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Das Profil des Siegers. Richard Freitag konnte die Feier im Kessel von Innsbruck richtig genießen.

© Imago

Vierschanzentournee: Das Comeback des Richard Freitag

Richard Freitag ist auch deshalb erfolgreich, weil er in diesem Jahr noch einmal fast von vorne begann.

Bis zum Sonntag hat sich die Familie Freitag aus Erlabrunn im Erzgebirge nur ungern an die Bergisel-Schanze Innsbruck erinnert. An dieser Stelle war vor 29 Jahren der Skispringer Holger Freitag bei der Vierschanzentournee in Innsbruck schwer gestürzt, anschließend wurde er vom DDR-Team nach Hause geschickt. Es folgten mehrere Operationen und das Karriereende. Seit Sonntag aber ist alles anders, seitdem ist die Bergisel-Schanze von Innsbruck jener Ort, an dem die Karriere für Holger Freitags Sohn Richard erst so richtig begonnen hat.

Es war ein historischer Erfolg, den der 23 Jahre alte Richard Freitag am Sonntagnachmittag vor 22 500 Zuschauern gefeiert hat. Erstmals seit Sven Hannawalds Sieg im Dezember 2002 hat ein deutscher Springer wieder einen Wettbewerb der traditionellen Vierschanzentournee gewonnen (siehe Interview rechts). „Was dahintersteht, hat man als Sportler nicht so im Kopf“, sagte Richard Freitag auf dem Innsbrucker Podium und das ist vielleicht auch ganz gut so. Sonst hätte er womöglich jene Lockerheit verloren, die ihn vorbei an dem österreichischen Tourneefavoriten Stefan Kraft auf Rang eins trug.

Noch wichtiger als die historische Bedeutung ist jedoch, was dieser Erfolg für die Zukunft des deutschen Skispringens bedeutet. Das gewachsene Selbstbewusstsein könnte sich schon am Dienstag in Bischofshofen beim abschließenden Wettbewerb der Vierschanzentournee (16.30 Uhr, live im ZDF) zeigen. Richard Freitag hat dem Team von Bundestrainer Werner Schuster gezeigt, dass es auch bei der Tournee gewinnen kann. „Wir können als Team stolz sein, dass wir das wirklich noch gedreht haben“, sagte Schuster. Der in der Gesamtwertung auf Rang fünf platzierte Freitag kann immerhin bei der aktuellen Tournee noch unter die besten drei springen, der Titel aber dürfte zum siebten Mal in Folge an Österreich gehen.

Im nächsten Jahr soll das anders werden, auch dafür ist die Erfahrung von Innsbruck gut. „Wir müssen als Team im nächsten Jahr besser starten“, sagt Schuster. Der Österreicher in Diensten des Deutschen Skiverbandes (DSV) musste nach dem Erfolg von Richard Freitag auf dem Trainerturm sogar kurz inne halten und sich sammeln. „Ich war echt ein bisschen gerührt“, sagte er.

Es ist vielleicht kein Zufall, dass es nicht der stoisch ruhige Severin Freund war, der den heiß ersehnten ersten Erfolg seit Sven Hannawald brachte. Sondern der emotionalere Richard Freitag, der nach seinem Sieg noch einmal ins Stadion heraustrat und vor den 22 500 Zuschauern begeistert seine Ski schwenkte. „Es war ein geniales Gefühl“, sagte Freitag, „der Kessel hat gebrodelt.“ Die Feier mit den Fans bereitete ihm sichtlichen Spaß. Das war nicht immer so.

„Richard Freitag steckt gerade in einer interessanten Phase der Persönlichkeitsentwicklung“, sagt der Bundestrainer, „er wird zugänglicher, er fängt an, es zu genießen vor Publikum zu springen.“ Er könne zwar schelmisch grinsen, aber ein Sonnyboy sei er auch nicht, beschreibt Werner Schuster seinen neuen Siegspringer. Das Handwerkszeug für gute Sprünge besitzt Richard Freitag längst, wie nicht nur sein fünfter Weltcupsieg beweist. „Er genießt auch auf dem Trainerturm großen Respekt, er kann extrem sauber und dynamisch springen“, erklärt der Bundestrainer. Obwohl Freitag in Innsbruck über den kritischen Punkt gesprungen war, setzte er bei der Landung noch einen Telemark. Und wurde dafür mit der Höchstnote 20,0 belohnt.

Vielleicht aber haben auch die Rückschläge der vergangenen Saison zu dieser neuen Lockerheit beigetragen. Erst hatte er einen Ermüdungsbruch im Fuß nicht richtig auskuriert, bei den Olympischen Spielen blieb er dann hinter den Erwartungen zurück – weshalb er nicht für das abschließende Mannschaftsspringen nominiert wurde. Eine bittere Entscheidung für ihn, denn sein Ersatzmann Andreas Wank gewann anschließend die Goldmedaille mit dem Team. „Das sind eben die anderen Seiten des Sports“, sagte er, „aber auch die gehören dazu, dadurch wächst man auch.“ Warum er gerade jetzt die nötige Leichtigkeit zum Weitspringen besitzt, kann er aber nicht erklären. „Man muss ein bestimmtes Level erreichen, dann geht es locker“, sagt er, „das ist das Schwierige am Skispringen, aber auch das Schöne.“

Richard Freitag hat nach den Spielen von Sotschi noch einmal von vorne begonnen. Er wechselte die Skifirma und begann sich in Physiotherapie fortzubilden. Das hatte einst auch sein Vater gemacht, der ohnehin sein großes Vorbild ist. Wie dieser, ein erfolgreicher orthopädischer Chefarzt in Erlabrunn, will er nach seiner Sportkarriere Medizin studieren. „Ich versuche, so viel wie möglich von ihm mitzunehmen“, sagt Richard Freitag.

Die Parallelen sind schon jetzt erstaunlich. Wie sein Vater feierte er seinen ersten Weltcupsieg in Harrachov, wie Holger Freitag, der 1984 in Sarajevo auf Rang 33 landete, sind die Olympischen Spiele bisher für ihn mit Misserfolg verbunden. Ansonsten aber hat er sportlich Holger Freitag, der nur auf einen Weltcupsieg gekommen ist, längst überflügelt. Dass es mitunter sogar ratsam ist, seinem Vater nicht alles nachzumachen, hat er ja gerade erst wieder in Innsbruck erleben dürfen.

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