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Christoph Schreiber

© Doris Spiekermann-Klaas

Piano Salon Christophori: Zufällig Kammermusik auf Weltniveau

Es ist eine unscheinbare Halle, in der Christoph Schreiber Konzerte anbietet: Seine Werkstatt in den Uferhallen im Wedding hält auch als Konzertsaal her. Und sie ist immer voll, wohl auch, weil hier mittlerweile weltbekannte Musiker auftreten. So geplant war das ursprünglich aber ganz und gar nicht.

Wenn man den schwarzen, schweren Vorhang zurückschlägt, hat man das Gefühl, man betritt eine andere Welt. Diese andere Welt riecht ein wenig nach Staub. Aber sie ist warm, viel wärmer als der graue, nasskalte Wedding da draußen. Ein riesiges Gebläse erwärmt die Halle. 600 Quadratmeter ist sie groß, und jeder Zentimeter ist vollgestellt. Überall stehen Konzertflügel. Die Füße sind abgebaut, die großen Klangkörper auf die Seite gestellt, wie einsortierte Akten in Reih und Glied an den Wänden. Darauf, daneben, darüber Werkzeuge, Ersatzteile, Krimskrams.

In der Mitte des Raumes stehen Stuhlreihen, die Stühle sind kunterbunt zusammengewürfelt. Auf vielen liegen knallrote Samtkissen. Die Halle wird erhellt von Stehlampen, die so aussehen, als hätten sie gestern noch in Omas guter Stube gestanden. Von den Stahlträgern an der Decke hängen alte Kronleuchter. Und ganz hinten in der Ecke steht ein großes Regal. Darin sind fein säuberlich Schallplatten einsortiert: Verdi, Schubert und Mozart, Mozart, Mozart.

Christoph Schreiber schlängelt sich zwischen den Stuhlreihen hindurch. Er ist Mitte 40, wirkt aber jünger mit seiner schlanken Gestalt und der lässigen Kleidung. Diese Halle ist sein Reich, und alles, was in ihr steht und liegt, sein Schatz. Schreiber sammelt Klaviere und Flügel, um sie in dieser Halle zu reparieren und zu restaurieren. 120 von ihnen hat er bereits angesammelt. "Sammler zu sein ist immer ein Zeichen profunden Wahnsinns", sagt Schreiber und grinst. Wie das eine zum anderen kam, vermag er gar nicht mehr so recht zu sagen. "Wenn man erst einmal 20 hat, dann finden die nächsten 100 ihren Weg ganz automatisch", sagt er. Es sind mittlerweile so viele, dass er längst aufgehört hat, aktiv zu sammeln. Jetzt vergrößern nur noch Schenkungen seine Sammlung.

Viel mehr als schnödes Restaurieren

Schreiber hat sich das Restaurieren selbst beigebracht. Er guckte sich Leute aus, die er interessant fand, und denen ging er so lange auf die Nerven, bis sie ihn lehrten, was er können wollte. Das klingt flapsig, wenn er davon erzählt, doch man merkt, was für eine Herzensangelegenheit das für ihn war. Daraus sind einige Freundschaften entstanden, die er bis heute pflegt.

Das, was er in dieser chaotischen Halle tut, ist für Schreiber aber mehr als schnödes Restaurieren. "Ich erwecke sie wieder zum Leben", sagt er. Bei über hundert Klavieren eine Mammutaufgabe. "Ich bräuchte ein sehr langes Leben dazu...", sagt Schreiber und lässt seinen Blick durch die Halle schweifen.

Seine Reise fing vor 15 Jahren an. Damals hatte er eine kleine Werkstatt in Prenzlauer Berg gemietet, ein Flügel stand darin, an dem er herumschraubte. Die Werkstatt hatte er selbst ausgebaut, und sie war günstig. Dann wurde das Haus verkauft und Schreiber aus seiner Werkstatt vertrieben. Gleich mehrmals musste Schreiber in der Folge umziehen, bis er in der Uferhalle im Wedding Unterschlupf fand. Zu diesem Zeitpunkt füllten die Instrumente und alles drum herum bereits mehrere Lkw. In der Halle im Wedding ist er nun endlich angekommen. Er mietete sie vor ein paar Jahren von Hans-Martin Schmidt, Bauunternehmer und Alt-68er, wie Schreiber sagt. Der gab ihm einen Vertrag über 25 Jahre und damit eine Menge Sicherheit.

"Es ist ein großes Geschenk"

Genauso lange, wie Schreiber bereits an den Instrumenten arbeitet, finden in seiner Werkstatt Konzerte statt. "Das ist Kammermusik auf sehr hohem Niveau", sagt Schreiber. Wo nur wenige Fußminuten entfernt in der Pankstraße orientalischer Imbiss neben Spielhalle neben "Erkan Möbel" ist, da kann man Kammermusik auf Weltniveau in einer vollgerümpelten Halle hören. "Was wir hier machen, ist ein sehr urbanes Phänomen", meint Schreiber. "So etwas wäre in Schleswig-Holstein nicht möglich."

Zu den ersten Konzerten kamen nur ein paar Freunde und Kollegen, heute erreichen die Einladungen bereits Tausende. Nahezu 200 Gäste fasst die Halle, mehr als 180 Konzerte finden im Jahr statt. "Es ist ein großes Geschenk", sagt Schreiber. "Ich kann ohne Rücksicht auf kommerzielle Interessen entscheiden, was gute Musik ist – und der Laden ist trotzdem immer voll." Er ist so wenig kommerziell, dass sich die Konzerte und die Halle kaum selbst tragen. Einmal mussten sogar seine Eltern etwas zuschießen. Und als im letzten Jahr die Betriebskostenabrechnung für die Halle kam, musste er sich kurz setzen. Alles sein zu lassen, daran denkt er trotzdem keine Sekunde.

Eintritt und Getränke auf Spendenbasis

Zu Beginn saßen unbekannte Künstler an Schreibers Flügeln, doch auch das hat sich geändert. Am Abend soll es ein Konzert der Pianistin Beatrice Berrut geben. Sie spielte schon zu Beginn ihrer Karriere bei Schreiber: "Sie ist extrem ausdrucksstark und spielt sehr innig. Ich habe immer gehofft, dass sie Karriere macht." Das hat sie – doch sie ist der vollgestellten Halle treu geblieben. Hier können die Gäste die Künstler atmen hören, so nah sind sie ihnen. "Bei uns hört man nicht einmal Leute husten", sagt Schreiber. "Woanders hat man ja manchmal das Gefühl, die Leute gingen zum Sterben dorthin." Und es gibt keine Garderobiere, die Zuspätkommer abweist. Überhaupt gibt es keinen Dresscode. Wer hier herkommt, kommt wegen der Musik und nicht, um zu sehen und gesehen zu werden. Es kostet nicht einmal Eintritt – hinterher gibt jeder, so viel er möchte. Auch die Getränke sind auf Spendenbasis, das Bier karrt Schreiber selbst mit seinem Fahrradanhänger heran.

Doch es zieht Schreiber auch selbst an die Tasten. Als Kind wollte er Organist werden. Er war gut, aber nicht gut genug – also studierte er Medizin. Das Restaurieren kam dazu, als das Verlangen übermächtig wurde, wieder etwas mit seinen Händen zu machen. Heute arbeitet er den halben Monat im Krankenhaus, die restliche Zeit verbringt er in der Halle. Und eigentlich ist er sogar noch viel mehr als Arzt und Restaurator. "Ich bin auch Impresario, Booking-Agent, Buchhalter, Tontechniker – und Klofrau", sagt er. Und grinst wieder.

Dieses Stück erschien zuerst im Wirtschaftsmagazin "Köpfe" aus dem Tagesspiegel-Verlag, das Sie hier bekommen können: Tagesspiegel Köpfe bestellen

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