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Alpenschutz: Keine neuen Zweitwohnsitze in der Schweiz

Ein 84-jähriger Einzelkämpfer hat es geschafft – eine Mehrheit der Eidgenossen stimmte für seine Initiative gegen die Zersiedlung.

In der Schweiz ist ein Mann in aller Munde – der Umweltaktivist Franz Weber, 84 Jahre alt. Auf seine alten Tage hin hat der eigenwillige Politikerschreck einen ganz großen Coup gelandet. Am Sonntag stimmte eine hauchdünne Mehrheit der Schweizer seiner sogenannten Zweitwohnungsinitiative zu. Auch deutsche Schweizliebhaber dürften die Konsequenzen des Referendums bald zu spüren bekommen. Jetzt steht ein neuer Artikel in der helvetischen Landesverfassung. Es heißt: „Der Anteil von Zweitwohnungen am Gesamtbestand der Wohneinheiten ist auf höchstens 20 Prozent beschränkt.“ Aktivist Weber sieht sich am Ziel: Jahrzehntelang kämpfte er gegen „den Mord an der Landschaft“, er wetterte gegen reiche Ausländer und Spekulanten, die in den schönen Schweizer Alpen ein Chalet neben das andere setzten. Die heile Bergwelt, so unkten Weber und seine Mitstreiter, verkomme durch den „uferlosen Bau von Zweitwohnungen“ zu einem Moloch. Eindrucksvoll schürte Weber die Angst vor diesen Zuständen mit einem Plakat, das überall im Lande prangte: Auf dem berühmtesten Berg der Eidgenossen, dem Matterhorn, drängten sich Häuser, Häuser, Häuser. Nach Bekanntwerden seines Sieges strahlte Weber: „Das ist sensationell – ich bin stolz auf die Schweiz.“

Doch viele Schweizer stöhnen laut auf. Denn die Umsetzung der Weber-Initiative dürfte den Eidgenossen massive Probleme bereiten. „Der Verfassungsartikel strotzt nur so vor Unklarheiten“, schreibt die „Südostschweiz“, die Heimatzeitung des Ferienkantons Graubünden. Es fängt damit an, dass niemand so genau weiß, was als „Zweitwohnung“ zählt – und was nicht. Die Initianten ließen das offen. Selbst die zuständige Umweltministerin Doris Leuthard ist ratlos: „Es ist nirgends definiert, was überhaupt eine Zweitwohnung ist.“ Dennoch: Direkt nach der Abstimmung verkündete Leuthard einen Bewilligungsstopp für alle Gemeinden mit einem Zweitwohnungsanteil von mehr als 20 Prozent.

Aber diejenigen Bauherren, die schon ihre Genehmigung in der Tasche haben, können aufatmen: Sie dürfen ihre neue Bleibe hochziehen – egal ob in St. Moritz, Gstaad oder an den Ufern des Genfer Sees. Da niemand genau weiß, was eine Zweitwohnung ist, soll sich jetzt eine Arbeitsgruppe um eine Definition kümmern. Aus dem Lager der Umweltaktivisten um Franz Weber heißt es, es sollte nur der Bau von selten genutzten privaten Feriendomizilen gestoppt werden, darunter fielen vor allem die Anwesen von Touristen – aus der Schweiz und aus dem Ausland wie Deutschland. Damit will man die „kalten Betten“ loswerden. „Wohnungen, die im Zusammenhang mit einer Arbeitsstelle oder einem Studium genutzt werden, sind von der Initiative ausgenommen“, fordert Vera Weber, Tochter des Aktivisten und dessen rechte Hand. Auch Wohnungen, die mindestens sechs Monate im Jahr an Gäste vermietet werden, sollten nicht unter die neuen Regelungen fallen. Das ist allerdings für die Politiker der alpinen Regionen viel zu hoch gegriffen. Sie fordern die Ausnahme auch für Wohnungen, die nur 120 Tage im Jahr vermietet werden.

Seit Sonntag geht in Ferienorten die Angst um. Sie fürchten, dass die Rechtslage die zahlungskräftige Klientel aus den übrigen Gebieten der Schweiz und aus dem Ausland stark verunsichert. Auch ein anderer Verlierer steht schon fest: Die Baubranche. „Die Folgen des Entscheids werden dramatisch sein“, fürchtet Bauunternehmer Markus Testa aus St. Moritz. Bislang machten Zweitwohnungen die Hälfte seiner Aufträge aus.

Jan Dirk Herbermann

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