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Die Welt bunter machen. Wo Kulturen aufeinander treffen, ist Einfühlungsvermögen gefragt – auf beiden Seiten. Das gilt in der Arbeitswelt genauso wie im Alltagsleben.

© picture alliance / dpa

Arbeit und Integration: Interkulturelle Konflikte im Job bewältigen

Die Flüchtlinge sollen möglichst rasch in die Arbeitswelt integriert werden. Dabei werden Konflikte nicht ausbleiben. Experten raten zu mehr Gelassenheit im Umgang mit Arbeitnehmern aus anderen Kulturen.

Noch bevor die junge Frau sich an die Arbeit machen kann, laufen die Mitarbeiter Sturm. So könne sie hier nicht arbeiten, sagen ihr die Kollegen. Ein langes Kopftuch bedeckt ihre Haare, ein Stück des Stoffes hat sie lose um ihren Hals gebunden. Die junge Frau ist Kurdin, Deutsch zu sprechen fällt ihr noch schwer. Mit hoher Geschwindigkeit dreht sich die Walze an der Maschine vor ihr, Funken sprühen. Zu groß ist die Gefahr, dass ihr Schal Feuer fängt. In ihrer Muttersprache reden ihre Kollegen auf sie ein. Dass ihr Schleier, ihre Kopfbedeckung bei der Arbeit zum Problem werden könnte, hatten weder Geschäftsleitung noch die junge Arbeitnehmerin bedacht. Am nächsten Tag erscheint die Frau mit einer passenderen Kopfbedeckung am Arbeitsplatz.

Flüchtlinge hoffen auf ein neues Leben

Roland Leroux kennt etliche solcher Fälle. Der Chemiker ist Leiter der Abteilung Sicherheit, Gesundheit und Umwelt bei einem internationalen Konzern und Präsident der Vereinigung der deutschen Führungskräfteverbände. „Wenn die Religion oder die persönliche Einstellung gegen die Sicherheit am Arbeitsplatz verstößt, gibt es keine Ausnahmen“, sagt Leroux. Der lange Bart, das Kopftuch darf nicht zum Risiko im Job werden. Sicherheitsschuhe, Arbeitsanzüge, Schutzbrillen, Helme: Vielen ausländischen Mitarbeitern sind die deutschen Maßstäbe an den Arbeitsschutz nicht bekannt. „Man ist gut beraten, wenn Landsleute die Aufklärungsarbeit übernehmen“, so Leroux.

Was der Sicherheitsexperte in seinem Unternehmen erlebt hat, kommt in den nächsten Wochen auf etliche Arbeitgeber in Deutschland zu. Die Flüchtlinge hoffen auf ein neues Leben – mit einer Ausbildung, einem Job, einem sicheren Ort für sich und ihre Familien. Die deutsche Wirtschaft sieht in den Flüchtlingen ein „großes Potenzial“. Schließlich zwingt der demografische Wandel und der Mangel an Fachkräften die Betriebe dazu, sich nach Personal auch aus dem Ausland umzuschauen. Sie fordern von der Politik Hilfen beim Papierkram, mehr Unterstützung bei Sprach- und Orientierungskursen. Je schneller die Menschen Deutsch können, desto besser sind ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt.

Erwartungen und Ansprüche sind hoch, auf Seiten der Betriebe und der Migranten. „Es kommt dann zu interkulturellen Konflikten, wenn die hohen Erwartungen nicht entsprechend erfüllt werden“, sagt Wolfgang Jockusch, Gründer und Geschäftsführer der Bamik GmbH, eines Trainingsanbieters für interkulturelle Kommunikation und Diversity Management. Wer Gepflogenheiten schlichtweg nicht kannte, dem kann verziehen werden. Ein Kulturschock ausgelöst durch enttäuschte Erwartungen ist viel schwieriger zu heilen.

Stereotype aufdecken, Ängste einordnen

Jockusch schult Unternehmer, Beschäftigte, Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen im Umgang mit Kulturen, die ihnen fremd sind. Er ist der Übersetzer, der Einordner von Stereotypen, von Ängsten und Sorgen. Seit sechs Jahren gibt es sein Unternehmen. Jockusch ist so etwas wie ein Wanderer zwischen den Welten. Er hat evangelische Theologie studiert, kennt sich zudem mit dem Islam aus. Als Offizier der Bundeswehr ging er nach Afghanistan. Am Stützpunkt Masar-i-Sharif war er Mittler zwischen der Bevölkerung, zwischen Vertretern der Wirtschaft, der Politik und den Soldaten.

In einem Großteil seiner Kurse sitzt jeweils nur eine Seite: beispielsweise der deutsche Kundenberater, der Handwerksmeister, der Ausbilder. „Sie wollen wissen, wie sie mit ,den Ausländern’ umgehen sollen", sagt Jockusch. An anderen Kursen nehmen die Migranten teil, die lernen sollen ,sich einzufügen’. „Wenn beide zusammen lernen würden, wäre das viel einfacher.“ Wie beim Thema Arbeitssicherheit sind es meist ganz praktische Probleme, die den Joballtag erschweren. Manche muslimische Frauen dürfen ohne ihren Ehemann nicht von einem Arbeitsort zum anderen fahren. In einem anderen Fall weigerte sich ein Mann aus religiösen Gründen in einem Hotel die Damentoilette zu putzen. Erst nach einem langen Gespräch mit dem Chef nahm er die Arbeit wieder auf.

Je fremder die Kultur, desto mehr Schwierigkeiten werden erwartet. Je näher die Kultur der eigenen ist, mit desto weniger Problemen rechnen die Chefs. Doch Kommunikationsprobleme gibt es in allen Kulturen. Das trifft auf Franzosen, Österreicher oder Spanier, die in Deutschland arbeiten, genauso zu wie auf Syrer, Eritreer oder Afghanen. Stereotype gibt es auf beiden Seiten. Werbung, Unterhaltungsmedien, historische Entwicklungen vermitteln vielen Menschen in ärmeren Ländern: Deutschland sei ein „steinreiches Land“, in dem Pünktlichkeit, Ordnung und Disziplin die wichtigsten Tugenden sind. „Wir brauchen ein neues, ein realistischeres Deutschland-Bild“, sagt Jockusch.

Die Liste der Klischees ist lang: Menschen aus arabischen Ländern lehnen Schwule und Lesben ab, die Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen ist ihnen fremd, auch mit der Freizügigkeit in der Öffentlichkeit haben sie Probleme. Die sind nur einige Stereotype, mit denen Jockusch in deutschen Betrieben immer wieder konfrontiert wird.

Doch entsprechen die Klischees auch der Wahrheit? „Dass arabische Männer grundsätzlich keine Frau in Führungspositionen akzeptieren, ist schlichtweg falsch“, sagt Jockusch. In der arabischen Geschäftswelt gibt es zahlreiche Beispiele für erfolgreiche Frauen, die den Ton in den Firmen angeben. Hinzu kommt: Die Mutter ist das Heiligste in der Familie. „Wenn sich die Frau als ,Mutter der Kompanie’ präsentiert und diese Ansprüche auf ihre Firma übersetzt, wird es an Respekt für ihre Person nicht mangeln“, sagt der Coach.

Sicherheitsexperte Leroux rechnet dagegen mit Problemen beim Thema Gleichberechtigung. Er glaubt, dass es vielen Flüchtlingen schwer fallen könnte, eine Frau als Chefin zu akzeptieren. „Das ist ja immer noch unter vielen deutschen Kollegen schwierig“, sagt Leroux. „Das wird viel ,Erziehung' kosten.“ Aber er ist sich sicher, dass die neuen Mitarbeiter auch diesen Aspekt „lernen“ werden.

„Die Menschen haben ihr eigenes Leben, das Leben ihrer Kinder und ihrer Familie aufs Spiel gesetzt, um hierher zu kommen“, sagt Leroux. „Wenn sie eine Chance bekommen vorerst hierzubleiben, dann werden sie diese ergreifen.“ Die Unterschiede zwischen den Kulturen will er nicht kleinreden, aber viele Probleme würden nur konstruiert. Leroux sorgt sich viel mehr, dass Ängste geschürt werden.

Auf der Arbeit wünschen sich alle Fairness

Ganz gleich ob Manager, Ausbilder, Meister oder Mitarbeiter, sie alle wünschen sich Fairness im Betrieb. Das gilt nicht nur für Lohn und Gehalt, sondern auch für den täglichen Umgang im Job. Für die besondere Lage der Flüchtlinge haben alle Verständnis. Doch eine Bevorzugung soll es nicht geben, empfiehlt Jockusch. Ein Beispiel: Der neue Auszubildende aus Syrien kommt drei Mal eine Viertelstunde zu spät zur Arbeit. Der Werkstattleiter ist alles andere als erfreut, reagiert aber milde. Wahrscheinlich hat der Neue ein anderes Zeitgefühl, mutmaßt der Ausbilder. Verhält sich ein deutscher Azubi ebenso unpünktlich, kassiert er eine Abmahnung. Der versteht die Welt nicht mehr. Warum darf der syrische Kollege zu spät kommen und er nicht?

Es sind Fälle wie diese, die die Hilfsbereitschaft gegenüber den Flüchtlingen schnell kippen lassen können. „Die Betriebe müssen jetzt lernen, die Balance zu wahren“, sagt Wolfgang Jockusch. „Es müssen die gleichen Maßstäbe für alle gelten.“ Ein Patentrezept für diese Ausgewogenheit hat auch Jockusch nicht. „Fairness ist eine Gefühlslage und lässt sich nicht mathematisch berechnen.“

Sind Konflikte überhaupt vermeidbar? „International tätige Unternehmen werden mit den Flüchtlingen keine Probleme haben“, sagt Leroux. „Die Ängste kommen wahrscheinlich eher von den kleinen und mittleren Firmen.“ Er rät den Firmenchefs sich Hilfe zu holen. „Wenn der syrische Kollege am Morgen die Weißwurst nicht mit isst, heißt das nicht, dass er sich nicht an den Arbeitsalltag anpassen will“, sagt Leroux. Viel problematischer findet er Fälle, wenn Menschen mit einem anderen kulturellen Hintergrund Jobs übernehmen sollen, die völlig gegen ihre religiöse Überzeugung verstoßen. Der Muslim, der im Schlachthof Schweine töten muss, wäre so ein Fall. „Das wird vermutlich nicht funktionieren“, sagt Leroux.

Brisanz interkultureller Zusammenstöße

Auch Trainer Jockusch weiß um die Brisanz interkultureller Zusammenstöße. „Die Firmen müssen damit rechnen, dass die Menschen sich erstmal in die deutsche Arbeitskultur einfinden müssen“, sagt er. Viele haben eine lange und gefährliche Reise hinter sich, müssen Deutsch lernen, sich in den Städten zurechtfinden, mit der deutschen Bürokratie klarkommen. Das alles brauche Zeit.

Das meiste lässt sich im direkten Gespräch schnell klären. Allerdings geht es Jockusch nicht um einen „Kuschelkurs“, sondern um eindeutige Positionen, die nicht verhandelbar sind. Dazu gehört auch die Gleichberechtigung von Männern und Frauen, die Akzeptanz für Homosexuelle, die Freizügigkeit. Im Notfall muss der neue Kollege mit einer Abmahnung rechnen oder das Unternehmen sogar verlassen. Das würde jedem deutschen Mitarbeiter genauso gehen, wenn es Probleme gibt.

„Interkulturelle Kompetenz besteht eben nicht nur aus Toleranz“, sagt Trainer Jockusch. „Wir sollten nicht glauben, dass wir uns alle immer super verstehen. Das wäre ein sehr naiver Zugang.“

 - Dieser Text erschien in der Beilage zur Diversity-Konferenz 2015 des Tagesspiegels. Mehr zum Thema Diversity lesen Sie hier. Zur Debatte über die Integration von Flüchtlingen in Deutschland lesen Sie mehr hier.

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