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© Ullstein-Bild

Buchempfehlung: Lebensgefahr in Flanellhosen

Kein Match war je wichtiger als die Davis-Cup-Begegnung Gottfried von Cramm gegen Donald Budge. 1937: Es steht 2:2 als der Deutsche und der Amerikaner den Platz betreten. Doch in dieser Partie geht es um wesentlich mehr, als den Sieg im Mannschaftswettbewerb.

Ganze 416 Seiten über ein Tennismatch? Die Anlage, die Marshall Jon Fisher für sein Buch „Ich spiele um mein Leben“ wählte, mutet auf den ersten Blick etwas einschläfernd an: Fünf Kapitel für fünf Tennissätze zwischen Baron Gottfried von Cramm und Donald Budge im Halbfinale des Davis-Cups 1937 bilden den kompositorischen Rahmen dieses Werkes. Diese Kapitel jedoch einzig mit Geschichten über Volleys und Aufschläge zu füllen ist nicht Anliegen des Autors. Fisher zeichnet ein präzises historisches Bild des Tennissports jener Ära und des Davis-Cups, eingebettet in die gesellschaftlichen Entwicklungen der Zeit und verfeinert durch die Lebensgeschichte dreier herausragender Sportler.

Gottfried von Cramm hat tatsächlich um sein Leben gespielt

Dabei ist allein die sportliche Ausgangslage der Begegnung aufregend genug: Der 20. Juli 1937, der letzte Tag des Davis- Cup-Halbfinals zwischen Deutschland und den USA. Es steht 2:2, als die befreundeten Cramm und Budge den Rasenplatz in Wimbledon betreten, wo das Match ausgetragen wird, da der Sieger im damaligen Modus später dort den Titelverteidiger Großbritannien herausfordern wird. Da die Briten in jenem Jahr jedoch als chancenlos gelten, wissen Cramm und Budge, dass der Sieger dieses Matches gleichsam als Cup-Gewinner gefeiert würde.

Und doch sind es vor allem die politischen Implikationen, die in den Vordergrund treten. Es spielen auf diesem Rasenplatz eben nicht die weltbesten Amateure. Wie zur selben Zeit etwa in den Boxkämpfen Max Schmeling gegen Joe Louis medial inszeniert, tritt Demokratie gegen Faschismus an. Und Cramm weiß, dass er selbst im Grunde um sein Leben spielt. Der adelige Deutsche war kein Freund der Nazis, hatte kein Parteibuch und auch wenn er seine Homosexualität nicht offen auslebte, stand er unter Beobachtung der Gestapo. Der Ausschluss und die Emigration seines jüdischen Mannschaftskollegen Daniel Prenn 1933 hatte ihm den Ernst der Lage deutlich gemacht. Der Pokal, der erstmals überhaupt in greifbarer Nähe scheint, könnte ihn vielleicht vor dem Zugriff der Nazis, der ihn wenig später tatsächlich ereilen sollte, retten.

Die Spieler waren Amateure und tranken in den Pausen Tee

Mit viel Liebe zum Detail erzählt Fisher die Geschichte Cramms, zweifacher French-Open-Sieger, dreifacher Wimbledon-Finalist und größtes deutsches Tennisidol vor Boris Becker. Es darf jedoch nicht unerwähnt bleiben, dass der deutsche Titel den Blick zu Unrecht auf Cramm allein lenkt. Das englischen Original („A Terrible Splendor – Three Extraordinary Men“) offenbart, dass der Fokus ebenso auf dessen Gegner Dod Budge und „Big“ Bill Tilden liegt, letzterer der größte Tennisstar jener Ära, der nun Gottfried von Cramm trainierte. Wenn es an diesem akribisch recherchierten Buch etwas zu bemängeln gibt, dann vielleicht, dass das Sportereignis selbst, das immerhin für lange Zeit als das „beste Tennismatch aller Zeiten“ gelten sollte, gegenüber den zeithistorischen und biografischen Aspekten etwas in den Hintergrund tritt.

Dafür zeichnet Fisher ein präzises Bild des Tennis zu einer Zeit, als die Spieler Amateure waren, die in langen Flanellhosen spielten und in den Pausen Tee tranken, die Schläger aus Holz und die Bälle weiß waren. Zweifellos ist dies eines der besten Tennisbücher der vergangenen Jahre.

Marshall Jon Fisher: Ich spiele um mein Leben. Gottfried von Cramm und das beste Tennismatch aller Zeiten. Osburg Verlag. 416 Seiten, 22,90 Euro.

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