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Formschön. Das Wartburgstadion zu Eisenach.

© Matthias Klaß

Willmanns Kolumne: Was der Hamburger SV und der FC Eisenach gemeinsam haben

Der HSV kann einem schon leidtun: Pokal-Aus, Rucksackverlust und 0:5 beim FC Bayern. Aber was die Hamburger können, kann der FC Eisenach schon lange. Frank Willmann weiß da einiges zu berichten.

Im ZDF erklärt Herr Rolfes der interessierten Fachwelt, die Bundesliga sei nicht langweilig. Er tut dies wohl gemerkt nach dem ersten Spieltag. Im Kicker gibt es die erste bängliche Umfrage. Rechnen Sie damit, dass der Titelkampf spannender wird als zuletzt? Die Redakteure zittern. Wie groß muss nur die Furcht sein? Und wodurch speist sie sich? Ist es der schreckliche Verlust unseres geliebten Schweinis? Aber der ist doch von Bayern! Alles, was dem FC Bayern schadet, macht die Bundesliga neuerdings interessant. Nichts wollen wir weniger, als eine weitere öde Saison mit Bayern München als Spielverderber. Die große Staatsjagd im Forst der Bayernlümmel ist eröffnet. Der Hamburger SV mimte das unschuldige Zicklein und kam gleich mal unter die bajuwarische Dampfwalze. Der potentielle Zweitligapimp ließ sich ordentlich vermöbeln. Wo waren die Hamburger Zähne, die Fußnägel, die Klauen? Die man Bayern München doch ins Fell schlagen muss. Nur so kommt man an die blutigen Fleischfetzen. Der HSV kickte wie ein abgestandenes Bier. Den Humor im Hamburger Spiel muss man mit der Wünschelrute suchen. Dieser einsame Mensch, der Trainer Bruno. Wie er verzweifelt vor den Mikros agiert. Hingehalten von einer Meute gieriger Zombies, die einzig sein früher Trainerexitus interessiert.

Aber sind wir nicht alle erpicht auf die große Angelegenheit vom Herzeleid? Die Geschichten des Trainers Bruno handeln davon, dass die agierenden Personen sich entfremdet sind. Dass ihre Beziehungen sich fortsetzen, obwohl sie längst überstanden sind. Dieser Kampf der braven Hamburger wird auf Wiederholung und Rituale reduziert. Der Dino, der Abstieg, die am Horizont drohende Klärgrube zweite Liga. Das wollen die Kameras und Mikrofone aufdecken. Die Fassaden, nicht die Menschen dahinter. Wie sie sich verhalten, was sich in ihren Gesichtern wiederspiegelt. In Brunos Gesicht regiert die nackte Angst. Wenn die Kameras sich sehr lange um etwas Totes herumbewegen, dann wird das Tote als tot erkennbar. Dann wird die Sehnsucht nach etwas Lebendigem entstehen. Man wird sich danach verzehren und dem Wunschtraum vom ewigen Leben (= Nichtabstieg des HSV) den blanken Hintern zeigen.

Aber das runde Ding ist doch der Ball! Auch in der Oberliga Nordost Süd. Kurz vor Hessen lümmelt sich die Stadt Eisenach ins Thüringer Mittelgebirge. Man passiert auf dem Weg von Berlin die Drei Gleichen. Dralle Burgen, schön drapiert an der Autobahn. Die Drei Gleichen sind alles andere als einander gleich. Sie sind wie Bayern München, Borussia Dortmund und Schalke 04. Was sie gleichmacht, ist ein Brand im Jahr 1231, dem sie gleichzeitig zum Opfer fielen. Sagt die Legende. Und was sagt die Legende in tausend Jahren über Bayern München? „Im Jahre 2016 kehrte der wahnsinnige Uli zurück auf den Thron. Als erstes ließ er Kalle die Uhr über kleinem Feuer rösten. Das währte sieben Tage. Hernach sperrte er Juniorchef Sammer in die Eiserne Jungfrau und hängte ihn hoch übern Viktualienmarkt. Zum Abschluss der Feierlichkeiten wurde der heimtückische Aufsichtsrat geteert, gefedert und unters barbarische Bayernvolk geworfen. Uli verkündete seinen neuen Kampfnamen Uli Blutige Sense“.

In Eisenach verdorrt der Fußball im Schatten des Handballs

Von solchen Saturnalien ist man in Eisenach weit entfernt. Dort macht eine Westthüringer Bratwurst noch die Geschöpfe glücklich. Und der Fußball? Er verdorrt im Schatten des Handballs. Der VfL Halle ist zur Saisoneröffnung in der NOFV Oberliga-Süd zu Gast, doch die Eisenacher Gesichter sind schon vorm Spiel leer. Denn Eisenachs Zahlemann hat sich in den Schmollwinkel verzogen. Und alle lauffähigen Spieler sind ganz flink aus Eisenach fortgehoppelt. Des Herrn Gönners Vision vom Spitzenfußball traf leider, leider auf taube Eisenacher Ohren. Das Genie wurde vom Volk einfach nicht verstanden. Letzte Saison ließ er fast ein Punktspiel platzen, als sieben Spieler am Spieltag eine Sonderschicht am Arbeitsplatz einlegen mussten und nicht kicken durften. Die kleinen Sonnenkönige in der Provinz stehen den großen wahrhaftig in Nichts nach. Auch das Schmalspurteufelchen will geliebt, oder wenigsten anständig gehasst werden. Nun steht der FC Eisenach ohne Präsidium da. Und die Mannschaft präsentierte sich am Sonntag als wirrer Haufen bunte Knete. Sieben Tore genehmigte sich Halle zum zweiten Frühstück. Zweihundert erbarmungswürdige Eisenacher Seelen ließen die Köpfe hängen.

Der FC Eisenach hat einiges hinter sich. In den Nullerjahren begab es sich, dass ein Sportlicher Leiter mittels Sternguckerei die Aufstellung formte. T. der Magier, wie er schnell in Fachkreisen geadelt ward, handelte als bewährter Kaffeesatzleser und stellte, wenn`s die Sterne befahlen, den kleinsten ins Tor und den lahmsten in den Sturm. Die Spieler fanden es nicht lustig. Das Training geriet zur Farce, weil Orion und Steinbock das Ding schaukelten. Da Eisenachs Geisterseher über ein sattes Reservoir netter Scheinchen verfügte, durfte er ein paar Monde den Zampano machen, das Spiel kreieren, wie es die Barden des Bezahlfernsehens so schön verkünden. RTL war wohl auch mal da und führte ihn schön vor. Bis zum krepieren aller Träume.

Es gibt auch schöne Geschichten. Einmal soll ein etwas fülliger Herr nach strengem Biergenuss auswärts im Stadion des Gegners aus Nordhausen einen Schal der rechtslastigen Wackerfront vor deren Augen abgefackelt haben. Einfach so. Eisenachs Bezwinger, der VFL Halle, brillierte Sonntag auch neben dem Platz. Handgenähte sechs VfL-Fanatiker hängten doch tatsächlich an der (erloschenen) ewigen Spartakiadefackel eine formschöne Laubsägearbeit auf. Ein grinsendes Äffchen. In der Halbzeit veranstalteten sie ein Wettrennen und trällerten, wenn ich es richtig erfasste „Wir sind die Jungs vom Zoo“.

Magier wie Zahlemann sind in den sieben Thüringer Bergen verloren gegangen. Geblieben sind die, die immer gekommen sind. Und weiterhin kommen werden. Die treuen Seelen ohne einen Knopf in der Tasche. Die zum Fußball erscheinen, um Freunde zu treffen. Die gern ein wenig rummeckern, aber eigentlich Frieden finden wollen. Ihr erkennt sie an ihrem Durst.

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