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Fernab von der Wirklichkeit: Die WM-Auslosung findet im Luxusresort Costa do Sauipe statt.

© dpa

Vor der WM-Auslosung: Feen in der Plastikwelt

Fernab von der brasilianischen Wirklichkeit inszeniert die Fifa die Auslosung für die Fußball-WM. Die Brasilianer werfen dem Weltverband vor, das Land zu kolonialisieren. Aus Rio de Janeiro berichtet unser Autor.

Es gibt im Zentrum von Rio de Janeiro eine vielbefahrene Kreuzung mit einem großen Trafohäuschen. Dort steht, für Passanten und Autofahrer nicht zu übersehen: „Nao vai ter Copa“ – Es wird keine WM geben! Der Spruch ist Überbleibsel der Massendemonstrationen, die Brasilien im Juni während des Confed-Cups erschütterten. Und er ist natürlich falsch. Denn wenn keine Katastrophe eintritt, wird die Fußball-Weltmeisterschaft am 12. Juni 2014 in Brasilien angepfiffen.

Ebenso klar ist, dass dann keine Forderung der Demonstranten erfüllt sein wird: weder die nach besseren Schulen noch die nach mehr öffentlicher Sicherheit oder einem Ende der Korruption in Politik und Wirtschaft. „Wir wollen Krankenhäuser nach Fifa-Standard!“, riefen die Menschen in Anspielung an die enorm teuren Stadionbauten für die WM. Sie waren wütend, dass die Regierung umgerechnet 2,5 Milliarden Euro für zwölf Fußballarenen ausgibt (eine Milliarde mehr als noch 2010 kalkuliert), während Brasilien weiterhin eins der drei Länder auf der Welt mit der tiefsten Kluft zwischen Arm und Reich ist. Dabei hatte es 2007, kurz nach der WM- Vergabe, noch aus Brasilia geheißen, dass kein Centavo Steuergeld in die Stadien fließen werde.

Wie wenig auch die Fifa aus den Volksprotesten gelernt hat, wird sie heute demonstrieren, wenn sie im Luxusresort Costa do Sauipe mit großem Tamtam die Auslosung der Vorrundengruppen begehen wird. Das Event in der abgeschirmten Hotelenklave an der Küste des Bundesstaats Bahia lässt sich der Weltverband 6,25 Millionen Euro kosten. Der brasilianische Staat legt noch zwei Millionen Euro für die Sicherheit drauf – dabei ist die nächste große Stadt, Salvador, 100 Kilometer weit entfernt.

Für die Auslosung ist in Sauipe ein 4,5 Millionen Euro teures Veranstaltungszelt gebaut worden. In der klimatisierten „Arena Sauipe“ hoffen die Delegierten der 32 teilnehmenden Länder auf ein glückliches Händchen der acht ehemaligen Fußballstars, die als Losfeen engagiert wurden. Mit dabei sind auch die Chefs der Fußballverbände aus den 27 brasilianischen Bundesstaaten. Was sie dort zu suchen haben, ist nicht ganz klar, passt aber ins Bild vom Funktionär, der mitnimmt, was er mitnehmen kann. Bis heute erinnert sich Brasilien daran, wie der Boss des Fußballverbands CBF, José Maria Marin, bei einer Preisverleihung einmal versuchte, die Medaille eines Sportlers zu stehlen.

Die Angst vor Massenprotesten während der WM

Der greise Marin zählt zu den Sorgenkindern der Fifa. Es ist kein Geheimnis, dass der Weltverband ihn wegen seiner Verstrickung in die Militärdiktatur (1964 bis 1985) und seiner Rolle bei der Ermordung eines kritischen Journalisten los werden will. Die Fifa fürchtet ums Image, wenn Marin bei der WM-Eröffnung neben Präsidentin Dilma Rousseff stehen wird, die in den Kerkern der Diktatur gefoltert wurde. Das größte Kopfzerbrechen bereitet jedoch etwas anderes: Nach dem Kraneinsturz mit zwei Toten und der Beschädigung des Stadions Itaquerao in Sao Paulo herrschen Zweifel, ob Brasilien mit allen Arenen und der dazugehörigen Infrastruktur rechtzeitig fertig wird. Sportminister Aldo Rebelo versucht, die Zweifel zu zerstreuen: Er habe noch nie erlebt, dass die Braut bei einer Hochzeit pünktlich gewesen sei, dennoch sei immer geheiratet worden. Zu den in Brasiliens Städten alltäglichen Diebstählen, Überfällen und Morden (2012 fanden rund 50 000 Menschen in Brasilien gewaltsam den Tod) fiel ihm ein, er selbst sei nur einmal im Leben bestohlen worden: in Paris.

Einer weiteren Angst der Fifa, nämlich der vor Massenprotesten während der WM, nahm sich Brasiliens Sicherheitschef an. Andrei Augusto Rodrigues sagte, die Demonstranten könnten während der WM keinesfalls so nah an die Stadien herankommen wie noch beim Confed-Cup, als Tränengasschwaden selbst die Spieler auf dem Rasen irritierten.

Distanz – darum ging es der Fifa wohl auch bei der Wahl des Auslosungsortes. Costa do Sauipe ist vom brasilianischen Alltag so weit weg, wie es die neuen Vip-Logen im Maracana-Stadion von den alten Stehplätzen sind. Die künstliche Anlage mit fünf Hotels ist ideal, um die Probleme Brasiliens auszublenden und die Plastikwelt der Fifa mit ihren Showstars und Fußballgranden abzuschirmen.

Unter den Brasilianern macht sich unterdessen eine regelrechte Anti-Fifa-Stimmung breit. Sie werfen dem Weltverband vor, das Land zu kolonialisieren und mit zahlreichen Ausnahmeregelungen für die Profitinteressen der Sponsoren zuzurichten. Das beginnt schon mit dem WM-Maskottchen, einem albernen Gürteltier namens Fuleco. In einem Land mit einer extrem lebendigen und autonomen Kultur wird die Figur als Eindringling empfunden. Brasiliens bekanntester Fußballkolumnist Juca Kfouri formuliert es so: „Wir haben Fuleco nicht ausgesucht, seine Auftritte sind bürokratisch, ohne Witz, ohne Emotionen. Fuleco genießt hier keine Sympathien.“

Weil man der Fifa mittlerweile alles zutraut, glauben die Brasilianer jedes Gerücht

Weil man der Fifa mittlerweile alles zutraut, glauben die Brasilianer jedes Gerücht. So will die Zeitschrift „Veja“ erfahren haben, dass sich der Weltverband gegen die beiden dunkelhäutigen Schauspieler ausgesprochen habe, welche die Auslosung ursprünglich moderieren sollten. Stattdessen wird nun das blonde Pärchen Fernanda Lima und Rodrigo Hilbert durch die Veranstaltung führen. Die Fifa dementierte erschrocken und machte Brasiliens TV-Giganten Globo für die Wahl der Moderatoren verantwortlich. Nun ermittelt ein Staatsanwalt wegen des Verdachts auf Rassismus. Er argumentiert, die Auswahl sei relevant für die Identifikation der brasilianischen Bevölkerung.

Auch das ist typisch. In einer eher symbolischen Angelegenheit reagiert der brasilianische Staat geschwind, wenn es um substanzielle Verbesserungen geht, herrscht Lethargie. Niemand zweifelt etwa, dass bei den Arbeiten an den zwölf WM-Arenen (die Fifa wäre übrigens auch mit zehn zufrieden gewesen) reichlich Schmiergeld floss und mit überhöhten Rechnungen betrogen wurde. Doch von Ermittlungen ist bisher nichts bekannt. Lange Zeit wurden solche Betrügereien mit dem Konzept des „jeitinho“ gerechtfertigt, das als brasilianische Lebensart verklärt wurde. Mit den Protesten im Juni hat sich die Haltung der Öffentlichkeit jedoch verändert. Die Brasilianer zahlen extrem hohe Steuern, haben aber zu Recht den Eindruck, dass ihr Geld in privaten Taschen verschwindet. Tatsächlich leistet sich Brasilien nach den USA die teuerste Regierung der Welt. Dass Brasilien bei der letzten Pisa-Studie aber auf Platz 53 von 65 Nationen landete, hat unter den fürstlich entlohnten Politikern keine Debatte ausgelöst, sondern nur Schweigen.

All das wird bei der Auslosung in Sauipe keine Rolle spielen. In Rio de Janeiro aber erinnert ein Spruch an einer Kreuzung daran, was viele Brasilianer von der WM halten.

Nao vai ter Copa?

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