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Nicht traurig sein, Markus Babbel. Irgendwo ist sicher bald wieder ein Trainerstuhl frei.

© AFP

Willmanns Kolumne: Gebrabbel, Gebräu und Geisterspiele

Frank Willmann kennt sie alle, die Aufreger der vergangenen Tage. Und er kommentiert sie natürlich auch in seiner aktuellen Kolumne. Fazit: Ohne Leidenschaft gerät der Fußball aufs Abstellgleis - und nicht nur der.

Bestimmte Teile der Berliner Bevölkerung schauten am Montag in froher Ahnung gen Sinsheim. Sie warteten auf die eine Nachricht: Der Tätowierte ist nicht mehr. Er ist nicht mehr Trainer der putzigen TSG Hoffenheim, diesem Lieblingsspielzeug eines gewesenen Großmuftis. Babbel hieß bis eben der Mufti-Trainer, der vor Jahresfrist das blauweiße Berlin mit soliden Knattergeräuschen Richtung süddeutsche Provinz verlassen hatte. Dort wo der Braten noch fett ist und die Flüsse aus Gold sind.

Dem Vernehmen nach soll Babbel auf seinem Alabasterleib inzwischen die halbe Bundesliga tätowiert haben. Seine unzähligen Lieblingsvereine sind ihm dieses Statement Marke Merkwürden wert. Selbst das Arschgeweih ist Bewerbung pur. Obwohl angeblich nur ambitionierte Zweitligisten auf diesem speziellem Teil einen freien Platz finden. Babbel befand Hoffenheim noch eben reif für die Euroliga, doch irgendwie hat ihn dieses leidige Fußvolk da unten nicht richtig verstanden. Halb abwesend verkündete er frohe Botschaften herannahenden Heils, holte sich den schönen Tim von Bremen zu den HoffiBuben, und manch anderen edlen Knaben der Balltreterei.

Hoffenheims Goldesel mag besonders die Fußballer des Spielerberaters Roger Wittmann. Sieben Herren aus dem Hause Wittmann tragen das Trikot Hoffenheims. Ob das eine gute Idee ist, wissen allein Doktor No, Vadder Abraham und der Schatzmeister. Falls diese überhaupt etwas wissen wollen. Und was zu sagen haben. Von den Bayern wollte Babbel lernen, wenigstens von Barcelona und Chelski London. Das sind Namen, die das Herz pumpen lassen.

Ganz besonders  den Bayern schien Hoffenheims heimlicher Meistertrainer sehr zugeneigt. Babbel als Meister des Wortschwalls. Trotzdem und gerade deshalb, Supernasen wie Neururer, Brehme, Babbel und Konsorten machen die mediale Fußballerei mit ihrem unglaublichen Geschwätz richtig fett und bringen Freude in manch tristes Heim. Herr Babbel, bleib uns erhalten, in Bayern wird sicher bald ein Futterplatz für sie frei! Fürth oder Augsburg scheinen mir reif für gestandene Musspritzer, äh Fachtrainer.

Willmann gibt Gummi

Womit ich beim eigenen Heim angelangt bin. Dort winselte ich am Sonntag recht kläglich vorm heimischen PC. Die Türe fest verrammelt litt ich allein, selbst der Katze rührseliges Gemauze toppte mich nicht. Der MDR, der Vorreiter innovativen Fernsehens, übertrug im Netz das Spiel der Leipziger Red Bull Werbetruppe gegen den FC Carl Zeiss Jena via Livestream. Zu unseligen DDR-Zeiten war Jena auch mal ne Werbetruppe für das sozialistische Kombinat Carl Zeiss. Im Kapitalismus will Carl Zeiss vom Club nichts mehr wissen, bitteres Schicksal. Heute kommt das Geld von einer Reifenbude, die mit dem Sinnspruch: Wir geben Gummi den Augen wehtut.

Mein Leipziger Kumpel Gerd geht zu RB Leipzig. Als sein Lieblingsclub Chemie Leipzig, nach der Wende zu Sachsen Leipzig mutiert, vor einigen Monden den Geist aufgab, trabte Gerd erst allein durch den Park und schließlich entnervt zu RB. Er wollte weiterhin erträglichen Fußball sehen. Lok Leipzig ging für ihn als Ex-Chemiker nicht. Die neugegründete BSG Chemie war ihm zu poplig, ebenso die SG Leipzig-Leutzsch, der zweite Nachfolger der geliebten Chemie-Mannschaft. Die Derbys der beiden flügellahmen Kontrahenten um die letzten Gerechten Leutzschs schaut sich Gerd in der Sachsenliga an. Eine Zukunft sieht er für beide Teams nicht. Deshalb trägt er neuerdings den RB-Schal offen.

Er scheint mit seiner Meinung nicht allein zu stehen, viele Leipziger marschieren inzwischen zu RB. Scheiß egal wer den Kram bezahlt, was zählt ist der Fußball. Was soll ich dagegen einwenden? Heute sind wir froh über jeden LPG-Vorsitzenden in Jena. Gegen den FCC froren sich 12.000 Menschen im Zentralstadion die Ohren ab. Ok, eine vierstellige Schar Jenenser lärmte sich eins, doch auch RB machte gut Stimmung. Das Spiel ging 1:1 aus, RB wackelte mächtig, fiel aber nicht. Die beiden letzten Jahre lachte man RB noch höhnisch aus, nun liegen sie neun Punkte vor Jena. Was soll´s, werden wir eben 2014 Meister und vergessen die Legenden vorerst.

Warum ein Stadionerlebnis ohne Fangesänge keines ist

In England sind sie längst Legende, in Deutschland geht es ihnen ans Leder. Gemeint sind die guten, alten Stehplätze. Nächsten Mittwoch will die DFL über die Zukunft des deutschen Klubfußballs entscheiden. Setzt sich das von allen wichtigen Fanorganisationen abgelehnte Sicherheitskonzept der Liga durch, erleben wir bald jedes Wochenende traurige Totentänze in den Stadien Deutschlands.

Einen Vorgeschmack kredenzt uns die aktuelle Fan-Initiative. Zwölf Minuten und zwölf Sekunden gruselige Stille, keine Begeisterung in den Stadien und Arenen. Ein Stadionerlebnis ohne Fangesänge ist keines. Jeder der den Boykott live erlebt hat, kann nur inständig auf eine würdige Diskussion hoffen. Klar will ich auch keinen Böller unter meinem Popo, oder von einem besoffenen Idioten getollschockt werden. Doch ich möchte auch nicht als Auswärtsfan von Sicherheitskräften wie Schlachtvieh vorgeführt werden.

Das Votum der Fans ist einhellig. Die wirtschaftlichen Folgen eines dauerhaften Fanboykotts sind nicht zu unterschätzen, schließlich lebt die Marke DFL von der Stimmung. Geisterspiele gleich Geldvernichtung. Ohne Leidenschaft gerät der Fußball aufs Abstellgleis. Es sind nicht die Stars allein, die unseren Sport groß machen. Es sind die vielen, großen, kleinen, armen und reichen Fans in ihrer Buntheit, die ihn populär machen.

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