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Unter Wladimir Putin hat Russland seine Desinformationskampagne massiv verstärkt.

© Sergei Karpukhin/Reuters

Die EU und russische Desinformation: Eine Task Force gegen Propaganda

Lange hat sich die EU damit schwer getan, eine Antwort auf russische Desinformation zu finden. Nun sammelt eine Task Force erst einmal Beispiele.

Für die russische Antwort auf den Weihnachtsmann und seine Begleiterin brechen russischen Medienberichten zufolge bald harte Zeiten an. „In der Westukraine werden Väterchen Frost und Schneeflöckchen verboten“, titelte die russische Staatszeitung „Rossijskaja Gaseta“. Als „Überbleibsel des alten Systems“ sollten sie durch den heiligen Nikolaus ersetzt werden. Der russische Sender Ren.tv macht sich unterdessen Sorgen über den wachsenden Rechtsextremismus. „Die Neuauflage von Adolf Hitlers Skandalbuch ,Mein Kampf‘ ist ein ‚unheilverkündendes Zeichen für die Neuauflage des Nationalsozialismus in der Welt‘“, berichtet der Sender, das Zitat stammt von einer Duma-Abgeordneten. Glaubt man Berichten russischer Medien, so ist die Ukraine in das schmutzige Ölgeschäft mit der Terrormiliz „Islamischer Staat“ verwickelt. Die Ukraine kaufe Öl von der Türkei, das diese zuvor vom IS erworben habe. Diese Meldung erschien auf der Webseite von "Swesda" (Stern), dem Sender des russischen Verteidigungsministeriums.

"Russland hat seine Desinformationskampagne verstärkt"

Alle drei Berichte sind in den vergangenen zwei Wochen erschienen und stehen in einer von der Europäischen Union herausgegebenen Übersicht – als Beispiele für Desinformation. Diejenigen, die einmal einen Tag lang russisches Staatsfernsehen gesehen haben, werden kaum überrascht sein. Doch in der EU wurde erst lange nach dem Beginn des Krieges in der Ukraine russische Desinformation als Problem erkannt. Im Januar forderten Estland, Litauen, Dänemark und Großbritannien die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini per Brief zum Handeln auf. Sie betonten, dass Russland seine Desinformationskampagne verstärkt habe, sowohl über vom Staat kontrollierte Medien als auch mithilfe von „Internet-Trollen“, die in den Kommentaren auf Nachrichtenwebseiten gezielt prorussische Positionen verbreiten. „Ziel ist es, die europäischen Narrative zu diskreditieren, die Unterstützung für legitime Regierungen zu verringern, die örtliche Bevölkerung zu demoralisieren, westliche Entscheidungsträger in die Irre zu führen und das Konzept freier, unabhängiger und pluralistischer Medien lächerlich zu machen“, betonten die vier Außenminister. Von der EU forderten sie dringend eine Antwort auf Moskaus Propagandastrategie.

Doch in anderen EU-Mitgliedstaaten gab es Vorbehalte. Die EU solle auf keinen Fall auf Propaganda mit Gegenpropaganda antworten. Immerhin einigten sich die Staats- und Regierungschefs im März darauf, dass man „Russlands andauernden Desinformationskampagnen“ etwas entgegensetzen müsse. Mogherini erhielt den Auftrag, einen Aktionsplan zur „strategischen Kommunikation“ zu erarbeiten, außerdem sollte ein neues Kommunikationsteam dafür gebildet werden.

Zu den im Aktionsplan definierten Aufgaben dieser Gruppe gehört es, die Politik und die Werte der EU in den Ländern der östlichen Partnerschaft (Ukraine, Georgien, Moldau, Armenien, Aserbaidschan und Weißrussland) „zu kommunizieren und zu bewerben“. Außerdem soll die Medienlandschaft gestärkt werden, auch durch Unterstützung für unabhängige Medien. Und schließlich soll das Team öffentliche Aufmerksamkeit für „Desinformationsaktivitäten externer Akteure“ schaffen und die Fähigkeit der EU verbessern, solche Aktivitäten „zu antizipieren und auf sie zu antworten“.

Zum 1. September hat die „East StratCom Task Force“ ihre Arbeit aufgenommen. Sie gehört zur Abteilung für Strategische Kommunikation im Europäischen Auswärtigen Dienst (EEAS) und besteht aus zehn Mitarbeitern, fast alle sprechen Russisch. Geleitet wird die Arbeitsgruppe von dem britischen Diplomaten Giles Portman. Einmal wöchentlich gibt das Team den „Disinformation Review“ heraus. Darin sind Beispiele für russische Desinformation aufgelistet, nicht nur aus russischsprachigen Medien, sondern auch aus EU-Mitgliedstaaten wie Tschechien, aus der Ukraine und Georgien. Die Berichte sind optisch sehr schlicht in Tabellenform gehalten. „Als Kommunikationsprodukt sieht das noch nicht wirklich gut aus“, gibt ein EU-Diplomat zu. Der „Disinformation Review“ richtet sich vor allem an Journalisten und andere Multiplikatoren und hat eine kleine vierstellige Zahl von Abonnenten.

Netzwerk von 500 Personen schickt Hinweise

Jede Woche wird ein Trend identifiziert, der sich durch Medienberichte in mehreren Ländern zieht. So tauchten Berichte über eine angebliche Verstrickung der USA, ihres Geheimdienstes CIA oder der Nato in den Abschuss eines russischen Militärflugzeugs durch die Türkei erst in russischen Medien auf, wenig später aber auch in mehreren europäischen Medien. Zu jedem dieser Berichte findet sich in der EU-Liste eine Begründung, die sie widerlegen soll – allerdings meist nur sehr knapp. „Manchmal ist die Geschichte selbst so lächerlich, dass man sie gar nicht mehr widerlegen muss“, sagt ein EU-Diplomat. Die Beispiele für Desinformation sammelt das Kommunikationsteam nicht selbst, sie kommen aus einem internationalen Netzwerk von fast 500 Personen, die meisten sind Journalisten. Auffällig ist, dass die Task Force die Aufgabe, bestimmte Medienberichte als unwahr zu identifizieren, nicht selbst übernehmen will, sondern an ein Expertennetzwerk auslagert.

Denn die Arbeit der Gruppe war schon vor ihrer Gründung nicht unumstritten. „Anfangs mussten Vorbehalte überwunden werden, dass sich das Team mit Gegenpropaganda befasst“, sagt der EU-Diplomat. Zugleich betont er, dass die Auseinandersetzung mit Desinformation nur eine von drei im Aktionsplan definierten Aufgaben der Taskforce sei.

Kommunikationskampagne bei den EU-Nachbarn

Für das kommende Jahr ist eine große Kommunikationskampagne in den Nachbarstaaten der EU geplant. Mit den Regierungen der Ukraine und Georgiens ist das Team bereits im Gespräch, die Zusammenarbeit sei gut, heißt es in Brüssel.

Was die Unterstützung für unabhängige Medien angeht, will die Task Force zunächst Informationen darüber sammeln, welcher EU-Mitgliedstaat was bereits macht. „Dann werden wir sehen, wo die Lücken sind“, sagt der Diplomat. Die Rede ist in Brüssel vor allem von Trainingsprogrammen für Journalisten und der Bildung von Netzwerken. Dagegen ist die von den baltischen Staaten ins Gespräch gebrachte Gründung eines unabhängigen russischsprachigen Senders offenbar vom Tisch.

Der Text erschien in der "Agenda" vom 15. Dezember 2015 - einer Publikation des Tagesspiegels, die jeden Dienstag erscheint. Die aktuelle Ausgabe können Sie im E-Paper des Tagesspiegels lesen.

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