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Die Hamas feuert Raketen auf Israel. Das israelische Militär feuert Raketen auf Gaza. Und wir schauen Fußball. Ist das Okay?

© Reuters

WM 2014 - Fußball und Krieg: Krieg in Israel und Gaza: Sollten wir uns leiser über Fußball freuen?

Deutschland im WM-Finale in Brasilien - und gleichzeitig Krieg in Nahost: Sollten wir uns nicht wenigstens etwas leiser freuen in Zeiten des Krieges?

Harter Schnitt, gestern im ZDF. Claus Kleber moderiert das Heute Journal in der Halbzeitpause des WM-Halbfinales Brasilien gegen Deutschland. Ihm ist die eigentliche Unmöglichkeit der Aufgabe anzusehen. Der Moderator muss überleiten vom deutschen Fußballfest zum nun offenen Krieg im Nahen Osten, und zurück. Raketen fliegen auf Tel Aviv und Jerusalem, das israelische Militär bombardiert den Gazastreifen, heißt es kurz zwischendrin.

Dann folgt die Schalte nach Belo Horizonte. Es ist nämlich ein geschichtsträchtiger Abend für Fußballdeutschland. Wer die entsprechenden Einstellungen auf Facebook und Twitter gewählt hat, sieht auf dem "Second Screen" Bilder von verstümmelten Leichen und ängstlichen Zivilisten in Bunkern und Kellern. Empörte Kommentare finden sich immer häufiger auch unter dem Fußball-Hashtag #BRAGER. Der Medienkritiker Stefan Niggemeier nennt das in die Halbzeit gequetschte Leid "Nachrichten-Wahnsinn pur".

Auch ein Live-Ticker: Zu Gefechten zwischen Israelis und Palästinensern

Für all diejenigen, die sich selbst als antideutsch einstufen, ist die Freude über die Leistung der deutschen Mannschaft auch ohne Kriege ein Unding. Doch in Zeiten von Toten und Schwerverletzten, von heulenden Kindern und schrillenden Sirenen erreicht die Frage nach der Moral auch den Mainstream. Die Piratin Marina Weisband twitterte noch in der Halbzeitpause des gestrigen Spiels: "Ich verstehe diese Welt nicht. Ich verstehe das psychologisch schon irgendwie. Aber ich verstehe es nicht. #Israel #Palästina #WM #BraGer"

uch sonst häuften sich spätestens ab dem „Heute Journal“-Intermezzo die nachdenklichen Nachrichten in den sozialen Netzwerken, viele Absender nannten sich reflektiert "Spielverderber" und fragten, ob das so wirklich in Ordnung gehe: Sieben Tore – und schon ist alles andere nicht mehr relevant. Oder kann es sein, dass sich diese "Spielverderber" mit ihren Kommentaren Anerkennung als bessere Menschen verschaffen wollen? So argumentiert zumindest eine weitere kritische Masse im Netz. Einige von den Kritikern der Kritiker wollen sich nicht das Feiern vermiesen lassen, andere verweisen auf Syrien, Irak, die Ukraine und andere Krisen: "Irgendwo ist immer Krieg, in Nahost sowieso immer."

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Auch Journalisten nutzten die zweite Halbzeit, um sich ihre Bedenken in Erinnerung zu rufen: "Konzentrieren wir uns auf das Wesentliche", schrieb eine Kollegin per SMS – und meinte den Nahost-Konflikt. Und die Menschen dort vor Ort? In Israel und Palästina ist Fußball natürlich nur am Rand ein Thema, der Live-Ticker zu den Gefechten zwischen dem israelischen Militär und der Hamas läuft dafür im Minutentakt ein. Die meisten Kommentare klingen auf beiden Seiten ähnlich: "Während die Welt Fußball guckt, werden wir angegriffen." Tatsächlich rutschen die Nachrichten aus dem Nahen Osten bei fast allen großen deutschen Medien weit nach unten, werden vom Traumspiel aus Belo Horizonte verdrängt. Auch auf Tagesspiegel.de interessierte in erster Linie eins: Fußball.

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Nun bekriegen sich Israelis und Palästinenser nicht zum ersten Mal. In der üblichen Ramadanroutine - wie viele arabische User kommentieren - schießen sich beide Parteien nieder. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu möchte die "Samthandschuhe ausziehen", hat zehntausende Reservisten an die Front gerufen. Die Hamas bezeichnet die "Nationale Einheit" als Aufruf zum "gemeinsamen Kampf gegen den israelischen Feind". Kriegsrhetorik vom Feinsten, die wir alle aber aus dem Nahen Osten gewöhnt sind. Irgendwo gibt es immer Krieg auf unserem Planeten, hieß und heißt es deswegen in trotzigen Reaktionen auf Berliner Straßen, wo die Fans feierten und im Netz, wo das Halbfinale die Nachrichten aus dem Nahen Osten überragte -  so komplett, wie Deutschland die Brasilianer aus dem Turnier kickte.

Gibt es sie? die angemessene Freude?
Gibt es sie? die angemessene Freude?

© AFP

Dürfen wir also in Zeiten des Krieges feiern? Gar den Fußball feiern? Zumindest leise feiern? Es gibt vielleicht keine zufriedenstellende Antwort auf diese Fragen. Sie sind aber auf jeden Fall eine ruhige Denkminute wert. Sogar für den größten Fußballfan auf Erden.

Was meinen Sie, liebe Leserinnen und Leser? Diskutieren Sie mit uns in den Kommentaren unter diesem Text oder bei uns auf Facebook und Twitter.

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