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Hahn zu, Ofen aus? Die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Russland und Deutschland bestehen aus deutlich mehr als Gaslieferungen.

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Ukraine-Krise und die Wirtschaft: Verbotene Liebe: Das große Geschäft mit Russland

Waren und Dienstleistungen für 76 Milliarden Euro tauschten deutsche und russische Unternehmen im Jahr 2013 miteinander aus. Die Krise stellt das nun alles infrage.

Von Antje Sirleschtov

Eigentlich hatte Ilse Aigner in ihrem Terminkalender für Anfang Juli „Moskau“ eingetragen. Mit einer hochrangigen Unternehmerdelegation wollte die bayerische CSU-Wirtschaftsministerin für fünf Tage in die russische Hauptstadt und nach Nishni Nowgorod fliegen. 13 Milliarden Euro schwer ist das jährliche Handelsvolumen der bayerischen Wirtschaft mit Russland, und an der Wolga in Nishni Nowgorod haben große russische U-Boot-, Panzer- und Flugzeugwerke ihren Sitz. Seit Jahren fliegen Münchens Top-Politiker regelmäßig mit Unternehmern gen Osten, um dort für die heimische Wirtschaft Märkte zu sichern und neue zu erschließen.

Vor ein paar Tagen hat Aigner die Reise gestrichen. Ersatzlos. Mindestens zwei dutzend Wirtschaftsvertreter müssten mitfliegen, rechtfertigt ihr Umfeld, damit sich so eine Reise auch lohnt. Bislang war das auch kein Problem. Nun aber, in Krisenzeiten: Bis Mitte April hatten sich noch nicht mal zehn Unternehmen gemeldet.

Als "Putin-Freund" beschimpft

War das Interesse so mau aus Furcht, wie unlängst Siemens-Chef Joe Kaeser, in der deutschen Öffentlichkeit als „Putin- Freund“ beschimpft zu werden? Oder aus Unsicherheit darüber, was aus den mühsam angebahnten Geschäften wird, wenn die Ukraine-Krise sich erst richtig zuspitzt? Deutlich macht die geplatzte Aigner-Reise auf jeden Fall eines: In den Führungsetagen der deutschen Wirtschaft geht die Angst um, zwischen den Mühlsteinen der Weltpolitik zermahlen zu werden.

Siemens macht gute Geschäfte mit Russland. Das soll so bleiben betonen Präsident Putin (l.) und Siemens-Chef Kaeser.
Siemens macht gute Geschäfte mit Russland. Das soll so bleiben betonen Präsident Putin (l.) und Siemens-Chef Kaeser.

© dpa

Waren und Dienstleistungen im Wert von 76 Milliarden Euro tauschten Deutsche und Russen im vergangenen Jahr aus. Grundstoffe, Lebensmittel, Hightech-Produkte – es gibt beinahe nichts, was nicht regelmäßig per Container seinen Weg nach Osten findet. Wenn es nicht überhaupt schon längst am Ural produziert wird.

Als der Russland- Beauftragte des Auswärtigen Amtes, Gernot Erler (SPD), unlängst in Moskau die deutsch-russische Außenhandelskammer besuchte, drängten sich ihm einige hundert deutsche Manager und Unternehmer entgegen. Die meisten leben in Russland, alle haben Geld in Anlagen und Fabriken investiert. Erler hatte ihre Angst mit Händen greifen können. „Sanktionsstufe III“ – so lautet das Horrorwort der Investoren. Und damit die Frage: Wann wird sich die Krise zwischen Präsident Wladimir Putin und dem Westen so hochgeschaukelt haben, dass sich US-Amerikaner und Europäer auch auf harte Wirtschaftsbeschränkungen gegen Russland verständigen?

Berichte von für diesen Fall vorbereiteten Enteignungen westlicher Besitztümer in russischen Medien ließen die Telefondrähte vor ein paar Tagen in der Botschaft und den Kammern tagelang heiß- laufen. Und der dramatische Verfall des Rubels reißt täglich gewaltige Löcher in die Handelsbilanzen. Börsengänge werden verschoben, Handelsgeschäfte auf Eis gelegt. Es ist, beschreibt ein Kammervertreter die Stimmung, „als bereiten wir uns auf den nächsten Kalten Krieg vor“.

Beinahe unbedeutend wirkt im Angesicht solch bedrohlicher Szenarien die Frage, die sich weiter südlich, in Kiew, deutsche Investoren stellen: Wie sollen Fertigung und Handel funktionieren, wenn die Ukraine noch mehr destabilisiert wird und nach der Krim-Abspaltung weiter auseinanderfällt? Es mag manchem wie eine Petitesse vorkommen, aber den Verkäuferinnen eines ukrainischen Metro-Marktes wurde ganz mulmig, als unlängst prorussische Demonstranten vor ihren Türen aufmarschierten und verlangten, die ukrainische Fahne vom Dach des Gebäudes zu nehmen. So hautnah hängen Politik und Wirtschaft manchmal zusammen.

In Berlin heißt das oberste Gebot: Kommunikation. Und zwar sowohl zwischen der Regierung und der Wirtschaft als auch zwischen Deutschen und Russen. Es geht um den Austausch der aktuellen und der langfristigen Lageeinschätzung. Oder manchmal auch nur darum, sich gegenseitig des Vertrauens zu versichern.

Ein gutes Forum dafür war lange Zeit die Arbeitsgruppe für „Strategische Fragen der deutsch-russischen Wirtschafts- und Finanzbeziehungen“ (SAG). Hier kamen deutsche wie russische Politiker und Wirtschaftsvertreter parallel zu den Regierungskonsultationen, aber auch schon mal zwischendurch, zusammen. Auf kurzem Weg wurden konkrete Projekte abgestimmt, rechtliche und auch ganz praktische Fragen von Investoren und Handel Treibenden besprochen. Seitdem die Regierungsgespräche zwischen Berlin und Moskau auf Eis liegen, ist kein SAG-Treffen mehr möglich. Auch eine Integrationsfigur wie den ehemaligen Sherpa Bernd Pfaffenbach, der die Drähte auch außerhalb offizieller Treffen in Gang halten könnte, gibt es im Moment nicht. Nachdem Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) die FDP-Staatssekretärin Anne Ruth Herkes hinausgeworfen hat – sie führte zuletzt auf deutscher Seite die SAG-Gruppe –, soll Stefan Kapferer diese Rolle künftig wahrnehmen. Doch der muss sich erstmal einarbeiten.

Umso wichtiger war das zweitägige „East-Forum“, das der Ostausschuss der Deutschen Wirtschaft Anfang April organisiert hat. Dort trafen sich die Spitzen der deutschen Wirtschaft und Politik mit dem russischen Vize-Premierminister Igor Schuwalow und dem ukrainischen Wirtschaftsminister Pawel Scheremeta. „Wir beobachten, dass die Russen keine Gelegenheit zu Gesprächen auslassen“, sagt einer der damaligen Teilnehmer. Hier wie dort befürchten die Wirtschaftsvertreter eine Phase von Sanktionen, die die Zusammenarbeit massiv erschweren könnte.

Schon jetzt erteilt die deutsche Regierung für sogenannte Dual-Use- Güter, das sind Waren, die sowohl zivil als auch militärisch genutzt werden könnten, vorerst keine Ausfuhrgenehmigungen. Folgen weitere Beschränkungen oder gar Sanktionen, droht eine massive Verschlechterung der Wirtschaftsbeziehungen.

"Wenn der Zug erst rollt, kann man ihn schwer wieder anhalten"

Aktuell hat der sogenannte Interministerielle Ausschuss der Bundesregierung – ihm sitzt momentan der Referatsleiter Exportfinanzierung des Bundeswirtschaftsministeriums, Matthias Koehler, vor – seine Lageeinschätzung und damit die Hermes-Exportversicherungsbedingungen für Russland und die Ukraine noch nicht verschärft. Aber „wenn der Zug erst rollt, kann man ihn schwer wieder anhalten“, warnt ein Industrievertreter. Bei den Handelskammern und Verbänden stehen die Mittelständler Schlange und verlangen Antworten auf ganz praktische Fragen: Zum Beispiel: „Soll ich jetzt noch Verträge mit längeren Laufzeiten abschließen?“ Ihnen wird zunehmend zu „großer Vorsicht“ geraten.

Mit der zögerlichen Haltung der Bundesregierung hinsichtlich schärferer Sanktionen sind die Unternehmens- und Verbandsvertreter offenbar zufrieden. Mehr noch: Überall Lob, für Angela Merkels außenpolitischen Berater Christoph Heusgen genauso wie für Frank-Walter Steinmeiers Staatssekretär Markus Ederer, der Anfang der Neunziger übrigens Wirtschaftsthemen in der Moskauer Botschaft betreut hat.

Besonders wohltuend wird angesichts der unsicheren Lage in Wirtschaftskreisen das Agieren des Auswärtigen Amtes wahrgenommen. Dort brieft der Abteilungsleiter für Wirtschaft, Dieter Haller, jeden Montagabend die Vertreter der Verbände und der großen Unternehmen, die im Osten aktiv sind.

Hallers neuer Referatsleiter für diese Fragen, Holger Ziegeler, der bei diesen Treffen auch dabei ist, kennt sich übrigens bestens mit internationalen Netzwerken aus. Bis vor einigen Monaten hatte ihn das Auswärtige Amt zum Bundesverband der Industrie entsandt, wo er die sogenannten B-20-Runden organisiert hat, Parallelveranstaltungen zum G-20-Treffen der Regierungschefs auf Wirtschaftsebene.

Dieser Text erschien in der "Agenda" vom 6. Mai 2014 - einer neuen Publikation des Tagesspiegels, die jeden Dienstag in Sitzungswochen des Bundestages erscheint. Die aktuelle Ausgabe können Sie jeweils bereits am Montagabend im E-Paper des Tagesspiegels lesen. Ein Abonnement des Tagesspiegels können Sie hier bestellen:

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