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Fataler Fehler. Otto Warmbier wurde zu 15 Jahren Schwerstarbeit verurteilt, weil er versucht haben soll, ein Propaganda-Banner zu stehlen.

© Jon Chol Jin/dpa

Update

Otto Warmbier: Ein Abenteuer, das als Tragödie endete

Sechs Tage nach seiner Haftentlassung ist der Student Otto Warmbier gestorben. Der Fall macht den Umgang mit Nordkorea zum Topthema in Washington. Weltweit löst er Wut aus – und Ratlosigkeit.

In einem cremefarbenen Jackett tritt Fred Warmbier ans Mikrofon, in dem Jackett, das sein Sohn während seines Schauprozesses in Nordkorea trug. „Das Jackett, in dem er sein Geständnis ablegte“, sagt Fred Warmbier. Es ist der 15. Juni, zwei Tage, nachdem der US-Student Otto Warmbier im Wachkoma aus Nordkorea in seine Heimatstadt Wyoming, einem Vorort von Cincinnati im US-Bundesstaat Ohio, heimgekehrt war. Auf Ottos Gesicht habe sich großes Leid abgezeichnet, sagen seine Eltern, doch nach der Ankunft in Wyoming entspannen sich die Züge. Tief in seinem Innern muss der 22-Jährige gemerkt haben, dass er wieder in der Heimat ist.

Dann stirbt er. Am Montag ist Otto Warmbier im Medizinischen Zentrum der Universität Cincinnati seinen schweren Verletzungen erlegen. „Die schreckliche qualvolle Misshandlung, die unser Sohn in den Händen der Nordkoreaner erdulden musste, hat leider kein anderes als dieses traurige Ende zugelassen“, heißt es in der Erklärung der Familie.

Die Ärzte stellen bei Otto Warmbier erhebliche Hirnverletzungen fest; abgestorbenes Gewebe wie nach einem schweren Schlaganfall zeigen die Bilder der Kernspintomographie. Otto Warmbiers Gehirn muss unter schwerem Sauerstoffmangel gelitten haben, wahrscheinlich als Folge eines Herz- und Atemstillstands – was der Auslöser war, ist nicht bekannt. Eine schnelle Aufklärung ist auch nicht zu erwarten. Auf Wunsch der Eltern werde die Leiche nicht obduziert, teilte die Gerichtsmedizin in Ohio mit.

Die Stimme des Vaters zittert

Ein US-Regierungsvertreter lässt sich mit den Worten zitieren, der junge Amerikaner sei in der Haft in Nordkorea ganz besonders brutal verprügelt und misshandelt worden. In Ohio können die Mediziner keine Spuren von Schlägen feststellen, aber auch keine Hinweise auf eine Lebensmittelvergiftung, die laut dem Regime in Pjöngjang den jungen Mann nach Einnahme einer Schlaftablette ins Koma fallen ließ. US-Medien spekulieren, möglicherweise hätten die Nordkoreaner an Otto Warmbier einen biologischen Kampfstoff ausprobiert.

Was der Student tatsächlich durchmachen musste, wird man vielleicht niemals erfahren. Fest steht, dass Nordkorea Warmbiers Eltern nie über den Zustand ihres Sohnes informiert hatten. „Keine zivilisierte Nation“ tue so etwas einem Menschen und dessen Familie an, sagt Fred Warmbier. Während er eine Stellungnahme von einem Blatt abliest, zittert seine Stimme leicht, doch er hält Trauer und Wut im Zaum. Nur in dem Moment, in dem er das Jackett seines Sohnes beschreibt, bricht seine Stimme, und er muss innehalten. Er fasst sich kurz ans Revers. Dann spricht er weiter.

Fred Warmbier hatte in den vergangenen 17 Monaten angefangen, Souvenirs zu sammeln: ein T-Shirt von der Familienreise nach Hawaii, ein Chicago-Cubs-Trikot nach dem Titelgewinn des Baseballteams im Herbst 2016. Der Vater führte auch Tagebuch. Sein Sohn sollte mitbekommen, was die Familie, Mutter Cindy und die jüngeren Kinder Austin und Greta, erlebt hatten. „Wir vermissen ihn“, sagte Fred Warmbier im Dezember der „Washington Post“, „und wir werden ihn wieder zurückbekommen.“

Vier Tage, drei Nächte und ganz viel Spaß

Otto Warmbier hatte eine Reise hinter sich, die als Abenteuer begann und als Tragödie endete. Auf dem Weg zum Studienaufenthalt in Hongkong wollte der Wirtschaftsstudent einen ganz besonderen Zwischenstopp einlegen: Silvester in Pjöngjang, der Hauptstadt der wahrscheinlich brutalsten Diktatur der Gegenwart.

Vier Tage, drei Nächte und ganz viel Spaß. Das jedenfalls verspricht der in China ansässige Reiseveranstalter, den sich Otto Warmbier für seinen Kurztrip ausgesucht hatte. Young Pioneer Tours wirbt auch nach Warmbiers Tod im Internet mit dem nun mehr als zynisch klingenden Slogan: „Günstige Reisen zu Zielen, von denen sich deine Mutter wünschte, du bliebest ihnen fern.“

Doch für Cindy Warmbier gab es damals keinen Grund, etwas gegen Ottos Reise nach Nordkorea einzuwenden. Die Eltern waren stolz auf ihren Sohn, Kapitän der Schul-Fußballmannschaft, zweitbester Schüler seines High-School-Jahrgangs und Top-Student an der Universität von Virginia. Schon nach drei statt den vorgesehenen vier Jahren hatte er genügend Scheine für das Examen zusammen und außerdem noch einen Aufenthalt an der renommierten London School of Economics hinter sich. Er studierte mit einem Stipendium für besonders Begabte.

„Er ist jemand, der sein ganzes Leben lang nicht in Probleme geraten war“, sagt Cindy Warmbier. Und er kennt das Ausland, neben Europa hatte Otto Warmbier Israel, Ecuador und Kuba bereist.

U-Bahnen und Diktatorenstatuen

Nun also Nordkorea. Touristen übernachten hier in von der Öffentlichkeit abgeschirmten Hotels, essen in ausgesuchten Restaurants, und besuchen zumeist die immer gleichen Ziele wie die U-Bahn von Pjöngjang oder das Großmonument Mansudae mit den Statuen der Diktatoren Kim Il Sung und Kim Jong Il. Auch wer eine Reise zum Pjöngjang-Marathon oder in das neue Skigebiet Masikryong bucht, kommt nicht aus sportlichen Gründen. Er sucht das Abenteuer.

So wie Danny Gratton. Der Brite, Mittvierziger, Verkaufsleiter, gehörte zu der Reisegruppe von Young Pioneer Tours, die Ende Dezember 2015 von Peking nach Pjöngjang geflogen ist. In der chinesischen Hauptstadt lernte er Otto Warmbier kennen. „Als wir nach Pjöngjang kamen, waren wir die einzigen männlichen Singles, so schien es für uns nur logisch, dass wir uns ein Zimmer teilten“, erzählte Danny Gratton der „Washington Post“. „Wir waren im Grund von der Ankunft in Pjöngjang bis zu der Zeit, als ich ihn zurückließ, zusammen.“

Ihre zweite Nacht in Pjöngjang war der Silvestertag. Die Gruppe ging zusammen in die Stadt aus und kehrte zum Feiern und Trinken zurück in das Hotel. In dieser Nacht soll Warmbier nach nordkoreanische Angaben das getan haben, was er in einem einstündigen Schauprozess als „größten Fehler meines Lebens“ bezeichnen sollte und was ihn schließlich sogar das Leben kostete.

„Sie tippten Otto auf die Schulter und führten ihn weg“

Laut Anklage ging Warmbier in einen Personaltrakt des Hotels und versuchte, ein Propagandaplakat von der Wand zu reißen und es mitzunehmen. Ein schemenhaftes Überwachungsvideo, auf dem er nicht genau zu erkennen ist, soll seine Tat beweisen. Gratton hingegen sagt, dass Warmbier nie etwas von einem Plakat erzählt hatte. Außerdem habe er dafür kaum Gelegenheit gehabt, beide hätten die meiste Zeit zusammen verbracht.

Inzwischen werden auch Anschuldigungen gegen Young Pioneer Tours und dessen Reiseleiter laut, die Gefahren in Nordkorea nicht ernst genommen zu haben. So beschreibt der Teilnehmer einer Nordkorea-Reise im Jahr 2013 der Webseite „ConsumerAffairs“ eine ausgesprochene Trink- und Partykultur, die sich auf seinem Trip offenbart hätte. Ein Reiseleiter von Young Pioneer Tours sei „fast die ganze Zeit in Nordkorea vollkommen besoffen gewesen“.

Für Otto Warmbier begann die Tragödie bei der geplanten Ausreise am Morgen des 2. Januar 2016. Warmbier und Gratton kamen leicht verspätet zum Internationalen Flughafen von Pjöngjang, weil das Hotel mysteriöserweise vergessen hatte, sie zu wecken. Nachdem sie ihre Reisepässe überreicht hatten, erschienen zwei Sicherheitsbeamte, die Otto Warmbier in einen abgeschirmten Raum führten. „Es wurde nicht gesprochen, die zwei Wachen kamen nur rüber, tippten Otto auf die Schulter und führten ihn weg“, erzählt Gratton. „Ich sagte nur etwas nervös: Na, das ist wohl das letzte Mal, dass wir dich sehen.“

Donald Trump ruft an

Zweimal erscheint Otto Warmbier danach noch in der Öffentlichkeit. Erst in einem nordkoreanischen Propagandavideo seines Schauprozesses. In diesem gesteht er tränenreich, das Plakat gestohlen zu haben. Mit nach unten hängenden Armen verbeugt er sich tief vor dem Gericht, danach wird er von nordkoreanischen Soldaten in Eilschritten aus dem Saal geschleppt. Das Gericht verurteilte den Amerikaner wegen Straftaten gegen den nordkoreanischen Staat zu 15 Jahren Zwangsarbeit. Das letzte Mal sieht man ihn in der vergangene Woche. Bewusstlos auf einer Trage wird er aus dem Rettungsflugzeug geschleppt.

Am Abend nach Warmbiers Rückkehr nach Wyoming ruft Präsident Donald Trump bei der Familie an und versichert den Eltern, dass er alles Menschenmögliche versucht habe, um ihren Sohn zu retten. Er sei dem Präsidenten dankbar, sagt Fred Warmbier. „Das war ein gutes Gefühl.“

Während der Inhaftierung ihres Sohnes hatten sich die Warmbiers für dessen Freilassung eingesetzt. Sie reisten mehrmals nach Washington, sprachen mit dem damaligen Außenminister John Kerry und Vertretern Schwedens, das in Nordkorea konsularische Aufgaben für die USA übernimmt. Doch alle Versuche waren vergeblich. Auf die Frage, ob Trumps Vorgänger Barack Obama mehr für die Freilassung seines Sohnes hätte tun können, gibt Fred Warmbier eine klare und bittere Antwort: „Ich denke, die Ergebnisse sprechen für sich.“

Kein Platz für parteipolitische Machtspiele

Anhänger Trumps sprechen es offen aus: Obama sei schuld am Tod des Studenten. Die frühere Regierung habe den Warmbiers einen Maulkorb verpasst, aber nichts zur Freilassung des jungen Mannes getan, schreiben sie auf Twitter. Trump dagegen sei es immerhin gelungen, Warmbier nach Hause zu bringen.

Doch für parteipolitische Machtspiele eignet sich das Schicksal des Studenten nicht. Der Fall Otto Warmbier hat den Umgang mit Nordkorea zum außenpolitischen Topthema in Washington gemacht.

Senatoren verurteilen das „barbarische Verhalten“ der Nordkoreaner, die nun einen Mord auf dem Gewissen hätten. „Viele schlimme Dinge sind passiert“, sagt Trump über Pjöngjang. „Es ist ein brutales Regime“, doch die USA seien in der Lage, damit umzugehen. In Wirklichkeit weiß auch der 45. Präsident der Vereinigten Staaten nicht, wie er Pjöngjang gegenüber handeln soll.

Die Raketentests der Nordkoreaner und ihre Pläne für Nuklearwaffen, die mit ihrer Reichweite eine direkte Bedrohung für die USA darstellen, sind ein Problem, das seit dem Amtsantritt des Präsidenten im Januar immer dringlicher wird. Trump hat seine China-feindliche Rhetorik aus dem Wahlkampf gestoppt und lobt die Führung in Peking neuerdings überschwänglich für ihren Einsatz in der Korea-Krise. Er hat sich sogar zu einem Treffen mit Kim Jong Un bereit erklärt.

US-Bürger als Geiseln - zur Zeit sitzen drei Amerikaner in Haft

Doch die Möglichkeiten der Supermacht USA, auf Kim einzuwirken, sind gering. China, der einzige wichtige Partner der Nordkoreaner, ist zwar zur Zusammenarbeit mit den USA bereit, will aber allzu großen Druck auf Pjöngjang vermeiden: Bei einem Kollaps des Regimes würden wahrscheinlich hunderttausende Flüchtlinge nach China strömen. Zudem stünde dann die Wiedervereinigung Koreas unter der Führung des mit dem Westen verbündeten Südkorea an – was nicht Pekings Interessen entspricht.

Warmbiers Schicksal verstärkt nun den Druck auf die Trump-Regierung, etwas gegen Nordkorea zu unternehmen. Im Kongress wird der Ruf nach einem Reiseverbot für Amerikaner nach Nordkorea laut: Das dortige Regime nehme US-Bürger offenbar gezielt als Geiseln, sagt Fred Warmbier. Seit 1996 hat Nordkorea insgesamt 16 US-Bürger festgenommen. Zur Zeit sitzen noch drei Amerikaner in Haft, sie sind ethnische Koreaner und waren keine Touristen. Zwei lehrten an einer privaten Hochschule in Pjöngjang, einer arbeitete in einer Sonderwirtschaftszone. Ihr Schicksal ist weiterhin ungewiss. (mit dpa)

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