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Sport: Tod eines Kämpfers

"Ich weiß gar nicht, wie ich beginnen soll, nur kann ich dir so viel sagen, dass die Lage hoffnungslos ist. Mittlerweile kann ich überhaupt nicht mehr schlafen.

"Ich weiß gar nicht, wie ich beginnen soll, nur kann ich dir so viel sagen, dass die Lage hoffnungslos ist. Mittlerweile kann ich überhaupt nicht mehr schlafen. Ich habe bei allen zuständigen Stellen gebettelt, mich einweisen zu lassen, nur leider ohne Erfolg."

Diese Sätze hat Thomas Schleicher am 2. November geschrieben. Als seine Mutter den Brief las, war Schleicher schon ein paar Stunden tot. Ein Wärter hatte ihn gefunden, im Gefängnis Salzburg, morgens um sieben. Schleicher hatte sich mit einem Ledergürtel erhängt, in seiner Zelle, die er mit drei weiteren Häftlingen teilte. Bis zum Ende muss er das Gefühl völliger Einsamkeit gespürt haben. Thomas Schleicher aus Straßwalchen im Salzburger Land hatte noch auf psychiatrische Hilfe gehofft, aber eigentlich schon aufgegeben. Mit 23 Jahren war er Vize-Europameister im Judo gewesen, mit 25 hatte er wegen Drogenhandels vor Gericht gestanden, jetzt mit 28, verurteilt zu fünf Jahren Haft, war er am Ende.

Die Geschichte des Thomas Schleicher ist die Geschichte eines Mannes, der langsam abrutscht. Als er sein Leben noch im Griff hatte und das Leben nicht ihn, da gehörte er zu den besten Judoka, die Österreich je hatte. Er war 1992 Junioren-Europameister, ein guter Techniker, der viel riskierte und verbissen trainierte. Eines der vielen Talente, die noch nicht ahnen, wie hart sie an sich arbeiten müssen, um nach oben zu kommen.

Schleicher stand im Niemandsland zwischen harter Arbeit und lockerem Leben. Er trainierte hart, aber nicht zielorientiert. Er war locker, aber nicht souverän, formbar in den Händen anderer. Freunde mochten seine Scherze, aber sie registrierten auch seine Gutgläubigkeit. So überlegte Schleicher nicht lange, als ihn 1995 ein Bekannter in den Roma Club mitnahm, ein Salzburger Edelbordell. Felix P., der Chef des Roma Clubs, wolle ihn sponsern, sagte man ihm. Das roch nach Geld, und Geld konnte Schleicher brauchen. Im Judo wird man nicht reich. Doch Felix P. stellte sich sein Sponsoring anders vor. Schleicher bekam nicht Schillinge, sondern Frauen. Für die Damen des Hauses musste er nichts bezahlen. Heute führt Silvia F. den Club, und sie sagt nur: "Was damals war, weiß ich nicht. Seitdem ich den Klub leite, gibt es das jedenfalls nicht mehr. Ich bin selber Judoka, ich habe den schwarzen Gürtel, und ich kann nicht verstehen, dass ein so prominenter Sportler wie Schleicher sich so verhalten hat." Sie kannte ihn, das gibt sie zu. "Er hat bei mir ein, zwei Drinks genommen." Natürlich umsonst.

Kontakt mit Kokain

Irgendwann kam Kokain ins Spiel. Irgendwann Mitte der neunziger Jahre. Schleicher war immer noch Judoka, aber bereits im Leben des Roma Clubs verankert. Dann bot ihm einer Kokain an. Charly K., ein Mann, der später bei Schleichers Verhaftung eine entscheidende Rolle spielen sollte. Schleicher war im seelischen Tief, er nahm eine Linie. Später sagte er: "Ich habe sehr gut auf das Zeug angesprochen." Aber noch war er vorsichtig. Er wurde häufig auf Doping kontrolliert, konnte sich kaum etwas erlauben. Auch nicht 1996, als er zum SC Berlin wechselte. Aber er verkaufte Kokain, nicht viel, angeblich auch an andere Judoka. Kokain erhöht kurzzeitig die Konzentrationsfähigkeit.

Schleicher ging weiter im Roma Club ein und aus. Der Club gehörte in besseren Salzburger Kreisen zum Anlaufpunkt, auch mehrere von Schleichers Teamkollegen tauchten dort auf. Aber noch war Schleicher nicht wirklich abgerutscht. Das kam erst ein paar Monate später. Kurz vor den Olympischen Spielen riss sein Kreuzband. Es gibt kaum eine schlimmere Sportverletzung, aber Schleicher mochte auf Olympia nicht verzichten und ließ sich erst ein Jahr später operieren. Dann entzündete sich sein Knie. Andere Sportler kämpfen sich nach solchen Verletzungen heran, doch Thomas Schleicher gab bald auf. "Ich habe immer alles gegeben fürs Judo. Jetzt ist meine Gesundheit ruiniert, und ich habe von all der Arbeit nichts gehabt", sagte er einmal. Natürlich war seine Gesundheit nicht ruiniert, natürlich hatte er von seinem Training vieles gehabt. Aber zum Kämpfen fehlten Schleicher Kraft und Selbstdiziplin.

Er tauchte mal wieder im Roma Club auf, und dort traf er auf Charly K. Jenen Charly K., der ihm mal Kokain verkauft hatte. Jetzt drängte ihn der Kumpel, eine größere Menge Kokain zu besorgen. Angeblich für einen deutschen Geschäftsmann. In Wirklichkeit war Charly K. ein V-Mann der österreichischen Kripo. Schleicher konnte helfen. Er kannte Aldas B., einen Judoka aus Litauen, Junioren-Europameister von 1992. B. machte Drogengeschäfte mit der russischen Mafia. "Thomas war fasziniert von dem dicken Auto, das Aldas fuhr, und von dem Geld, das er besaß", sagt Herbert Schleicher, der Vater.

Von der Russen-Mafia bedroht?

Am 5. April 1998 wollte er das Kokain von Aldas B. übernehmen, insgesamt 1,4 Kilogramm. Stattdessen griff die Kripo ein. Sie verhaftete fünf Personen. Neben Schleicher noch Aldas B. sowie zwei litauische Kuriere und einen Freund Schleichers, in dessen Auto die Übergabe stattgefunden hatte. In der Sportlerszene begann das große Zittern. Schleicher wollte auspacken. Doch vor Gericht wurde er schwammig, die Litauer habe er "nicht genau" erkannt. Vor der Kripo hatte er noch detailliert ausgesagt. Angeblich hat ihn die Russen-Mafia bedroht. Das Gericht blieb unbeeindruckt. Fünf Jahre Haft. Schleichers ukrainische Frau Olga war zu diesem Zeitpunkt mit Zwillingen schwanger. In diesem Zustand landete sie einige Zeit im Gefängnis. Sie galt als Mitwisserin.

Thomas Schleicher war kein Andreas Goldberger. Der Skispringer Goldberger war zur gleichen Zeit in einen Kokain-Skandal verwickelt, die Medien stürzten sich auf den Fall. Goldberger kam mit einem blauen Auge davon. Der Judoka Schleicher war schnell vergessen. Aber im Gefängnis war er noch prominent genug. "Der eine oder andere fand es toll, wenn sie einem Vize-Europameister im Judo eine reinschlagen konnten", sagte er später. Erst saß er in Salzburg ein, ein Jahr später dann in Graz-Karlau. Mörder, viele Mörder lebten dort. Aber Schleicher passte sich an, die Prügel steckte er weg, weil er sie wegstecken musste, um irgendwann in Ruhe leben zu können. Er spielte bei Fußballturnieren und stöhnte beim Kraftdreikampf, und manchmal dachte er an ein Comeback als Judoka. Dann wurde er nach Simmering überstellt. Dort waren die Haftbedingungen besser, Schleicher bekam öfter Hafturlaub. "Ich hatte das Gefühl, dass er mit der Freiheit nicht mehr zurechtkam", berichtet einer seiner Freunde. "Wenn er zu Hause war, wollte er kaum das Zimmer verlassen, fühlte sich verfolgt. Aber im Gefängnis hielt er es auch nicht mehr aus."

Im September 2001 ließ Schleicher sich nach Salzburg verlegen, ausgerechnet nach Salzburg mit seinen harten Haftbedingungen. Er hasste Salzburg, aber dort, hoffte er, werde er schneller entlassen. Aber Salzburg bedeutete strengen Vollzug und nur eine Stunde Ausgang im Gefängnishof am Tag. "Zu Beginn meiner Haft habe ich meinen Zellengenossen und mein Bett gestemmt, damit ich nicht komplett wahnsinnig werde", erzählte er. Doch in seinen letzten Wochen wollte er nicht einmal mehr seine Zelle verlassen. Er hatte schwere Depressionen und schnitt sich die Pulsadern auf, wurde gerettet. "Er hat mir noch die Wunden gezeigt", erzählt sein ehemaliger Vereinsmanager Ronny Tiefgraber, der für Schleicher während seines letzten Hafturlaubs ein Judo-Training organisiert hatte.

"Irgendwie wirkte er da schon teilnahmslos", sagt seine Mutter Brigitte. Ihr Sohn stand kurz vor einer vorzeitigen Haftentlassung. Er war Ersttäter, da ist die Justiz großzügiger. "Er hatte beste Voraussetzungen. Die Anstalt hätte es befürwortet. Spätestens im April wäre er frei gekommen", sagt die neue Salzburger Anstaltsleiterin Karin Göll. Erst seit vergangenem Montag ist sie im Amt. Ihr Vorgänger wollte keine Entscheidung mehr fällen. Doch der Sportler hatte längst den Lebensmut verloren. "Ich habe nur Mist gebaut", schrieb er in seinem Abschiedsbrief.

"Ich will mich nicht der Verantwortung entziehen, nur ich kann nicht mehr länger. Um mich nicht der allgemeinen Lächerlichkeit preiszugeben, gehe ich nun von euch, um wenigstens in der Erinnerung einen würdigen Platz einzunehmen. Passt mir bitte gut auf die Kinder auf."

Nina Strasser

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