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Christine Hohmann-Dennhardt, noch zu ihrer Zeit am Bundesverfassungsgericht.

© Uli Deck/dpa

Nebenjobs und Top-Jobs: Wenn sich Richter gut verkaufen

Die Spitzenleute der Justiz verdienen nebenbei viel Geld - oder vergolden ihre Amtszeit mit einem Spitzenposten in der Wirtschaft. Nicht nur Politiker fordern Grenzen.

Eine Karriere, wie sie es in Deutschland noch nicht gegeben hat. Normalerweise sind es die zwölf Jahre Dienst am Bundesverfassungsgericht, die den Höhe- und häufig auch Endpunkt einer Richterlaufbahn bilden. Für Christine Hohmann-Dennhardt ging es danach erst richtig los. Kaum war sie in Karlsruhe ausgeschieden, holte die Daimler AG die frühere SPD-Politikerin und hessische Landesministerin zu sich. Als erste Frau im Vorstand nach 125 Jahren Firmengeschichte. Dazu noch für den neu geschaffenen Posten „Integrität und Recht“.

„Integrität und Recht“, so hieß auch der Vorstandsposten, den Hohmann-Dennhardt Anfang vergangenen Jahres beim dieselkrisengeschüttelten Volkswagenkonzern antrat und ein Jahr später wieder verließ. Addiert mit Ansprüchen aus der Daimler-Zeit, die VW übernahm, kam sie dabei auf ein Salär von rund zehn Millionen Euro. Volkswagen festigte damit seinen Ruf, zum Ausplündern einzuladen. Und die Chef-Ethikerin schuf einen neuen: Erst richten, dann raffen – das geht!

"Mich hat das Ausmaß überrascht"

Natürlich alles nach Vertrag, Recht und Gesetz. Aber so richtig mag es nicht zusammenpassen. Integrität, das ist das philosophische Wort dafür, dass man nach den Werten, die man predigt, auch handelt. Sie auch von Richtern vor oder nach ihrem Dienst einzufordern, darauf wäre vor ein paar Jahren noch niemand gekommen. Doch eine Karriere wie die von Hohmann-Dennhardt zeigt beispielhaft, wo hier die Probleme liegen. Richter müssen unabhängig sein, die Justiz lebt vom Vertrauen der Bürger in ihre Unabhängigkeit. Wie unabhängig agieren Richter, die sich insbesondere durch ihre Amtszeit für einen Millionen-Job in der Wirtschaft qualifizieren?

Die Sozialdemokratin mag ein Ausreißer sein. Aber nicht nur die Jobs nach dem Richterdienst, auch die während des Dienstes sind ins Gerede gekommen. Am deutlichsten ist der Präsident des Bundesverwaltungsgerichts, Klaus Rennert, geworden. Er sprach kürzlich von „schmuddeligen“ Nebenjobs. „Ich bekomme ein Problem damit, wenn man als Bundesrichter für einen Vortrag an einem Abend eine Summe von 20 000 Euro bekommt und damit Gelder erhält, wie sie für Spitzenpolitiker üblich sind.“ Rudolf Mellinghoff, Präsident des Bundesfinanzhofs (BFH), bedauert öffentlich, dass er dergleichen nicht einfach untersagen kann. Der BFH hat jetzt erste Konsequenzen gezogen und seinen Richtern einen Katalog mit „Hinweisen zum Nebentätigkeitsrecht“ vorgelegt.

„Mich hat insgesamt schon überrascht, in welchem Ausmaß manche Bundes- und Bundesverfassungsrichter Nebentätigkeiten wahrnehmen“, kritisiert die rechtspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Elisabeth Winkelmeier-Becker. „Richter sollten nicht mehr als 40 Prozent ihres Grundgehaltes hinzuverdienen dürfen, denn bei höheren Summen ist von Tätigkeiten auszugehen, die das eigentliche Richteramt allein schon zeitlich beeinträchtigen“, fordert der SPD-Rechtspolitiker Johannes Fechner. Auch für die Grünen-Abgeordnete Katja Keul ist eindeutig klar, dass „die richterliche Tätigkeit immer an erster Stelle stehen muss“.

Gutverdiener bringen es nebenher auf über 100.000 Euro

Haben Richter ein „Compliance“- Problem, wie das Wirken für „Integrität und Recht“ auf Unternehmensebene im Business-Englisch heißt? Ein Blick auf die Gehälter zeigt, dass ihr Einkommen nicht gegen alle Versuchungen immunisieren kann. Rund 9600 Euro im Monat sind es aktuell. Es gibt Wirtschaftsanwälte, die diese Summe schon nach ein paar Arbeitstagen abrechnen. Das macht Nebenjobs lukrativ.

Keul und ihre Fraktion haben sich von der Regierung eine Übersicht erstellen lassen. Im Schnitt verdienen Richter am Bundesgerichtshof (BGH) jährlich rund 12 000 Euro nebenbei, die Bundesfinanzrichter in München bringen es sogar auf über 30 000 Euro. Der Top-Verdiener am BGH macht im Schnitt fast 300 000 Euro im Jahr nebenher, am BFH 160 000, am Bundessozialgericht (BSG) immerhin noch rund 100 000.

Skandalös muss daran nichts sein. Nebenjobs sind erlaubt und mitunter auch erwünscht. Häufiger sind es erfahrene Richter, welche für ihr Rechtsgebiet einschlägige Gesetzeskommentare betreuen. Ein Beispiel dafür ist der Strafrichter Thomas Fischer, der auch für „Zeit Online“ eine Kolumne schreibt und bis zu seinem vorzeitigen Ausscheiden in einigen Wochen zu den Spitzen-Nebenverdienern gehören dürfte. Sein Kommentar aus dem Verlag C.H. Beck gilt als Standardwerk für Praxis und Ausbildung.

Willkommen sind auch Lehrtätigkeiten oder die Mitwirkung an den juristischen Staatsprüfungen. Es spricht nichts dagegen, Spezialwissen in die Öffentlichkeit zu vermitteln, auch und gerade über Bücher. Schwierig wird es, wenn die Kreise exklusiver und die Themen mit den Streitfällen schlecht vereinbar werden. „Bezahlte Vorträge für Unternehmen, über deren Fälle entschieden wird, gehen nicht“, sagt der SPD-Rechtsexperte Fechner. „Wer heute einen entgeltlichen Vortrag bei der Immobilienbranche hält, kann nicht morgen in Mietrechtsstreitigkeiten unabhängig entscheiden“, warnt Halina Wawzyniak von der Linken-Fraktion. Hier sehen auch die Gerichtspräsidenten regelmäßig eine freilich nicht haarscharf gezogene Grenze.

Formal ist diese Grenze ohnehin weit gesteckt. Richter sind unabhängig, auch in der Wahl ihrer Nebenjobs. Laut Richtergesetz gibt es daneben aber auch noch ein Mäßigungsgebot. Zurückhaltung ist also angesagt, bei politischen Äußerungen wie bei entgeltlichen Tätigkeiten.

Die Justiz kontrolliert sich selbst - oder auch nicht

Die Kontrolle liegt bei den Gerichten und den jeweiligen Präsidenten – und damit bei der Justiz selbst. Die für die Bundesgerichte zuständigen Ministerien, das Justiz- und das Sozialministerium, haben ihnen die Überwachung der Nebenjobs übertragen. Diese müssen entsprechend den beamtenrechtlichen Bestimmungen regelmäßig angezeigt, allerdings nicht genehmigt werden. BFH-Präsident Mellinghoff tritt dafür ein, insbesondere Vortragstätigkeiten genehmigungspflichtig zu machen. Auch sein Kollege vom Leipziger Bundesverwaltungsgericht spricht von „besonderen Erfordernissen“ im Richterberuf, denen die Regeln „nicht in vollem Umfang“ Rechnung trügen.

„Eine Lösungsmöglichkeit wäre es, sämtliche richterlichen Nebentätigkeiten genehmigungspflichtig zu machen“, schlägt die Grünen-Expertin Keul vor. Der CDU-Rechtspolitiker Hendrik Hoppenstedt kann sich zumindest vorstellen, den Katalog „maßvoll“ zu erweitern. Mehr Transparenz will der SPD-Politiker Fechner, der auf das in Hessen bestehende Register für Richter-Nebenjobs verweist. „Weil sich dann alle Prozessbeteiligten ein Bild machen können, ob möglicherweise Zweifel an der richterliche Unabhängigkeit bestehen“, sagt er.

Fechner macht sich auch dafür stark, die Nebenjob-Kontrolle wieder bei der Exekutive anzusiedeln – und fordert sogar eine Karenzzeit nach dem Abschied vom Richterdienst. Denn Anschlussjobs bei jenen, über die zuvor geurteilt wurde, könnten ein schlechtes Licht auf die versprochene Unabhängigkeit werfen.

Alles Ideen, die sich für die meisten Bundesgerichte und Landesgerichte auch realisieren ließen. Nur ein Gericht scheint unerreichbar für derlei Regelungen. Ausgerechnet jenes, das Hohmann-Dennhardt zu ihrem unvergleichlichen Aufstieg verhalf. Das Bundesverfassungsgericht ist ein Verfassungsorgan wie der Bundestag oder der Bundespräsident. Seine Richter unterliegen damit anders als die anderer Bundesgerichte keiner Dienstaufsicht.

Glück für Hohmann-Dennhardt. Unter Juristen gibt es durchaus Stimmen, die meinen, dass sich ihre außerordentliche Vergütung sonst am Disziplinarrecht hätte messen lassen müssen. Da sie ihre Vorstandsjobs offenkundig vor allem deshalb besetzen konnte, weil sie zuvor Richterin am höchsten Gericht war, wäre damit auch die Frage aufgeworfen, ob sie das viele Geld hätte annehmen dürfen – oder gar zurückzahlen müsste. Zudem hätte man fragen können, ob sie dafür eine echte Gegenleistung erbracht hat oder erbringen konnte. Verkürzt gesagt: Ob die Ex-Richterin in Wahrheit nicht ihre Arbeitskraft, sondern den überragenden Ruf der Institution verkauft hat, die sie erst zur anerkannten Fachfrau für „Integrität und Recht“ qualifiziert hat.

In Karlsruhe wird das Problem erkannt. Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle hat einen Kodex angekündigt, mit dem geregelt werden soll, welche späteren Jobs mit dem Ansehen des Gerichts verträglich sind. Eine Arbeitsgruppe aus vier Richtern bildete sich schon vergangenen Juni, lange bevor Zahlen zu Hohmann-Dennhardts Posten bekannt wurden. Man darf annehmen, dass die Richter, wie häufiger, die Entwicklung vorhergesehen hatten. Das gehört zu ihrem Job.

Der Text erschien in "Agenda" vom 28. März 2017, einer Publikation des Tagesspiegels, die jeden Dienstag erscheint. Die aktuelle Ausgabe können Sie im E-Paper des Tagesspiegels lesen.

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