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Völlig vogelfrei. Corey Graham und die Philadelphia Eagles gehen als krasser Außenseiter in den Super Bowl.

© Matt Slocum/dpa

Super Bowl 2018: Ganz Philadelphia sehnt sich nach dem Titel

Die Philadelphia Eagles können im Super Bowl gegen die New England Patriots die Sehnsucht ihrer sportverrückten Heimatstadt beenden.

Vor einem halben Jahr ist Lane Johnson noch belächelt worden. Er hatte den Mund ja auch ziemlich voll genommen. „Wenn wir den Super Bowl gewinnen, gibt es Freibier für alle“, sagte der Profi der Philadelphia Eagles vor dem Saisonstart der US-amerikanischen National Football League (NFL) im Sommer 2017. Mittlerweile wird Johnson immer wieder darauf angesprochen, weil sein Witz von damals schon fast Realität geworden ist. Nur einen Sieg sind die Eagles, dieser stolze und traditionsreiche Klub, gegründet 1933, davon entfernt, endlich die erste Super-Bowl-Trophäe nach Hause zu bringen. Am Sonntag (22.50 Uhr, ProSieben) haben sie erneut die Chance dazu, zum dritten Mal; dann trifft das Team aus Pennsylvania im NFL-Endspiel in Minneapolis auf Titelverteidiger New England Patriots. Philadelphia ist dabei zwar Außenseiter, aber bei einem Blick auf die Play-offs muss das gar nichts bedeuten.

Die „Birds“, wie das Team daheim liebevoll genannt wird, haben in dieser Saison eine Geschichte geschrieben, wie sie die Amerikaner lieben: vom Underdog zum Finalisten. Spätestens nach der schweren Verletzung von Star-Quarterback Carson Wentz (Kreuzbandriss) schien das Urteil gefällt, obwohl das Team bis dahin überragend spielte: Play-offs? Vielleicht. Aber echte Titelchancen? Niemals! Bereits in seiner ersten Profi-Saison hatte der Hype um Wentz in und um Philadelphia verrückte Züge angenommen, die Fans tauften sogar ihren Staat um – in Wentz-Sylvania. Dass neben dem Quarterback weitere Schlüsselspieler verletzt ausfielen, machte die Sache nicht besser. Nach überraschenden Siegen gegen Atlanta und Minnesota im Viertel- respektive Halbfinale fehlt nun also nur noch ein Sieg. Lane Johnson hat bereits betont, Wort zu halten und die Spendierhosen anzuziehen.

Es ist kaum auszudenken, was bei einem Erfolg der Eagles in Philadelphia abgehen würde. Nach dem Sieg im Halbfinale musste die Stadt schon präventiv eingreifen und alle Straßenlampen einschmieren lassen, damit die Fans in ihrer Euphorie nicht draufklettern. Einer der größten Bierhersteller des Landes hat vorsorglich eine „epische Feier“ angekündigt, ohne ins Detail gehen zu wollen.

Die Sehnsucht nach dem ersten Sieg im Super Bowl ist tief in Philadelphia

Philadelphia gilt als die wohl verrückteste unter jenen 13 US-Metropolen, die in jeder der vier großen Ligen (Football, Basketball, Baseball, Eishockey) über ein Team verfügen. Phillys Sportfans sind ebenso berühmt wie berüchtigt – für ihre Verbundenheit, ihren Stolz, ihre Leidenschaft, aber auch für ihren Wankelmut, besonders die Anhänger der Eagles. Wenn es gut läuft in ihrem Heimstadion, das wie viele andere Arenen den Namen einer Großbank trägt, kann es bis auf die obersten Plätze unter dem Dach ohrenbetäubend laut werden; Menschen tragen die wildesten Kostüme und flippen komplett aus. Der Umkehrschluss gilt allerdings genauso: Wenn es nicht läuft, wenn die Einstellung fehlt und das Ergebnis nicht stimmt, können die Fans auch richtig giftig, aggressiv und, ja, beleidigend werden. Dabei sind Sportarenen in den USA für gewöhnlich recht friedvolle Orte, an denen Fans unterschiedlicher Lager wild gemischt auf den Tribünen sitzen. In Philadelphia ist dagegen ausdrücklich davon abzuraten, mit dem Trikot der Auswärtsmannschaft ins Stadion zu gehen. Wer bei der Vereinshymne – „Fly, Eagles, fly, on the road to victory!“ – nicht mitsingt, muss sich von seinen Sitznachbarn ein paar ordentliche und deftige Sprüche anhören.

Der raue Umgangston ist nicht zuletzt Ausdruck einer tiefen, unerfüllten Sehnsucht, der Sehnsucht nach dem ersten Super-Bowl-Sieg. 1960 gewannen die Eagles zwar die Meisterschaft, damals wurde sie aber noch nach anderem Modus ausgespielt; der erste Super Bowl fand erst 1967 statt. Überhaupt hat die Stadt viele legendäre Sportler hervorgebracht, Smokin Joe Frazier zum Beispiel, dessen Denkmal bis heute zwischen Football- und Baseball-Stadion steht. Oder Wilt Chamberlain, den einzigen Basketballer, der in einem NBA-Spiel die Grenze von 100 (!) Punkten knackte. Nicht zu vergessen natürlich der ewige und ewig fiktive Hollywood-Boxheld Rocky Balboa. Seine Statue und die 72 Treppenstufen am Museum of Art sind bis heute eine der am höchsten frequentierten Sehenswürdigkeiten und ein beliebter Ort, um Touristen für ein Erinnerungsfoto ein paar Dollar aus der Tasche zu leiern.

Nur im Football hat Philly seit Jahren nichts gerissen. Am Sonntag soll sich das endlich ändern. Falls Lane Johnson tatsächlich allen Bewohnern Bier ausgeben muss, trifft es übrigens keinen Armen: Der Tackle hat im Sommer 2017 einen Vertrag über fünf Jahre unterschrieben, der ihm 56 Millionen Dollar garantiert.

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