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Vom Rand an die Spitze. Paul Biedermann versteckte sich ganz außen auf Bahn acht und überraschte die Favoriten. Foto: dpa

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Sport: Tiefergelegt zum Titel

Schwimmer Paul Biedermann holt doch noch Gold. Lange litt er unter Übergewicht und falscher Taktik

Berlin - So weit ist es also gekommen, Paul Biedermann muss sich jetzt verstecken, abtauchen in die Unauffälligkeit. Nur dann kommt er wieder richtig groß raus. Biedermann pflügte auf Bahn acht durchs 25-Meter-Becken, ganz außen also, gut so, sagte Biedermann. „Da hat mich keiner gesehen.“ Da hatte keiner der Top-Stars bemerkt, wie er sich nach vorne schob, und als sie es bemerkten, da war es zu spät, da war Paul Biedermann in Dubai schon Kurzbahn-Weltmeister über 400 Meter Freistil.

Na bitte, hat er also doch noch seine Medaille, der Doppel-Weltmeister und Weltrekordler. Die Kurzbahn zählt bei Schwimmern eigentlich nicht sehr viel, die echten Härteprüfungen finden im 50-Meter-Becken statt. Doch nach dem Gold mutierte Biedermanns Kommentar über den Sieg zum erleichterten Stoßseufzer. „Das ist schon wichtig für mich zu wissen, was ich drauf habe, dass ich doch vorne mitschwimmen kann.“

Vorne? Er meint: ganz vorne. Dort, wo er hingehört, seiner Ansicht nach und nach der Einschätzung der Medien und der Trainer. Es gab einige Gründe dafür, dass er in diesem Jahr daran zweifeln konnte. Seit Jahresbeginn dürfen sich Schwimmer nicht mehr in High-Tech-Anzüge zwängen, verboten durch den Weltverband. Biedermann begrüßte das, grundsätzlich zumindest. Das Problem war nur, dass er ein paar Kilogramm zu viel wog. Die Anzüge mit ihrem enormen Auftrieb haben das wettgemacht, aber in Badehose lag Biedermann erst mal im Wasser wie ein tiefergelegter Manta auf der Straße. „Ich habe mir die Umstellung leichter vorgestellt“, hatte er schon früh in der Saison gesagt. Eher mühsam trainierte er sich das Übergewicht ab.

Das war eines seiner Probleme in diesem Jahr. Das andere hängt mit der Renntaktik zusammen. In den Anzügen spürte man Schmerzen später, man konnte länger schnell schwimmen. Das Problem ist nun, dass viele Stars ihre Kräfte in Badehose nicht entsprechend dosieren. Sie starten so schnell wie früher und hoffen, dass ihnen erst dann schwarz vor Augen wird, wenn sie schon angeschlagen haben. Darauf war Biedermann nicht vorbereitet. Er bummelt gern auf der ersten Streckenhälfte und vertraut dann auf seinen grandiosen Schlussspurt. So hatte er bei der WM 2009 Michael Phelps über 200 Meter Freistil „zu Brei gemacht“ (Phelps). Doch bei der Europameisterschaft 2010 in Budapest traf Biedermann auf der gleichen Distanz auf den jungen Franzosen Yannick Agnel, und der hatte einen noch stärkeren Schlussspurt als der Deutsche. Agnel gewann Gold, Biedermann Silber. „Er muss absolut seine ersten 100 Meter verbessern. Sonst wird er auf 200 Meter kein Land sehen. Das habe ich ihm schon fünfmal gesagt“, hat Britta Steffen fast verzweifelt erzählt. Spät im Jahr hörte Biedermann dann auf seine Freundin. Und auch auf seinen Trainer Frank Embacher, der härteren Trainingseinsatz forderte.

Der Erwartungsdruck kam verschärfend hinzu, Biedermanns eigener und jener der Öffentlichkeit. In Budapest war er Gefangener seiner Gedanken. „Ich habe mir eingeredet: Wenn es über die 200 Meter nicht Gold wird, hast Du die Erwartungen nicht erfüllt.“ In Zeitungsschlagzeilen las er dann: „NUR Silber“. Nur? „Nur“ ist eine Frechheit, Silber ist trotz taktischer Fehler eine starke Leistung, aber Silber relativiert sich schnell, wenn man die eigene Fallhöhe sehr hochgeschraubt hat. „Je höher Du steigst, um so schwieriger wird es, Niederlagen zu verkraften“, hatte Biedermann im August der „Süddeutschen Zeitung“ gesagt. Er dachte an Phelps, aber im Grunde genommen redete er auch über sich. Bei der Kurzbahn-EM in Eindhoven benötigte er über 200 Meter Freistil 1,1 Sekunden länger als der Sieger Danii Isotow aus Russland, eine bittere Niederlage, aber er hatte schon früh erklärt, dass die EM für ihn nicht oberste Priorität habe. Doch bei Biedermann gelten keine Zwischentöne, er steckt in der Falle, in der jeder Topstar ist, der hohe Maßstäbe gesetzt hat.

Allerdings ist es derzeit bei ihm auch schwer, die Grenze zwischen vermeidbaren Fehlern und überzogenen Erwartungen zu ziehen. Seine Stimmung schwankt enorm. Im Finale über 400 Meter triumphierte der Kämpfer Biedermann. Ein paar Stunden zuvor seufzte der Fatalist Biedermann, bezogen auf den Endlauf: „Mir war’s eigentlich egal. Es hätte ja nur besser als Platz acht werden können.“

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