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In diesem Jahr könnten mehr als 400.000 Asylbewerber nach Deutschland kommen.

© dpa

Ein Bundesamt für Flüchtlinge: Wer darf rein nach Deutschland?

Die Zahl der Flüchtlinge steigt 2015 auf Rekordniveau. Das Bundesamt für Migration muss die Asylanträge prüfen – Porträt einer Behörde unter Druck.

In Nürnberg müssen sie im Moment vor allem eines sein: flexibel. Neulich beispielsweise vereinbarte die Berliner Koalition an einem Sonntag spätabends, dass Flüchtlinge aus Syrien und dem Irak Priorität bei der Aufnahme in Deutschland haben sollen. Sie war sich außerdem einig, dass für Asylbewerber aus den Balkanstaaten „kein Asylgrund“ vorliege. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) in Nürnberg muss auf diese Vorgaben und Hinweise nun so schnell wie möglich reagieren. Es prüft die Asylanträge von Flüchtlingen, die nach Deutschland kommen. Und die dürften in diesem Jahr ein Rekordniveau erreichen.

Neue Vorgaben aus Berlin

Allerdings hatten Bund und Länder kürzlich erst beschlossen, der Bearbeitung von Asylanträgen aus dem Kosovo Priorität einzuräumen. Innerhalb von zwei Wochen sollen die Verfahren abgeschlossen werden. Umzusetzen war das nur, indem Anträge von Flüchtlingen aus anderen Staaten zurückgestellt wurden. Auch Syrer und Iraker müssen daher derzeit länger auf einen Bescheid warten. Nun sollen also auch für die Bürgerkriegsflüchtlinge beschleunigte Verfahren eingeführt werden – in ihrem Fall, weil man grundsätzlich davon ausgehen kann, dass ihnen ein Bleiberecht zuerkannt wird.

Manfred Schmidt, seit 2010 Chef des Amtes, bringen die immer neuen Vorgaben nicht aus der Fassung. „Bei Flüchtlingen aus Syrien und dem Irak verzichten wir ohnehin bereits auf eine individuelle Anhörung“, erklärt er. Damit seien die Verfahren bereits deutlich verkürzt worden. Die Ergebnisse des letzten Berliner Koalitionsgipfels stellen das BAMF also nicht vor größere Probleme, glaubt man seinem Präsidenten. Und sie waren auch keine Überraschung. „Die Entscheidungen werden in der Regel vorab mit uns abgestimmt, meist werden dabei unsere Vorschläge umgesetzt“, sagt er. „Wir sind froh, dass die Politik nach Lösungen sucht.“

Mehr Stellen für das Bundesamt

Der BAMF-Präsident hat offenbar wenig Grund zur Klage. Wohl auch, weil die Zahl der Mitarbeiter stetig aufgestockt wird. 2014 bekam es bereits 300 neue Stellen, 2015 sind noch einmal 350 neue Stellen geplant, 230 davon wurden schon besetzt, sodass das Amt mit seinen 26 Außenstellen derzeit 2600 Mitarbeiter beschäftigt. Das sind immer noch deutlich weniger als zu den Zeiten, als die Asylbewerberzahlen ihren bisherigen Höchststand erreichten: zu Beginn der 1990er, nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und den Kriegen auf dem Balkan. Damals hatte das BAMF 4000 Mitarbeiter und fast doppelt so viele Außenstellen in den Bundesländern wie heute.

2015 könnten so viele kommen wie noch nie

Im Spitzenjahr 1992 kamen mehr als 430 000 Flüchtlinge nach Deutschland. In diesem Jahr könnte diese Marke erstmals übertroffen werden. Die letzte BAMF- Prognose sagte zwar rund 300 000 Asylanträge für 2015 voraus, doch bis zum Flüchtlingsgipfel von Bund und Ländern am Freitag soll eine aktualisierte Schätzung vorliegen. „Angesichts der Situation auf dem Mittelmeer prüfen wir, ob die Zahl korrigiert werden muss“, sagt Schmidt. Die Bundesländer gehen sogar von 500 000 Asylbewerbern in diesem Jahr aus, was Schmidt aber als eine „taktische Zahl“ bezeichnet. Schließlich kämpften Länder und Kommunen darum, vom Bund mehr Unterstützung – sprich mehr Geld – für die Unterbringung von Flüchtlingen zu erhalten.

Politik unter Zugzwang

Die dramatische Entwicklung der Flüchtlingszahlen setzt alle Beteiligten unter Zugzwang. Länder und Kommunen kritisieren daher auch schon mal, die Prüfung der Asylanträge durch das BAMF dauere zu lange, obwohl die Länder auf Ablehnungen auch nicht immer direkt mit Abschiebungen reagieren. Auf der anderen Seite kritisieren Menschenrechtler und Initiativen wie Pro Asyl, dass das Amt zu großem politischen Druck unterliege. Etwa 25 Prozent aller Asylanträge würden gar nicht entschieden, weil die Antragsteller in jene EU-Staaten zurückgeschickt würden, in denen sie zunächst angekommen seien, sagt Pro-Asyl-Geschäftsführer Günter Burkhardt. Das entspricht dem sogenannten Dubliner Übereinkommen der EU. „Das Amt könnte in diesem Punkt mehr Humanität walten lassen und auf Rückführungen verzichten, aber ihm sind durch die Vorgaben des Innenministeriums die Hände gebunden.“

Kritik von Menschenrechtlern

Auch der Vorwurf, durch beschleunigte Verfahren werde „Abschreckung statt Schutz“ praktiziert, steht im Raum. An den Qualitätsstandards der Verfahren habe sich nichts geändert, sagt dagegen Amtschef Schmidt. Jeder einzelne Fall werde individuell geprüft. Deshalb gebe es auch weiterhin einzelne Kosovaren, die Asyl in Deutschland erhielten.

In dem Balkanstaat hatten Gerüchte über eine großzügige Aufnahmepolitik in Deutschland eine regelrechte Fluchtwelle ausgelöst. Teilweise meldeten sich mehr als 1500 Kosovaren täglich in den deutschen Erstaufnahmeeinrichtungen. Damit lag das Land Anfang des Jahres auf Platz eins der Hauptherkunftsländer von Asylsuchenden, noch vor Syrien und dem Irak. Tatsächlich sind ihre Chancen, bleiben zu können, allerdings mehr als gering, denn politische Flüchtlinge sind nur sehr wenige von ihnen. Nur das wäre ein Grund für Asyl. Die wirtschaftliche Not in ihrer Heimat ist dagegen keiner. Entsprechend liegt die Ablehnungsquote bei weit über 90 Prozent.

Zuwanderung statt Asyl

Mittlerweile ist die Zahl der Neuankömmlinge aus dem Kosovo auf unter 100 pro Tag gesunken. Die „konzertierte Bearbeitung“ der Asylanträge und Informationsmaßnahmen im Kosovo wirkten ganz offensichtlich, sagt Schmidt. Für das Mittelmeer schlägt er eine andere Lösung vor: Anlaufzentren in nordafrikanischen Staaten, in denen Flüchtlinge Asyl in der EU beantragen können. „Wir müssen es schaffen, vor den Schleusern an die Menschen heranzukommen. Nur so verhindern wir neue Tragödien auf dem Mittelmeer.“ Ein Vorschlag, den sich auch Innenminister Thomas de Maizière (CDU) zu eigen gemacht hat.

Hilfe für qualifizierte Flüchtlinge

Viele Flüchtlinge seien gut ausgebildet und könnten auch über andere Wege als das Asyl nach Europa kommen, sagt Schmidt. „Aber das wissen die meisten nicht.“ Anlaufzentren könnten über Zuwandermöglichkeiten informieren und geeignete Interessenten unterstützen. Auch das ist seit mehr als zehn Jahren Aufgabe des BAMF. „Eigentlich müssten wir aber die Gesellschaft selbst viel stärker in den Blick nehmen“, sagt Schmidt. „Was nützt der beste Integrationskurs, wenn der Absolvent später keine Arbeit findet, weil er wegen seiner Herkunft abgelehnt wird?“

Das öffentliche Bild der Zuwanderer sei geprägt von negativen Bildern, sagt Schmidt mit Blick auf Pegida und Co. „Wir müssen besser kommunizieren, wer da eigentlich kommt und wie wichtig Zuwanderung für Deutschland ist.“ Gleiches gelte für Flüchtlinge. Er sehe aber nicht nur Ablehnung, sondern auch ungeheure Hilfsbereitschaft. „Das gab es in den 90er Jahren nicht.“

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