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Endlich wieder Zweikämpfe: Am Wochenende endet die Fußball-Sommerpause.

© dpa

Willmanns Kolumne: Endlich wieder Gehirn abgeben und auf Bauch umschalten

Unser Kolumnist hat sich als Vorbereitung auf die neue Saison angeschaut, wie der 1. FC Union auf die Käuflichkeit von Glück und Erfolg traf - und gewann.

Wir schreiben das Jahr 2015. Am Wochenende starten die zweite, dritte und vierte Liga in die neue Saison. Das böse Wort Sommerpause ist Geschichte. Für viele Menschen gewinnt das Leben endlich neue Bedeutung. Der Ball rollt wieder, ihre innig geliebten und gehassten Spieler widmen sich ab sofort dem göttlichen Fußballspiel und produzieren Lebenssinn. Das bedeute für uns korrekte Fußballfanatiker: Gehirn abgeben und auf Bauch umschalten.

Vergangenen Samstag vernaschte Union Berlin den englischen Premier Ligisten Crystal Palace anlässlich der Generalprobe zur jungfräulichen Saison. Das wollten knapp neuntausend Berliner sehen. Darunter diverse Fans des Londoner Clubs, die nicht genau wissen, ob sie nun die Adler oder die Glaser genannt werden möchten. Klingt beides bescheuert, zumal Palace eine klassische Fahrstuhlmannschaft ist. Im Sturzflug in die zweite Liga geht hin und wieder Glas zu Bruch? Leider sangen sie dieses Liedchen nicht. Der Support der Engländer wie immer eruptiv. Kurzes, jauliges, leicht unkoordiniertes Geheul. Wer es bis Samstag nicht wusste, die Achtziger Jahre, die für Englands Fußball große und tragische Momente bereithielten, sind endgültig vorbei. Arbeiter und kleine Leute sind, bis auf wenige schorfige Reste, aus den englischen Stadien verschwunden.

Dafür sind Großgeldbesitzer aller Nationen eingeritten und machen Englands Fußball zu einem Ort globalen Finanzgewimmels. Die Käuflichkeit von Glück und Erfolg. Irgendwie scheinen sich viele englische Fans damit abgefunden zu haben. Alle anderen gründen ihre Vereine neu, wie beispielsweise United of Manchester. Crystal gehört aktuell vier Engländern, das kann sich aber schon morgen ändern, wenn aus einem finstern Winkel des Erdenrunds der entsprechende Zahlmeister auftaucht. Armes England? Die Spieler der Clubs sehen das bestimmt anders, in England werden Traumgehälter gezahlt, selbst mittelmäßige Ballstrategen streichen im Land der unfassbaren Gehälter eine Million pro Saison ein.

Immerhin soll sich die Tochter von Karl-Marx in der Nähe des Stadions umgebracht haben, nachdem sie von ihrem Mann verlassen wurde. Außerdem ist Crystal ein Club für Rockmusikanten. Der achtundsiebzigjährige Bill Wyman ist Fan. Gimme Shelter, sind die Stones wirklich schon so in die Jahre gekommen?

Union ist von irrsinnigen Gehältern und schnieken Glamourfans so weit entfernt, wie die Erde vom Mars. In Köpenick regiert recht milde der Baumensch Zingler einen Verein, wo die Belange des einfachen Fans eine beachtliche Rolle im Selbstverständnis spielen. Ist im Spitzenfußball noch irgendetwas ohne Käuflichkeit möglich? Wir sind Union, heißt ein wichtiger Slogan, der auch ein Synonym für die Stärke des Clubs ist.

Siebzehn vergleichsweise günstige Spieler durften auf Unionseite ihr Können gegen stolze Insulaner zeigen. Trainer Düwel ließ alle wichtigen Puzzlestücke, auch Spieler genannt, die Luft An der Alten Försterei schnuppern. Diese duftete wie immer nach Bier, Pisse und primitiven Nahrungsmitteln. Je nach Windrichtung, wie es sich beim Fußball gehört. Drogen und Rausch in Köpenick. In der Halbzeit schritten die Spieler gemessenen Schrittes in die Kabinen. Sie taten das wie treue, alte Arbeitspferde, die in ihre Ställe zurückkehren, um die Schnauzen tief in die Hafersäcke zu stecken. Auch ich begab mich zur Futterkrippe und stopfte mir auf die Schnelle ein paar Mettbrötchen in die Backen. Unser Fußball ist so herrlich ungesund!

Auf den Rängen, unterm Unionervolk freudiges Geplapper. Weißt du noch? Wer hat nochmal? Guck mal, das neue Trikot! Das wird unsere Saison!

Auf dem Platz die zu verehrenden Spieler, die kräftig nach Liebe dürsteten. Oh Ball, du molliges Dinglein – du Lebensquelle! In dieser Sekunde sind alle eins. Spieler, Fans, selbst Polizisten spüren diesen Gleichklang der Herzen. Sich gemeinsam ein wenig selbst betatschen und am Bauch pinseln. Von Montag bis Freitag heißt es Füße küssen, am Fußballwochenende ist jeder ein kleiner Gott, mindestens Teil eines göttlichen großen Ganzen. Die Anarchie der Fußballphantasten. Das Stadion erwacht zum Leben. Juchhei, schon bald regieren Jux und Tollerei! Die Fans zeigen Flagge und trällern: Wer spielt immer volles Rohr? Wer lässt sich nicht vom Westen kaufen? Es ist natürlich Eisern Union, der rot weiße Köpenicker Traditionsclub, dem etliche Zweitligatrainer eine Überraschung zutrauen. Schaut hin, der Vorhang ist oben, gleich explodieren epische Dramen. Am kommenden Wochenende trifft  der 1. FC Union Berlin um 15:30 Uhr vor heimischer Gänsehautkulisse zur Nagelprobe im Stadion An der Alten Försterei auf Fortuna Düsseldorf. 17:15 Uhr wissen wir alle ein wenig mehr über Union 15/16.

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