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BFC Dynamo gegen Lok Leipzig - versteht eigentlich noch jemand den hoch sensiblen BFC-Fan?

© Frank Willmann

Willmanns Kolumne: BFC gegen Lok - hinter dem Kitsch ein echtes Gefühl

Zweiundvierzig Tage abseits der Dünnschissgewitter - und jetzt rollt der Ball wieder. Unser Autor Frank Willmann beobachtet in seiner Kolumne den beeindruckenden Abstieg des Mario Basler - und träumt mit BFC-Dynamo- und Lok-Leipzig-Fans von besseren Zeiten...

Ah, endlich, letzten Freitag bekam die Bestie in der Autostadt die lang ersehnte Abreibung. Und gestern in der Höhle des Bösen gegen Gazprom ging`s nochmal gegen den Baum. Wie man hört, braucht Barca 2016 einen neuen Sportdirektor. Katar soll auch nicht abgeneigt sein, zumal Herr Pep dort bereits auf der Gehaltsliste steht.

Aber wie tief bin ich gefallen! Wie kann mich ein Spiel VW-Werk Wolfsburg gegen AllianzAudiAdidas München erfreuen? Warum war ich am Freitag nicht beim Klavierkonzert? Nein, ich schaute das Spiel in der ARD. Im Vorfeld des Kicks säuselte Dr. No Sammer einige überhebliche Gesänge bezüglich Herrn Reus in den Äther. Er war der Ansicht, die Bayern würden sich grundsätzlich und nie an Spekulationen über Spieler beteiligen. Das ist natürlich Unfug. In Wirklichkeit machen sie nichts anderes. Pokerface für Arme gehören aber für Scheinbuddhist Sammer und die apathisch nachhakende Reporterin zum Geschäft. Wie auch eine Vielzahl weiterer nutzloser Fragen, gemacht, uns die Hirnsuppe abzusaugen und die Sendezeit rum zu kriegen. Maschinensätze, Phrasenmähdrescher. Wir Bayern bringen keine Fliege um, weil das Flecken auf der Tapete macht. Kein Wort zu Katar, die bayerischen Strauchdiebe blieben unbehelligt von kritischen oder auch nur mäßig geistreichen Fangmichfragen.

Der BFC zeigt sich dem Fanvolk

Warum hat sie nicht verlangt, zu erfahren, wie der Mannschaft Jürgen Klopp zum Frühstück geschmeckt hat? Wäre Fernsehgreis Reif auf Sky doch die bessere Wahl gewesen? Wo bleibt die Demut? Welche Ödnis, lest mal ein gutes Buch. Lutz Seiler, geringstenfalls Goethe. Wir Deutschen sind doch ein Kulturvolk. Da hilft nur der Griff zum Lautstärkeregler. Oh edler Leser, edle Leserin, verzeiht mir! Immerhin lagen knapp sechs Wochen Bundesligapause hinter mir. Zweiundvierzig Tage abseits der Dünnschissgewitter. Trotzdem, hinter dem Kitsch lauerte es. Das Gefühl von Freude, Hummeln im Gedärm. Weil es wieder losgeht, der Ball rollt.

Und dann die schöne Aussicht, anderntags die gute Hohenschönhauser Luft zu schnuppern. Der BFC wollte gegen Lok Leipzig Kondi ochsen und sich dem Fanvolk zeigen. Die Regionalliga beginnt in drei Wochen, bis dahin heißt es üben, üben, üben. Lok ist kürzlich in die 5. Liga abgestiegen, kickt dort nicht übermäßig erfolgreich. Saisonziel ist eigentlich der direkte Wiederaufstieg, momentan ist Lok nur Fünfter und hat sieben Punkte Rückstand auf einen Aufstiegsplatz. Klingt trist, ist trist. Oberligafeeling. Trotzdem knapp 1400 Zuschauer. Zehn Zentimeter Schnee, solider Spaßfußball. Wie früher. Als die Platzkommissionen noch von harten Hunden geleitet wurde, die bei sechs Grad Minus im Unterhemd und Badelatschen umher schlurften.

Beeindruckender Abstieg: Mario Basler (m.). Geschäftsführer Sport bei Lok Leipzig, neben Ex-Spieler Angelo Vier (r.), heute Spielerberater.
Beeindruckender Abstieg: Mario Basler (m.). Geschäftsführer Sport bei Lok Leipzig, neben Ex-Spieler Angelo Vier (r.), heute Spielerberater.

© Frank Willmann

Das "Baslerface" live erleben

Beim letzten Punktspiel des BFC im Dezember gegen Jena waren etwa 1500 Zuschauer anwesend. Versteht jemand den hoch sensiblen BFC-Fan?  Lag es am alten DDR-Rivalen LOK? Am Glühwein? Oder an Mario Basler? Wer wollte, konnte seinen beeindruckenden Abstieg in Liga fünf live erleben. Das wohlbekannte, leicht angestrengte Baslerface. Eine Mischung aus visionsfreiem Widerborst, Problembär und  Langeweile. Ob er sich fragte, was er hier machte? SuperMarioWeltmeister. Er hatte in Hohenschönhausen einen beeindruckenden SelfieParcours zu absolvieren. Bei Lok ist er Geschäftsführer Sport. Die Betonung liegt auf Sport. Als erste Amtshandlung sagte er der Bildzeitung, die Bundesliga hat Angst vor uns. Oder hat die Bundesliga Angst um ihn? Ich wünsche Lok und Mario viel Glück, vielleicht hält er ja bis zum Saisonende durch.

Lok und der BFC erhitzten bis 89 die Gemüter in Ostelbien. Lok als Club aller Reichsbahner, der BFC als ungeliebter Dauermeister. Ähnlich wie Bayern und Wolfsburg heute. Gegenwärtig sind BFC-& Lokkicker für ein besseres Trinkgeld auf holprigen Plätzen unterwegs. Auch in diesen Regionen lassen sich ein paar Cent machen. SuperMario saß im Sportforum neben Angelo Vier, derzeit Spielerberater.

Gedanken an die seligen 90er

Haben die Sachsen wirklich in ihrer Freizeit Läuse, Hämorriden und Hühneraugen erfunden? Fragte mich eines Tages mein etwas debiler Mitbewohner Gerd. Es war in den seligen 90ern, als Milch und Honig in Berlin noch reichlich flossen. Alle Welt fuhr einen alten Benz, man konnte sich noch hochwertige Drogen leisten. Die Sachsen waren für den Berliner der Grund allen Übels. Umgekehrt sah es nicht anders aus. Im Grunde nutzten Sachsen und Berliner den Fußball gern als Anlass, um sich gegenseitig in den Popo zu treten. Doch Samstag flatterten Friedenstauben und die Fans vergewisserten sich beim gemeinsamen Wechselgesang ihrer Wertschätzung. "Scheiß Red Bull!" klang es durch Hohenschönhausen. Steh auf, letzter Gerechter und stimme ein/ Das Lied ist deins und meins. Wir brechen, wenn wir einig sind/ Die Macht des Klassenfeinds. Und wie aus einer Modergruft, wehte DDR-Oberligaduft. Die Propaganda der gefallenen Engel.

Beim letzten Aufeinandertreffen suchten beide Parteien Streit, diesmal reichten wenige Ordner und Polizisten. Liegt möglicherweise auch am fortgeschrittenen Alter der Probanden. Beide Vereine sind nicht dafür berühmt, massiv jugendliche Heißsporne in ihren Reihen zu haben. Das allmähliche Vergessen hat den Rang einer Wissenschaft. Nach dem Spiel saßen Lok-Fans und BFC-Fans beim Bier. Sie schauten sehnsüchtig die Bundesligazusammenfassung. Und draußen im Baum? Dort wartete ein Traum. Beide Vereine wieder im Bundesligafußball!

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