenn die Zuschauer den Heimweg antreten. Wartezeiten von zwei Stunden auf eine viel zu kleine Gondel sind normal, dabei war das Stadion bisher noch nicht einmal ausgelastet.

Die Organisatoren haben bereits eingestanden, dass sie viele der zu den Spielen beschäftigten „Volunteers“, der freiwilligen Helfer, auf die Tribünen lassen, um Lücken zu füllen. Das fällt auf, weil die Damen und Herren die offizielle Olympia- Kluft tragen. Mitunter scheint sich das Verhältnis gespielte Zuschauer und echte Zuschauer anzunähern. Die Sprecherin vom Organisationskomitee SOCOC, Alexandra Kosterina, sagte, dass es zudem „Motivierungsprobleme“ bei den russischen Zuschauern gebe. Bis auf die neueren Ski-Trendsportarten sind fast alle Sportarten, die in den Bergen ausgetragen werden, nicht so populär. Die Russen mögen vor allem Eishockey und Eiskunstlauf.

Der Rest gondelt noch. Die Wege in die Berge sind mit viel Wartezeit verbunden.
Der Rest gondelt noch. Die Wege in die Berge sind mit viel Wartezeit verbunden.

© Reuters

Die Olympia-Organisatoren in Sotschi sehen beim Ticketverkauf und bei der Auslastung aber keinen Grund zum Klagen. An den ersten Wettkampftagen seien jeweils mehr als 90 Prozent der Eintrittskarten verkauft gewesen. Insgesamt sollen bisher 925 000 Karten abgesetzt sein, davon mehr als 70 Prozent an russische Zuschauer. Die Eintrittspreise lägen im Schnitt bei umgerechnet 84 Euro, die günstigsten Tickets seien für etwa 10 Euro zu haben. Kosterina sagte mit Blick auf Medienberichte über viele leere Plätze bei Olympia, dass einige Zuschauer länger brauchten, um zu den Anlagen zu kommen. „Wer extra nach Bildern mit leeren Plätzen sucht, findet die auch“, sagte sie.

Ausländische Fans sind in den Straßen kaum zu entdecken

Doch viele Karten sind angesichts mangelnder Nachfrage an die Sponsoren der Spiele vergeben worden. OK-Sprecherin Kosterina gab die Zahl der verkauften Tickets am zweiten Wettkampftag mit 59 000 an – eine Zahl, die sich am besagten Tag kaum zusammenrechnen ließ. Erstaunlich ist auch, dass die offiziellen Angaben der Kapazitäten mit denen, die im Stadion angegeben werden, oft nicht übereinstimmen. Sowohl die Skisprunganlage als auch das alpine Skistadion in Rosa Chutor bieten offiziell Platz für je 7500 Besucher. Beim Skispringen der Männer und bei der Super-Kombination der Frauen sagten die Stadionsprecher, dass je 10 000 Zuschauer ins Stadion passen würden – so viele waren aber niemals dort.

Besonders auffällig ist, dass fast ausschließlich russische Zuschauer bei den Veranstaltungen sind. Oft ist nur „Rossija, Rossija“ als Schlachtruf zu hören. Das gibt bei den Wettbewerben eine einseitig-monotone Stimmung. Eisschnellläuferin Claudia Pechstein bekam das in ihrem Lauf über 3000 Meter schmerzlich zu spüren. Als sie ihr Rennen schnell anging, waren die Zuschauer mucksmäuschenstill. Als die Deutsche gegenüber der zuvor gelaufenen Russin Olga Graf zurückfiel, tobte das russische Publikum.

„Das war in Vancouver schon mal anders“, sagte der sportliche Leiter der Ski-Freestyler, Heli Herdt, „da sind alle gleichermaßen angefeuert worden. Das war ein deutlich faireres Publikum.“

Gerhard Heiberg, Marketing-Chef beim Internationalen Olympischen Komitee (IOC), sagt: „Die Stadien sind nicht voll, es fehlt der Enthusiasmus.“ Das IOC betrachte das mit Unbehagen. Die Organisatoren müssten nun dafür „sorgen, dass die Stadien voll werden“. Doch woher die Zuschauer nehmen? Ausländische Fans sind in den Straßen kaum zu entdecken. Angeblich sollten 10 000 US-Amerikaner kommen. Davon ist wenig zu spüren.

Allerdings war Olympia in seiner Geschichte nicht immer ein Zuschauermagnet. In Turin gab es 2006 auch oft leere Ränge. An die Begeisterung in Vancouver 2010 kommt Sotschi aber kaum heran. Allerdings stehen noch zuschauerträchtige Wettbewerbe an, im Eiskunstlauf und besonders das Eishockeyturnier der Männer. Für das gibt es ab dem Viertelfinale keine Karten mehr im freien Verkauf, die größte Online-Ticketbörse bietet eine Finalkarte für 1625,74 Euro an. Zumindest da ist das Zuschauerinteresse vorhanden: Womöglich bekommen die Discjockeys und Riesenhühner in den Straßen der Olympiaorte bald doch Kundschaft.

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