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Wer im Chemnitzer Stadion noch nass werden will, muss sich wegen des Umbaus beeilen. Einzig ein kleines Stück des Gästebereichs bietet noch diesen Service.

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Willmanns Kolumne: Hansa Rostock: Flaggschiff im Brackwasser

Am vergangenen Wochenende war unser Kolumnist altmodisch drauf und machte sich auf zum Hansa-Rostock-Spiel nach Chemnitz. Was er vor, während und nach diesem Fußballspektakel erlebte, lesen Sie hier in gewohnter Manier.

Am Wochenende war ich altmodisch drauf. Hansa Rostock trat beim Chemnitzer FC auf. Das schien eine schöne Gelegenheit, sich mal wieder vom Zonenfußball tollschocken zu lassen. Zur Vorbereitung besuchte ich Freitagabend mit HansaTom Jena in Babelsberg. Die Babelsberg-Fans zeigten Flagge und hießen alle Flüchtlinge in Deutschland willkommen. Tom inspizierte das Stadion, denn die Chancen für einen weiteren Abstieg seiner Rostocker stehen derzeit gut. Das einstige Flaggschiff des ostdeutschen Fußballs hat im Brackwasser festgemacht. Lange Jahre spielte Hansa nach der Wende erfolgreich in der Bundesliga mit, zuletzt war der Klub in der Saison 2007/08 dort anzutreffen. Seither geht es abwärts. Trainer, Funktionäre, Spieler tanzen den Ringelrein der Pein und bugsieren den Klub in ungeahnte Tiefen. Nun lockt gar die vierte Liga und die einst stolzen Hansa-Fans sind auf die Größe von Sonnenhof Großaspach geschrumpft. Hansa ist trotzdem ihr Leben. Das empfindet auch Hansa-Fan Björn Achenbach, der letztens im Hinstorff-Verlag einen schmalen Bild-Interviewband zur Klubgeschichte herausbrachte. Sachdienliche Hinweise oder kritische Analysen, die dem Leser den Niedergang des Klubs erklären, finden wir darin nicht. Das Bändchen kostet beeindruckende 19,65 Euro und verbreitet den Duft einer aufgemotzten Werbebroschüre. Achenbach kratzt an der Oberfläche. Das ist zu wenig, passt aber punktgenau zum derzeitigen Zustand des Klubs. Am Ende war das gar der listige Hintergedanke?

Stehränge, Bierfürze und Dauerregen

Krombacherwerbung kann jeder, fachgemäßes Biertrinken kann aus dem langweiligsten Molch einen fürchterlichen Menschen machen. So richtig grauenhafte Kandidaten trifft man beim Unterklassenfußball noch häufig an. Wo nicht der Wohlfühlfaktor des Topevent lockt, sondern schlechter Fußball, billiges Bier, halbgare Bratwurst. Und Nieselregen in dachfreien Stadien. In Chemnitz gibt’s von all dem reichlich, obgleich die pfiffigen Stadtväter gerade das altehrwürdige Stadion umbauen lassen. Wer noch nass werden will, muss sich beeilen. Einzig ein kleines Stück des Gästebereichs bietet diesen Service. Beim Spiel gegen Hansa wurde die Heimfantribüne eröffnet. Unsere Enkel werden einst feuchte Augen bekommen, wenn wir von zugigen Stehrängen, Bierfürzen und Dauerregen schwadronieren.

Hansatom und ich waren bereits Samstag nach Leipzig gereist. Dort empfingen wir ein Dutzend wohlgeratener Hanseaten. Die neben Hansaspielen gern Ausstellungseröffnungen besuchen und den Kulturaustausch pflegen. An diesem Wochenende zeigten sie ihre tiefe Verbundenheit mit der bulgarischen Nation. Volkstanz, enge Umarmungen, angeregte Diskussionen, na ihr wisst was ich meine. Leider schafften wir es am nächsten Tag nicht mehr ins Grassimuseum, da der Chemnitzer Ground lockte. Und vorher noch ein wenig an unwirtlichen Orten Bier getrunken und palavert werden musste. Um es vorweg zu nehmen, Hansa Rostocks Fußballmannschaft knobelbecherte in Sachsen grässlich. Nur wenige Kilometer von Lauter entfernt. Der merkwürdigen Geburtsstätte des Klubs. Während der Saison 1954 wurde aus Empor Lauter Empor Rostock. Die zwölf besten Spieler plus Trainer wurden quasi über Nacht Rostocker. Sowas klappt nur in Diktaturen. Aber das ist eine andere Geschichte. 

Nie wieder Hansa! Und dann doch wieder verabreden zum nächsten Spiel

In zwei Automobilen enterten wir die Landschaft zwischen Leipzig und Chemnitz. Teuflisches Wetter, nebelig, fieser Niesel, gleichzeitig warm. Den Hanseaten schwante nix Gutes. Vor nichts hat der Küstenbewohner mehr Angst, als vor Holzzipfelmützenträgern. Und genau diesen Menschenschlag vermuteten sie in Chemnitz und Umgebung. Für manchen von ihnen reicht diese feindliche Landschaft bis zum Carwitzer See bei Feldberg. Trotzdem sangen sie ihre Lieder, wedelten mit ihren Fahnen und gaben sich ganz der Selbstbetrachtung hin. Denn egal, ob ihr Klub nun in Chemnitz brillieren oder Schreckensfußball spielen würde, wussten sie, was in der Folge geschehen würde. Bei einer Niederlage würden sie fluchen, die Spieler verwünschen, vielleicht voll Zorn ihre Fahnen in den Dreck werfen. Sie würden schwören, nie wieder mit Hansa auswärts zu fahren. Hansa aus dem Herzen streichen. Hochgezogene Brauen und das Mitleid der Partnerinnen daheim. Den Montag vorüber ziehen lassen. Rostock ein abgewichster, alter Latsch. Der Spott der Arbeitskollegen. Das fiese Grinsen des Vorgesetzten, der bestimmt für St. Pauli ist. Nie wieder Hansa! Nie wieder! Am Mittwoch ein zaghafter Blick auf die Ansetzungen des nächsten Spieltags. All die schönen Fußballerinnerungen. Sofort die Gefährten in Freud und Leid anrufen. Verabreden zum nächsten Hansaspiel.

Ich erlebte den Chemnitzer Heimsieg auf der Haupttribüne mit Markus den Weitgereisten. Er erzählte vom letzten Spiel im kurdischen Teil des Irak vorm Abbruch der Meisterschaft. Und vom Couchsurfen in Russland. Bei eigentlich netten Leuten, auf deren Bildschirmschoner plötzlich eine Hakenkreuzfahne auftauchte. Ach ja, der Herr des Hauses war in der Ukraine in Sachen Kriegshandwerk unterwegs.

Dagegen wirkte das Schicksal des FCH geradezu klein. Nach dem Spiel in Chemnitz wurde Hansatrainer Vollmann von den Fans entlassen. Bei Chemnitz hingegen geht’s drittligamässig aufwärts. Nebenan in Aue und im fernen Köpenick kämpfen die zwei letzten Zonendinos um den Verbleib in der Zweiten Liga. Einer rief: Abspalten wie die Schotten! Ich will die gute, alte Oberliga wieder!

Wenn´s nicht so bitter wäre, könnte man glatt drüber lachen.

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