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Alles für die Show. Die Karnevalssitzungen sind präzise durchgetaktet. Kommen die Büttenredner mal zu spät, hat das große Auswirkungen.

© dpa

Büttenredner im Karneval: Wo der Spaß aufhört

Büttenredner sind im Karneval für die gute Laune zuständig. Doch das ist harte Arbeit, die einige bis an die Grenzen des Machbaren führt.

Von Katrin Schulze

Lachen ist gesund, das sagen alle. So gesehen haben Büttenredner, die jetzt auf den vielen großen und kleinen Bühnen dieses Landes ihre Show abziehen, alles richtig gemacht, wenn sich die Zuschauer amüsieren, sich krümmen vor Lachen, vor lauter Witz und Wahnsinn. Dabei haben die meisten Jecken im Publikum keine Ahnung, wie viel die lustigen Männer und Frauen dafür wirklich geben. Dass sie wie unter Strom arbeiten, körperlich zum Teil an ihre Grenzen gehen – und einige auch darüber hinaus.

Jupp Menth, der jedes Jahr von November bis Februar zum „Kölsche Schutzmann“ wird, wundert das nicht mehr. Er ist inzwischen 69 Jahre alt und hat miterlebt, wie sich die Karnevalsveranstaltungen immer weiter professionalisiert haben. Vor 24 Jahren bekam er für seinen ersten Auftritt 25 Mark Gage und musste sich bei Minusgraden hinter einer Mülltonne umziehen. Heute zählt Menth zu den Großen seines Fachs, verdient ein Zigfaches und rast von einer Bühne zur anderen.

Manchmal ist er sich nicht sicher, ob ihn sein Fahrer gerade nach Köln, Bonn, Bergisch Gladbach oder wasweißichnichtwo kutschiert, weil es einfach zu viel geworden ist. Bis zu acht Mal schwingt der „Kölsche Schutzmann“ seine Reden – pro Abend wohlgemerkt. In der gesamten Karnevalssaison kommt er auf 120 bis 140 Auftritte. Es soll aber auch Kollegen geben, die es auf ganze 300 gebracht haben. Marc Metzger alias „Dä Blötschkopp“ zum Beispiel, der seinen Job einmal als „Hochleistungssport“ bezeichnet hat und umso tiefer fiel. Jupp Menth spricht von „purer Knochenarbeit, die nicht so leicht an einem abperlt“. Da brauche man sich nur die Leute anschauen, die es nicht schaffen und irgendwann einfach zusammenbrechen.

Tatsächlich haben einige Büttenredner zuletzt ihre Probleme öffentlich gemacht. Marc Metzger, Willibert Pauels, Jürgen Beckers, zählt Jupp Menth auf. Pauels („Ne bergische Jung“) hat ein Buch mit dem Titel „Wenn dir das Lachen vergeht“ herausgebracht, in dem er über seine Depressionen berichtet. Metzger sagte vor drei Jahren alle Termine ab, nachdem er am ersten Tag der Session in voller Montur zu Hause zusammengeklappt war. Die Ärzte diagnostizierten ein Erschöpfungssyndrom. Und Beckers („Ne Hausmann“) musste sich im vergangenen Jahr wegen einer nervösen Belastungsstörung stationär behandeln lassen.

Terminstress mit Folgen

Einzelfälle? Jupp Menth glaubt das nicht. „Das ist nur die Spitze des Eisbergs“, sagt er. Von vielen Krankheiten bekäme die Öffentlichkeit gar nichts mit. „Da wird auf die Bühne gegangen, so lange man noch irgendwie eine Stimme hat.“ Er kennt es ja von sich selbst. Wenn er in seiner gemütlich kölschen Art davon erzählt, mag man es zwar kaum glauben, doch gänzlich entkommt auch Jupp Menth dem Terminstress nicht. Das liegt vor allem an der straffen Taktung. Eine Sitzung ist genau durchgeplant, jeder Redner, jede Kapelle, jede Tanzeinlage. Und auch der Abend von Jupp Menth lässt kaum Fehler zu. Erst 20 Minuten in der Bütt hier, kurzer Transfer, dann 20 Minuten dort. So geht das die ganze Zeit. Frohsinn im Akkord.

Nur zehn Minuten Karenzzeit sind in der Regel mit dem Veranstalter vereinbart, aber selbst diese werde laut Jupp Menth oft nicht eingehalten. Das heißt, wenn er zu spät dran ist, hat er mitunter Pech gehabt und muss Einbußen in Kauf nehmen, mindestens für den einen Auftritt. „Zuspätkommen wird nicht gerne gesehen“, sagt Jupp Menth. „Und wenn man einmal absagt, ist man stigmatisiert.“ Die Crux ist, dass es viele Künstler gibt, die nur zu gerne in seiner Position wären. Die Gagen sind hoch, die Rednerjobs rar. Wer eine Lücke gefunden hat im Kölner Karneval, der sagt keine Veranstaltung mehr ab: So lautet die heimliche Devise.

Zur Not müssen eben Hilfsmittel her. „Ich ernährte mich von Tabletten. Alles, was frei verkäuflich war, habe ich in mich reingefressen in der Illusion, mir etwas Gutes zu tun – Vitamine, Hustenbonbons, Schleimlöser“, sagte Marc Metzger mal in einem Interview mit dem „Stern“. Jupp Menth berichtet außerdem von Ausschweifungen nach den Auftritten: „Da wird geraucht und gesoffen bis zum Umfallen.“ Inzwischen sieht er, der älter ist als die meisten seiner Kollegen, es jemandem an, wenn irgend etwas nicht stimmt. Oft fehle es dann an Lockerheit, sagt Menth. Die Gesichter seien blass und die Leute abgemagert.

Kaum einer kommt los vom Geschäft

Viele Menschen können kaum nachvollziehen, dass die Lacher so heftige Nebenwirkungen mit sich bringen. Wenige Monate Stress für gutes Geld: Wo ist das Problem? Nun, die 20-minütige Show erfordert viel Vorbereitung, viel Selbstdisziplin und viel Sensibilität für die Laune der Menschen, die unterhalten werden wollen. Wenn es dumm läuft, wird der Redner von 1000 Karnevalisten im Saal missachtet oder ausgepfiffen. „Kaum etwas ist schwieriger zu vermitteln als Humor“, sagt Jupp Menth. Marc Metzger drückt es auf seiner Homepage sogar noch drastischer aus: „Es ist harte Arbeit, Verzicht, Schweiß, Recherche, Einsiedlertum, Askese, absolute Selbstbeherrschung, und demütige, fast vollkommen unterwürfige Beobachtung des Weltgeschehens.“

Trotzdem entkommt keiner der Büttenredner dem närrischen Geschäft. Irgendwann kehren sie alle wieder auf die Bühne zurück. Marc Metzger, Willibert Pauels und Jürgen Beckers stehen mittlerweile wieder in der Bütt, sie haben ihr Pensum jedoch deutlich reduziert und ihre Arbeitstage sinnvoller strukturiert. Auch Jupp Menth hatte zwischenzeitlich mal „die Schnauze voll“, wie er sagt. „Doch als ich eine Weile weg war, hat sich das wie eine Krankheit angefühlt.“

Einhundertprozentig gesund ist seine Beziehung zum Karneval immer noch nicht. Er bezeichnet sie eher als „gespalten“. Viele Veranstaltungen findet er inzwischen zu pompös, zu abgehoben, und er sieht in seinem Umfeld, was passieren kann, wenn man es übertreibt. Also versucht es Jupp Menth mit einem sportlichen Ausgleich. Jeden Tag steigt er eine Stunde lang auf seinen Heimtrainer, um den Kopf frei zu bekommen. Es gibt noch mehr im Leben als ein lachendes Publikum. Kein Witz.

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