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Panorama: Der Henker von Nürnberg

Joseph Malta ist ein Mensch mit starkem gestischen Ausdruck. Das Goldkettchen um den Hals und ein dicker Siegelring verraten, dass er eitel ist.

Joseph Malta ist ein Mensch mit starkem gestischen Ausdruck. Das Goldkettchen um den Hals und ein dicker Siegelring verraten, dass er eitel ist. Malta kann pointensicher erzählen und genießt es, seine Zuhörer zu schocken. Er wuchs in einer Kleinstadt nahe Boston auf, als jüngstes von 21 Kindern einer Emigrantenfamilie aus Sizilien. Joe Malta arbeitete als Bodenschleifer, bis er gegen Ende des Zweiten Weltkrieges zur US-Army einberufen wurde. Nach 60 Hinrichtungen kehrte er als Henker aus Nürnberg wieder in die USA zurück. Die letzten Jahre hat er in einem New Yorker Altenheim verbracht.

"Ich bin am 27. November 1918 geboren, und war während des Zweiten Weltkriegs in der US-Army, bei der Militärpolizei. Ich hatte quasi einen "personal job" - ich war Henker, unter anderem bei den Nürnberger Prozessen. Wir haben all die Nazi-Führer in einer Nacht gehenkt, in der Sporthalle im Landsberger Gefängnis. Die Operation begann gegen Mitternacht.

Ich war damals knapp dreißig, und ich wollte diesen Job unbedingt, ich hätte alles dafür getan. Ich wollte diese Nazi-Typen aus unmittelbarer Nähe betrachten, wollte ganz an ihrem Ende dabei sein, sie hängen sehen. Ich hatte ja damals in Deutschland mit eigenen Augen gesehen, was los war. Du gehst herum und begreifst, was wirklich passiert ist. Das machte mir die Sache einfach. Die hungernden Frauen und Kinder auf der Straße. Auf der anderen Seite die Männer, die dafür verantwortlich waren. Deren gerechte Bestrafung wollte ich miterleben. Aber wie konnte ich das tun? Logisch also, dass ich mich für den angebotenen Job meldete.

Bevor ich nach Nürnberg kam, habe ich nicht daran gedacht, dass ich jemals so dicht an die einstigen Größen des Dritten Reichs herankommen würde. Aber als dann Ende November 1945 vor dem Internationalen Militärtribunal der Prozess gegen die deutschen Hauptkriegsverbrecher begann, sah ich sie aus der Nähe: Hermann Göring, Wilhelm Keitel, Rudolf Heß, Arthur Seyß-Inquart, Alfred Jodl, Julius Streicher, Joachim von Ribbentrop und wie sie alle hießen. In der letzten Reihe sitzend, habe ich nur geschaut und zugehört. Ich war Augen- und Ohrenzeuge des Geschehens, sah sie alle vor mir - die Richter, Ankläger und Verteidiger, die vielen Journalisten aus aller Welt, die fast alle hervorragend waren, und dann selbstredend die Angeklagten. Da saßen sie nun, diese einst mächtigen Männer, die die Welt in diesen Wahnsinnskrieg gestürzt hatten, die sich als Übermenschen bezeichnet hatten und sich nun bemühten, selbst im Gerichtssaal noch so aufzutreten. Zumindest brachen die nicht zusammen, weinten nicht, winselten nicht um Gnade.

Wenn ich keinen Dienst hatte, in meiner Freizeit, fuhr ich zu diesen Plätzen (den Konzentrationslagern). Dort sah ich, was die verbrochen hatten. Man konnte noch ausmachen, wo und wie sie acht bis zehn Juden aufgehängt hatten. Und die Leute, die nun in Nürnberg auf der Anklagebank saßen, hatten das befohlen, die hatten die Macht dazu gehabt. Sie waren schuldig. Ich hatte für diese Leute absolut keine Gefühle außer Hass verspürt. Nichts anderes! Falls man mich gelassen hätte, hätte ich sie auf der Stelle mit meinen Händen erwürgen können, ihnen das Genick gebrochen. Ich hätte weder Seil noch Galgen gebraucht, so sehr hat es mich aufgewühlt. Doch wir mussten es nach den Regeln machen. Selbst wenn diese Typen Tiere waren und verdienten, so behandelt zu werden, durfte man es selbst nicht auch sein. Als ich dann den Richterspruch vernahm, dass fast alle zum Tode durch den Strang verurteilt worden waren, hatte ich meine Genugtuung: Zum einen, weil das Erhängen für den Verurteilten die schändlichste Form des Todes ist. Zum anderen dank der Gewissheit, dass ich diese Leute - von Göring über Ribbentrop bis Jodl - nun bald zu Gesicht bekommen würde - auf meine Weise. Im Todestrakt. Sie waren nicht davongekommen!

Göring redete nur, wenn er wollte. Stellte man ihm ansonsten eine Frage, stieß man auf taube Ohren. Aus ihm bekam man nicht viel heraus. Sogar in der Todeszelle benahm er sich noch arrogant, er sagte noch nicht einmal "Guten Morgen". Wenn er etwas sagte, war es oft schmutzig, billiges Gerede, um einen auf die Palme zu bringen. Etwa in der Art: "Ihr Typen wisst nicht, was ihr macht! Ihr wollt uns erhängen. Worauf wartet ihr noch, um uns einzuschläfern? Na los, kommt schon und hängt mich auf!" Göring war auf gut Deutsch ein Hurensohn. Er schaffte es tatsächlich, einen in Rage zu bringen, wir hatten miteinander wahrhaftig einige heiße Gespräche. Andererseits gab er mir gegenüber etwas zu, was er in der Öffentlichkeit nie getan hätte, nämlich, dass sie alle schuldig sind. Fast wörtlich sagte er: "Warum macht ihr euch diese ganze Arbeit mit uns? Nur weil wir ein paar Juden getötet haben?" O Jesus - er sprach von "ein paar Juden"! Aber das waren Millionen! Frauen, Kinder! Warum? Was hatten die ihnen getan? Da benutzte ich das F-Wort, schleuderte ihm das "Fuck" entgegen. Ich war so aufgeregt, dass es mir einfach rausrutschte, ob ich wollte oder nicht, ich konnte mich nicht beherrschen.

Göring war der Härteste

Göring war härter als die anderen. Er ließ sich seinen Willen nicht brechen. Er sagte dann als einziger auch sehr deutlich, dass er das Henkersseil schlagen werde: "Wenn die Zeit kommt, nehme ich mir selbst mein Leben." Wir mussten deshalb mehr Sicherheitspersonal auf ihn ansetzen, ihn besonders bewachen, ständig kontrollieren, dass er nicht Selbstmord begeht. Jeden Tag wurde seine Zelle von Militärpolizisten gründlich auf den Kopf gestellt, auch sein Körper wurde sorgfältig untersucht - Zehen, Ohren, Anus. Nichts! Göring sollte ja der Erste sein, der von uns gehängt wird.

Ich erinnere mich noch gut daran, wie die Wachen losgeschickt wurden, um die Nummer 1 zu holen. Doch als sie in seine Zelle kamen, war er tot. Natürlich waren alle äußerst überrascht. Wir schauten uns fragend an. Wie konnte der sich selbst umbringen? Wir durchsuchten alles, durchstöberten jeden Winkel, kehrten alles von unten nach oben - und fanden nichts. Selbstverständlich waren wir alle enttäuscht und wütend. Das Gericht hatte ihn zum Tode durch den Strang verurteilt, und so sollte es auch laufen. Doch er schlüpfte uns durch die Schlinge. Göring hatte seine Vorankündigung wahrgemacht. Als die Untersuchung in Görings Zelle beendet war, wurde sein Körper herausgeholt und in die Turnhalle gebracht. Neben dem Schafott waren mehrere Holzkisten - keine Särge - schräg an die Wand gestellt. Göring wurde in eine Kiste gelegt, es wurden noch ein paar Fotos gemacht, und dann war alles erledigt.

Die Galgen wurden von Häftlingen gebaut. Zuvor waren wir von Gefängnis zu Gefängnis gegangen, um Leute zu finden, die etwas von diesem Handwerk verstehen. Und im Landsberger Gefängnis fanden wir die besten, der Laden war bekannt dafür, dass sie dort die besten Tischler der Welt hatten. Unter ihnen ein Kerl wie ein Baum. Er saß lebenslänglich wegen Mordes, und ihn machten wir zum Chef. Wirklich ein toller Tischler, wie überhaupt die deutschen Gefangenen gute Arbeit leisteten. Wir erläuterten ihnen, was wir haben wollten, und gaben ihnen eine kleine Skizze. Den Rest erledigten sie selbstständig. Auf ein wichtiges Detail kam es uns dabei besonders an: Denn an den Galgen, an denen wir vorher gearbeitet hatten, stimmte etwas nicht. Wir hatten ein Problem mit der Falltür, die nach dem Amen des Priesters blitzschnell geöffnet wurde und durch die der Verurteilte fiel. Er sackte schlagartig nach unten, schnellte wieder etwas hoch, baumelte am Seil. Dabei passierte es, dass er mehrfach derb mit dem Kopf gegen die beiden Klappen der Falltür stieß. Er blutete wie ein abgeschlachtetes Tier, das war eine große Schweinerei. Aber man hatte sich daran gewöhnt.

Keine Albträume

Der 16. Oktober 1946 war mein größter Tag: Aus dem Weißen Haus in Washington war der Befehl gekommen, die Nazigrößen zu hängen. Eigentlich begann es schon eine Nacht vorher, als erhöhte Sicherheitsstufe angeordnet wurde. Die ganze Nacht und den nächsten Morgen patrouillierten Wachen auf den Gängen und vor den Zellen, gingen die Treppen rauf und runter.

Der erste Gefangene war übergeben worden und wurde von den beiden Wachen Schritt für Schritt zum Galgen geleitet. Als der Todeskandidat da oben stand, wurde ihm nochmals kurz das Urteil beziehungsweise die Urteilsbegründung vorgelesen. Dann wurde er nach seinem Namen und Personalien befragt. Aber kaum einer von denen redete oder antwortete auf die Fragen. Die wenigsten reagierten darauf, einige antworteten trotzig: "Ihr kennt doch meinen Namen!" Andere riefen aufmüpfig "Macht schon Schluss und erhängt mich!" Auf jeden Fall kam bei keinem ein Wort der Reue oder Entschuldigung über die Lippen. Ich weiß nicht, was in deren Kopf vorging. Da war nichts zu machen. Fast alle von denen sagten "Gott schütze Deutschland!", viele auch "Gott segne Adolf Hitler!" Ein paar schlugen zackig die Hacken zusammen und riefen "Heil Hitler!"

Wir machten mit der Hinrichtung am Schafott zwei weiter. Dort die gleiche Prozedur: Der Delinquent, die Nummer 2, wurde in die Halle gebracht, aufs Schafott geführt und gecheckt. Letzte Worte, Hände fesseln, Kapuze, Kopf in die Schlinge und Amen. Die Sache ging schnell.

Als ich den Nazi-Bossen zum ersten Mal begegnete und sie dann exekutierte, dachte ich überhaupt nicht daran, dass ich Geschichte schreibe. Für mich war das einfach nur ein Job, für dessen Erledigung lediglich eine Portion Mut nötig ist. Das war nicht mit irgendwelchen Gefühlen für die verbunden, außer mit Hass. Doch wenn ein Mann genug Hass verspürt, kann er es tun. Ich wünschte, ich hätte sie in Stücke schneiden können. Aber Albträume? Die quälten mich niemals, auch heute nicht. Ich hatte Spaß an dem, was ich tat, habe meinen Job genossen. Und je größer die Tiere waren, die ich tötete, desto besser gefiel es mir. Deshalb würde ich unter den gleichen Bedingungen alles noch einmal machen. Selbstverständlich. Wir haben nichts Falsches getan. O Jesus, ich werde niemals bereuen, was ich in Deutschland getan habe!"

Jens Becker, Gunnar Dedio. De

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