zum Hauptinhalt
Frei von jeglichem Moralisieren. Barbara John war die erste Ausländerbeauftragte des Berliner Senats.

© Doris Spiekermann-Klaas

Barbara John wird 80: Die Ersthelferin

In der eigenen Partei war sie die „Türkenbärbel“, Einwanderer nannten sie „große Schwester“. Seit 1981 kümmert sich Barbara John um Migranten in Berlin. Auch mit 80 ist sie mitten im politischen Geschehen.

Wir müssen uns Barbara John als eine recht glückliche Frau vorstellen. Beruflich erfolgreich und unabhängig, weithin bekannt und geschätzt, als Ratgeberin gefragt in ganz Europa. Und: körperlich und geistig voll auf der Höhe. Dass dies eigens betont werden muss, liegt daran, dass die einstige Berliner Ausländerbeauftragte am heutigen Donnerstag ihren 80. Geburtstag feiert.

Aber feiern, ach nee. Irgendwas mit Geburtstagstorte, Blumenstrauß und Bürgermeisterbesuch kommt ihr nicht in den Sinn, und auch das ist schon wieder typisch für eine Frau, die nicht nur keinerlei Aufhebens von ihren Talenten und Erfolgen macht, sondern diese Bescheidenheit auch mit so wenig Koketterie verbindet, wie das überhaupt nur menschenmöglich scheint. „Als ich die ersten Terminanfragen für dieses Datum bekommen habe“, sagt sie, „habe ich natürlich an meinen Geburtstag gedacht. Aber das ist doch albern, irgendeine Feier passt mir einfach nicht in den Plan.“ Nun hat sie am Donnerstag ein paar Termine und arbeitet wie immer, „als Single muss ich da auch keine Rücksicht nehmen“. Die Familie, die die Familie ihres Bruders ist, lebt mit vielen Nichten und Neffen in den USA, „von denen lasse ich mir das auch nicht einreden.“

Die Arbeit kommt zu ihr

80 Jahre alt und die Woche voller Arbeitstage auch bis in den Abend – das wird man ungewöhnlich nennen dürfen. Aber wer mit Barbara John spricht, der spürt dahinter nicht die Verbissenheit einer ehemals Bedeutenden, die sich an der Arbeit festklammert, weil da sonst nichts ist. Reiner Pragmatismus:  „Wir haben heute nun mal eine längere Lebenszeit, und jeder sollte doch so lange arbeiten können, wie er möchte.“

Für sie ist die Arbeit nun mal da, sie kommt anscheinend automatisch zu ihr. Und es macht ihr nach wie vor Freude, sie zu erledigen, 15 Jahre nach der Zwangspensionierung durch den rot-grünen Senat, der befunden hatte, es sei nun aber mal genug mit der ewigen Christdemokratin auf diesem Posten (der dann folgerichtig zügig in der Bedeutungslosigkeit verschwand). Selbst der angestammte Titel „Ausländerbeauftragte“ wurde sofort einkassiert, da der Zeitgeist fortan nur noch von Migranten und Migration zu sprechen wünschte.

Sie ist das Vermächtnis Richard von Weizsäckers

Sie hätte damals, 2003, gern noch zwei Jahre drangehängt, das wären dann fast 25 gewesen. Barbara John war mithin das wohl stabilste Vermächtnis Richard von Weizsäckers aus dessen Zeit als Regierender Bürgermeister. 1981, als alles begann, wirkte die gebürtige Berlinerin als Dozentin in der Lehrerausbildung an der Pädagogischen Hochschule der FU, spezialisiert auf „Deutsch als Zweitsprache“. Vorher hatte sie in Hamburg als Grundschullehrerin gearbeitet und war dann als Luftbrücken-Stipendiatin zum Zweitstudium der Politologie und Bildungsökonomie an die London School of Economics gewechselt, wo sie mit dem Universitäts-Achter rudernd Siege einfuhr.

Barbara John denkt die Dinge seit jeher vom Ergebnis her, mit Herz und Empathie. 1992 spricht sie mit Antragsstellern vor der Asylstelle in Moabit.
Barbara John denkt die Dinge seit jeher vom Ergebnis her, mit Herz und Empathie. 1992 spricht sie mit Antragsstellern vor der Asylstelle in Moabit.

© picture alliance / Paul Glaser

Zurück in Berlin lief dann auch die Parteikarriere an, die sie 1981 ins Abgeordnetenhaus führte. Sehr kurz, denn Weizsäcker sah ihr Mehrfachtalent und machte sie zur Ausländerbeauftragten der Stadt. Als solche war sie die erste Inhaberin dieses Amtes auf Länderebene überhaupt; nur die Bundesregierung besaß so etwas schon, verkörpert durch Heinz Kühn und später Lieselotte Funke. Aber Weizsäcker dachte taktisch, er hatte den innenpolitischen Hardliner Heinrich Lummer im Senat sitzen und meinte, es könne nicht schaden, ihn durch eine betont liberale Parteifreundin an passender Stelle auszubalancieren.

Das Tagesgeschäft der Integration

Und sie begriff recht schnell, dass ein Länderbeauftragter anders als der Bundeskollege nicht in erster Linie für das große Ganze zuständig war, sondern alltägliche Probleme zu lösen hatte, Wohnen, Arbeit, Schule, letztlich das Tagesgeschäft der Integration. Eine Jahrhundertaufgabe nannte sie das, und der Begriff galt zuerst den türkischen Einwanderern und später den Flüchtlingen des Balkankriegs. „Abla“, „große Schwester“ titulierten die türkischen Zeitungen sie lobend; die eigene Partei gab ihr den weniger schmeichelhaften Namen „Türkenbärbel“. Ihr Kommentar: „Also der Vorname, der stimmte ja, so hat mich meine Mutter genannt.“

Mit den Betonköpfen der Berliner CDU der Vorwendezeit bedeutete das: stetigen Kampf. Noch heute erinnert sie sich gut daran, wie damals die Idee aufkam, ein zusätzliches Kindergeld zu zahlen, allerdings nur für Deutsche. Um diesen Plan zu entsorgen, brauchte sie die Rückendeckung Weizsäckers, ging aber auch persönlich keinem Konflikt aus dem Weg, wenn sie dies für nötig hielt. Eine Volkspartei wie die CDU müsse zwingend ein breites Spektrum abdecken, davon war sie überzeugt und warb für ihre Positionen bis in die rechte Ecke, die im Abgeordnetenhaus eine Weile auch von den Republikanern besetzt war. Dass sie sich damit auch kurze Zeit dem Ansinnen eines Parteiausschlussverfahrens aussetzte, ist allerdings Randnotiz geblieben; andererseits hat sie sich nie vorstellen können, zu den Sozialdemokraten zu wechseln, die sie vermutlich gern in ihren Reihen gesehen hätten.

Die Kopftuchdebatte? Völlig absurd

Damals jedenfalls. Denn das Prinzip John lässt sich nur schwer überhaupt mit dem Konformitätsdruck durch Parteigremien und festgefügte Programmatik verbinden. Sie denkt die Dinge vom Ergebnis her, mit Herz und ethisch fundiert, aber auf manchmal fast schroffe Art frei von jeglichem Moralisieren. Sätze wie „Das war ein unmöglicher Zustand!“ oder „Vollkommen überflüssig ist das!“ durchziehen sämtliche bekannten Interviews und provozieren die Inhaber geschlossener Weltbilder häufig aufs Äußerste.

Die Kopftuchdebatte beispielsweise findet sie völlig absurd und akzeptiert ohne Einschränkungen, wenn Muslimas durch die Verhüllung gleichermaßen Schutz suchen und ein Zeichen des Aufbegehrens gegen den Konformitätsdruck der deutschen Gesellschaft setzen wollen. „Ich mache das, um zu zeigen, dass du mich nicht brechen kannst, denken viele“, meint sie, „das sind sicher nicht die Schlechtesten.“ Und wenn man sie ausgrenze, treibe man sie geradewegs in islamistische Gruppen. Das gelte, meint sie, durchaus für Lehrerinnen, die dann natürlich in der Pflicht seien, ihre Position ebenso neutral zu erläutern wie ganz andere, konträre Lebensentwürfe. Andererseits spricht sie sich ohne Einschränkungen für ein Einwanderungsgesetz nach kanadischem Vorbild aus, inklusive Auslagerung der Prüfung von Asylanträgen in die Herkunftsländer, da ist sie näher bei Christian Lindner als bei Angela Merkel.

Sie denkt die Dinge vom Ende her

2014 kommt Barbara John (rechts) mit Angehörigen von NSU-Opfern zur Benennung einer Straße nach dem ermordeten Gemüsehändler Süleyman Tasköprü in Hamburg.
2014 kommt Barbara John (rechts) mit Angehörigen von NSU-Opfern zur Benennung einer Straße nach dem ermordeten Gemüsehändler Süleyman Tasköprü in Hamburg.

© imago/Lars Berg

Ähnlich unsentimental hatte sie sich in die Debatte um die Zukunft der Balkanflüchtlinge nach Ende des Krieges eingemischt: Die seien selbstverständlich in der Pflicht, zurückzukehren und ihre Heimat wieder aufzubauen, sagte sie damals – und tat alles, um dafür in diesen Ländern auch die nötigen Voraussetzungen zu schaffen. Ebenso sachbezogen argumentiert sie in der aktuellen Debatte: Jährlich gebe der deutsche Staat 35 bis 40 Milliarden Euro aus für die Menschen, die im Land sind, aber nur sechs Milliarden für Ursachenbekämpfung und Unterstützung jener Flüchtlinge, die ihr Leben in der Heimat erst einmal gesichert haben. Typischer John-Satz, sachlich, nicht überheblich: „Man kann es wirklich besser machen!“

Auch das leidige Thema des Familiennachzugs betrachtet sie ganz pragmatisch, ohne Furcht vor riesigen Zahlen: „Ich sehe gar nicht, wie überhaupt mehr als tausend Anträge monatlich in den Botschaften verwaltungsmäßig abgearbeitet werden könnten.“ Andererseits schlägt sie vor, Familiennachzug durchaus als Anreiz all jenen Flüchtlingen anzubieten, die sich durch reguläre Arbeit selbst versorgen und keine staatliche Unterstützung brauchen.

"Geld zusammenhalten, das kannste"

Dass Barbara John selbst vieles ganz gut machen kann, schlägt sich in der langen Liste der Ehrenämter nieder, die ihr nach der Pensionierung angetragen wurden. Die Honorarprofessur an der Humboldt-Universität kam schon 2001, dann ging es erst richtig los: Koordinatorin für Sprachförderung bei der Schulverwaltung, Vorsitzende des Expertengremiums für Integrationssprachkurse beim Bundesamt für Migration, Vorsitzende des Paritätischen Wohlfahrtsverbands Berlin, Schirmherrin des Berliner Spendenparlaments, Schirmherrin der Initiative „Show Racism the Red Card“, Mitglied der (später eingeschlafenen) Muslimischen Akademie. Nicht zu vergessen: Tagesspiegel-Kolumnistin.

Und sie ist gerade auch bestätigt worden als Diözesanvorsitzende des Katholischen Frauenbundes – ein Amt, zu dem sie auf John-typische Weise kam: „Die hatten dieses wunderbare Helene-Weber-Haus am Lietzensee, das auf der Kippe stand, 160 Altenwohnungen, das musste gerettet werden, und da dachte ich, ach, Geld zusammenhalten, das kannste.“ Konnte sie, zumal der katholische Glaube Familientradition ist: Ihre Eltern waren, getrennt, in den Zwanziger Jahren aus Oberschlesien nach Berlin gekommen und hatten sich in der katholischen Gemeinde kennengelernt. Glaube und alltäglicher Widerstand: Ihr Vater, der Fackeln – wichtig für die Propaganda – herstellte, bekam das Angebot, vom Wehrdienst verschont zu werden, wenn er der NSDAP beitrete. Doch er lehnte kategorisch ab und wurde in den Krieg geschickt.

Hinterbliebene sollen sich behütet fühlen

Kurz vor Weihnachten 2017 verbrachte Barbara John wieder einige Tage in Straßburg. Dort vertritt sie Deutschland im „European Committee against Racism and Intolerance“ (ECRI), einer Organisation des Europarats, die den Stand der Bemühungen der Länder zu diesem Thema kontrolliert. Die Mitglieder reisen in einer Fünfjahresperiode mehrmals in kleinen Gruppen herum, sehen sich im jeweiligen Europaratsland die Details an und machen Verbesserungsvorschläge.

Die vermutlich wichtigste Aufgabe ihres Lebens nach der Pensionierung begann 2012, als sie Ombudsfrau für die Opfer der Zwickauer Terrorzelle wurde. Diese Aufgabe könnte nun enden, falls im März der Prozess in München endet und das Urteil rechtskräftig wird. Aber Barbara John nimmt an, dass sie unabhängig vom möglichen juristischen Ende auch weiter gefordert ist. „Ich habe gerade jetzt viel damit zu tun“, sagt sie, „dass in den Opferfamilien gesundheitliche Probleme gelöst werden“. Es gebe zahlreiche Spätfolgen der NSU-Anschläge: Ein Mann etwa, der bereits ein Auge verloren habe, kämpfe gegen die völlige Erblindung und benötige nun eine Spezialbehandlung, die wohl mangels anderer staatlicher Unterstützung aus dem Spendentopf finanziert werden müsse.

Andere hätten Probleme mit der Staatsangehörigkeit und sonstigen bürokratischen Hürden. Der Staat könne den Hinterbliebenen die Opfer nicht zurückgeben, aber er müsse dafür sorgen, dass sie sich eingehegt und behütet fühlen: „Ich würde das gern weitermachen, weiß aber noch nicht, wie.“ In ihrem Buch „Unsere Wunden kann die Zeit nicht heilen“ hat sie den Blick auf die Perspektive der Opfer gerichtet.

Die Polizei hat keine Fehlerkultur

Am wichtigsten ist für sie allerdings, dass die Vorurteile in den Köpfen der Ermittler, die Denkfehler und Mängel in der Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden über die Grenzen der Bundesländer hinaus gründlich analysiert werden, damit sich so etwas nicht wiederholt. „Die Polizei hat keine Fehlerkultur“, urteilt Barbara John, „sie will auch nach außen keine einrichten, sondern alles intern lösen.“ Schon in ihrer Londoner Zeit habe sie gelernt, dass das Verhältnis zwischen Polizei und Migranten entscheidend sei für das gesamte Klima des Zusammenlebens – wenn die Polizei Migranten nur als Täter kenne, seien Fehleinschätzungen wie bei den NSU-Morden unausweichlich.

„Ach“, fragt sie dann, „haben Sie den Film „Aus dem Nichts“ schon gesehen?“ Das an die NSU–Morde angelehnte Werk von Fatih Akim, das kürzlich den Golden Globe gewann, bewegt sie gegenwärtig sehr. „Ich ging da mit großen Bedenken rein“, erinnert sie sich, „aber es ist dem Regisseur gelungen, von Anfang an eine bedingungslose Opferperspektive einzunehmen.“ Ihm sei gelungen, zu zeigen, was in den Menschen vorgeht und in welches Unglück sie durch den Terrorismus gestürzt werden, besser, als das jede akkurate TV-Dokumentation vermöge.

80? Nicht irremachen lassen

Der 80.Geburtstag ist für Barbara John allenfalls auf dem Papier eine Zäsur. Sie ist fest entschlossen, sich von der großen Zahl nicht irremachen zu lassen, hat nicht den Hauch eines Plans für den Ruhestand in der Schublade und auch keine Lust auf große Kreuzfahrten oder anderes, was noch so auf dem Kalender einer munteren Pensionärin stehen könnte. Nach dem 18. kommt der 19. Januar und kommen viele weitere Tage. Was dann passieren mag, sieht Barbara John mit ihrer typischen ruhigen Sachlichkeit: „Das wird sich ergeben.“

Zur Startseite