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Erst fliegt er, dann schießt er, dann jubelt er. Timo Werner nach seinem umstrittenen Elfmeter gegen Schalke.

© dpa

Timo Werner und seine Schwalbe: "Am schlimmsten ist, dass er sich dafür auch noch feiern ließ"

Paul Mitscherlich von Germania Schöneiche hat in der Landesliga absichtlich einen Elfmeter verschossen. Hier erzählt er, warum und was er von Timo Werners Schwalbe hält.

Paul Mitscherlich, Sie haben am Sonnabend beim Spiel Ihrer Mannschaft Germania Schöneiche in Kolkwitz absichtlich einen Elfmeter verschossen. Warum?
Ich konnte ihn einfach nicht reinschießen, es fühlte sich nicht richtig an. Der Schiedsrichter hatte das gesamte Spiel über schon für uns gepfiffen, strittige Entscheidungen legte er stets zu unseren Gunsten aus. Beim Elfmeter lag er dann völlig daneben. Es war ein Geschenk und jeder auf dem Platz hatte es gesehen.

Wie haben Sie die Szene verfolgt?
Ich stand in unmittelbarer Nähe und hatte beste Sicht. Nach einem Einwurf gab es einen leichten Rempler im Strafraum und unser Stürmer ist einfach umgefallen. Als ich zum Punkt gegangen bin, hatten wir Augenkontakt. Er grinste mich an, spätestens da wusste ich, dass es kein Foul war.

Zu diesem Zeitpunkt lag Schöneiche 0:1 zurück, es lief die 80. Minute. Ihre Mannschaft ist nur drei Punkte vom Tabellenende der Landesliga Süd entfernt, Sie hätten einen wichtigen Punkt im Abstiegskampf sichern können. Warum also diese ungewöhnliche Entscheidung?
Sie sagen es ja, es war ein wichtiges Spiel, auch für den Gegner. Kolkwitz hatte genauso viel investiert wie wir, sie waren genauso viel gerannt, hatten genauso gekämpft und dann kam da dieser Pfiff, der sie um den Lohn ihrer Arbeit gebracht hätte. Es ist komisch, aber mir tat der Gegner in diesem Moment einfach leid.

Sie haben den Ball dann einfach zum Torwart zurückgespielt. Der Kolkwitzer Kapitän sagte später, er hätte in diesem Moment Gänsehaut gehabt. Ein gegnerischer Spieler umarmte Sie kurz nach der Rückgabe. Wie fühlten Sie sich dabei?
Elend. Obwohl ich wusste, dass ich das Richtige getan hatte. Ich wollte nicht umarmt werden, ich wollte auch nichts hören. Als der Schiedsrichter abpfiff, kämpfte ich mit den Tränen. Ich bin sofort in die Kabine gerannt, die Emotionen haben mich einfach übermannt. In der Nachspielzeit hatte ich noch einen Freistoß an die Latte geschossen, es sollte einfach nicht sein. Vom Beifall der Zuschauer hab ich nichts mitbekommen und auch nicht, dass die Kolkwitzer Fans später Geld für unsere Mannschaftskasse gesammelt haben.

Paul Mitscherlich, 33, ist Spielertrainer der zweiten Mannschaft von Germania Schöneiche in der Landesliga. Früher spielte er für den Klub in der Oberliga.
Paul Mitscherlich, 33, ist Spielertrainer der zweiten Mannschaft von Germania Schöneiche in der Landesliga. Früher spielte er für den Klub in der Oberliga.

© promo

Wie haben Ihre Mitspieler reagiert?
Einige haben mir noch während des Spiels auf die Schulter geklopft und gesagt, dass es richtig war. Andere haben gar nichts gesagt, aber an ihren Gesichtern war abzulesen, dass sie vielleicht nicht ganz so einverstanden waren. Ich kann die Jungs ja auch verstehen. Wir haben diese Saison so viele Spiele knapp verloren, oft Pech gehabt und dann bringe ich uns auch noch absichtlich um ein Erfolgserlebnis. Aber nochmal: Ich konnte ihn einfach nicht verwandeln, diesen Elfmeter.

Wirklich nur, weil Ihnen der Gegner leid tat? Oder steckte mehr dahinter?
Wissen Sie, ich bin nicht nur Kapitän und mit 33 Jahren einer der Erfahrensten, sondern gleichzeitig auch der Trainer. In diesem Moment ging es nicht nur um Punkte, sondern darum, Vorbild zu sein. Und was für ein Vorbild wäre ich, wenn ich als Trainer auch noch aktiv beim Betrügen mithelfe?

Wenige Stunden nach Ihrer Entscheidung trug sich beim Bundesliga-Spiel zwischen RB Leipzig und Schalke 04 das Gegenteil zu. Leipzigs Timo Werner ließ sich im Strafraum fallen und verwandelte den geschenkten Elfmeter anschließend. Was denken sie über Werners Verhalten?

Ich habe den ganzen Sonntag die Debatten verfolgt, im Fernsehen und in den Zeitungen. Am schlimmsten finde ich, dass er den Elfmeter auch noch selbst geschossen hat und sich anschließend wie ein Held feiern ließ. Timo Werner ist noch jung, in der Bundesliga geht es um sehr viel Geld und natürlich ist es etwas anderes, wenn du absichtlich einen Elfmeter vor 60 Zuschauern auf dem Sportplatz verschießt statt vor 50.000 in einem Stadion. Aber er hätte ein Zeichen setzen können, das nicht nur in Deutschland große Beachtung erfahren hätte. Werner mag ein Tor geschossen haben, aber ich finde, er hat eine große Chance vertan.

Einige fanden, Werner sei einfach clever.
Was bitte ist daran clever? Ist clever jetzt ein Synonym für Betrügen? Sich einen Tag später hinzustellen und zu sagen: ‚Es war eine Schwalbe', das ist nicht schwer. Schwer ist es, auf dem Platz zuzugeben, dass es eine Schwalbe war. Die Kultur der Fairness hat im Sport allgemein sehr gelitten und wenn die Profis, also die Aushängeschilder ihrer Sportarten, auch noch so tun, als wäre Betrug nur eine andere Bezeichnung für Cleverness, dann haben wir ein Problem.

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