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Immer wieder in der Kritik. Peer Steinbrück.

© dpa

Die Wahlkampfbeobachter (25): Der journalistische Reflex

Kaum einer wird so hart von den Medien angegangen wie Peer Steinbrück. Und keiner hat sich so oft darüber beklagt wie der Kanzlerkandidat. Dabei sind sich Journalisten und er im Denken ähnlicher als man annimmt.

Von Hans Monath

Mit keinem anderen Spitzenpolitiker ist die deutsche Presse im vergangenen Jahr härter ins Gericht gegangen als mit Peer Steinbrück, und umgekehrt hat sich kein anderer Politiker in den vergangenen zwölf Monaten so oft und nachdrücklich über die Berichterstattung der deutschen Medien beklagt. Fast in Vergessenheit geraten ist darüber, dass auch die Vertreter anderer Parteien sich häufig darüber beschweren, dass die Journalisten ausgerechnet ihre politische Gruppierung benachteiligen, ihre Leistungen und Erfolge klein reden und ihr so das Leben schwer machen.

Nicht nur der SPD-Kanzlerkandidat und seine Partei stehen angesichts von Umfragewerten weit unter dem ursprünglich angepeilten Ziel von „30 plus x“ im Fokus kritischer Berichterstattung, auch ihre Wunschpartner von den Grünen müssen mit schlechten Schlagzeilen zurechtkommen, seit Demoskopen ein Abbröckeln ihrer Werte gemessen und verkündet haben. Wie aber passt eine kritische Berichterstattung zusammen mit der parteipolitischen Präferenz von vielen Journalisten?

In ihren politischen Überzeugungen unterscheidet sich die Gruppe der Journalisten stark von den Menschen, für die sie schreiben oder senden. Verschiedene Umfragen in den vergangenen Jahren kamen alle zu ähnlichen Ergebnissen: Am meisten Sympathien hegen Politikjournalisten in Deutschland für die Grünen (27 bis 35 Prozent) und für die SPD (15 bis 26 Prozent), so dass nach ihrem Willen in diesem Herbst niemand anderes als Peer Steinbrück Kanzler und niemand anderes als Jürgen Trittin Vizekanzler werden müsste.

Immer montags bis freitags erscheint die Kolumne "Die Wahlkampfbeobachter".
Immer montags bis freitags erscheint die Kolumne "Die Wahlkampfbeobachter".

© Cicero/Daxer

Wie unabhängig können Journalisten sein?

Die beiden Koalitionsparteien Union und FDP kommen gemeinsam nicht einmal auf 20 Prozent und würden, wenn es denn nach den Journalisten ginge, als weitgehend unbedeutende Oppositionsparteien ihr Dasein fristen. Auch für die Linkspartei haben die Medienleute nicht viel Sympathie – sie schneidet schlechter ab als in den Umfragen.

Wie unabhängig können Journalisten sein, die so klare Präferenzen hegen? Wie eigene politische Ziele die Berichterstattung prägen, ist wissenschaftlich bisher nicht nachgewiesen. Zumindest die Wahrnehmung von Vorgängen und Problemen dürfte davon geprägt werden, darin sind sich Politik- und Medienwissenschaftler einig. Andererseits bemüht sich jeder Journalist, der seinen Beruf ernst nimmt und deshalb auch zu Selbstkritik fähig ist, seine Berichterstattung nicht von persönlichen Vorlieben leiten zu lassen, sondern sich an Tatsachen und nachprüfbaren Zusammenhängen zu orientieren. Für die eigene Meinung gibt es ja die Kommentarspalte.

Womöglich spielt im Verhalten der rot-grünen Medienmacht auch ein Phänomen eine Rolle, das sein Entdecker Sigmund Freud einst den „Narzissmus der kleinen Differenz“ nannte. Danach richten sich Aggressionen in Gemeinschaften häufig gerade gegen als ähnlich empfundene Gruppen  und nicht gegen völlig fremde. Auf den Journalismus übertragen hieße dies, dass die Berichterstatter bei Steinbrück und Co. sogar härter und aggressiver nachfragen, weil Grüne und Sozialdemokraten ihnen vom Denken her ähnlicher sind.

Steinbrück äußert sich schon länger kritisch

Schon lange vor seiner Kandidatur hatte sich Steinbrück vor drei Jahren in seinem Buch „Unterm Strich“ kritisch mit dem politischen Journalismus in Deutschland auseinander gesetzt. Getrieben vom Wunsch, auch in Zeiten digitalisierter Beschleunigung mitzuspielen, und unter zunehmendem wirtschaftlichen Druck, so seine stimmige Analyse, erschwerten die Medien politische Entscheidungen durch falsche Skandalisierung und die Missachtung gelungener politischer Prozesse, die sie wegen fehlender Dramatik links liegen ließen.

An Steinbrücks Überzeugungen dürfte sich seitdem wenig verändert haben. Verändert hat sich allerdings seine Funktion: Damals war er Ex-Finanzminister ohne erkennbaren Ehrgeiz, heute ist er Herausforderer der Kanzlerin. Und wenn er – mit oder ohne ausführliche Begründung – kritisch über den Journalismus redet, fühlen sich heute auch viele Journalisten persönlich herausgefordert. Dabei täte auch ihrer Arbeit ein bisschen Reflexion über das eigene Metier gelegentlich ganz gut.

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