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"Deepwater Horizon": Die Tiefseestörung

Es riecht nicht nach Tankstelle, die Strände sind sauber. Das Öl, das ins Meer sprudelte, als „Deepwater Horizon“ explodierte – an der Küste Floridas können die Menschen es nicht mehr sehen. Oder sie wollen nicht.

Im Meerwasser schaukeln blau schimmernde Quallen, der Strand ist weiß, vollkommen weiß. Pelikane schweben vorbei im Abendlicht, sie sind auf der Suche nach Fischen. Der kleine Ort Navarre Beach im Nordwesten Floridas liegt direkt am Golf von Mexiko. Eine Seebrücke ragt 500 Meter ins Meer hinaus, eröffnet im Juni 2010. Eine paar Menschen stehen dort, manche mit Angel. Als wäre nichts gewesen.

Die Tage, an denen es hier roch wie an einer Tankstelle, sie sind vorbei. Und auch die Tage, an denen nach heftigem Wind Ölschlieren an Hauswänden und auf Gartenstühlen klebten. Es ist Dezember, acht Monate nach der Ölkatastrophe.

Am 20. April 2010 ereignete sich gegen 22 Uhr auf der von BP betriebenen Tiefsee-Bohrinsel „Deepwater Horizon“ ein Unfall. Vermutlich verursacht durch fehlerhafte Materialien und menschliches Versagen. Aus dem Bohrloch 70 Kilometer vor der Küste Floridas schossen unkontrolliert Öl, Schlamm und Methangas auf die Plattform. Das Gemisch fing Feuer und explodierte. Zwei Tage später ging die Ölbohrinsel unter – und mit ihr auch die Hoffnung, die da noch im Bau befindliche Seebrücke von Navarre Beach könnte ein Touristenmagnet werden. Der Ort Navarre wirkt wie eine Geisterstadt. Die auf Stelzen gebauten Strandhäuser sind verschlossen, wenige Autos, eine unheimliche Stille.

Auf dem Pier ist ein Shop, den betreiben Renee Ratliff und ihre Familie. Die Ölkatastrophe hat ihr zwar das Geschäft im Eröffnungsjahr vermiest, das schon, sie hoffe nun auf nächstes Jahr, sagt sie, und hält ansonsten alle Aufregung für übertrieben. Wenn Besucher kämen, sagt sie denen: „Schauen Sie selbst. Da ist nichts. Teerklumpen? Da sind keine.“ Sie esse die Fische und Krabben aus dem Meer, sagt sie, warum nicht? Das Öl sei weg, wohin auch immer, aber möge es dort bleiben. Sie lacht.

20 Meilen weiter westwärts, am Strand von Pensacola, stehen Verbotsschilder und Zäune, dahinter Lastwagen und Bagger. Noch im Dezember sammeln hier Arbeiter für BP die Teerklumpen auf, sie tragen Overalls mit grünen Leuchtwesten, sie sind die „Oilpicker“, Schwarze oder Latinos. Die Bezahlung sei gut, heißt es, 20 bis 30 Dollar die Stunde, Versicherung inklusive. Selber äußern sollen sie sich nicht. Ein Sheriff fängt Neugierige ab. Hier sei niemand, der reden könne, sagt er.

Rund 900 Kilometer Küste sind verschmutzt, neben Nordwest-Florida sind vor allem Louisiana, Alabama und Mississippi durch die Ölpest betroffen. Die Säuberungsarbeiten dauern an. Mitte Dezember reichte die US-Regierung Klage gegen BP und acht andere Firmen ein. BP lehnt die alleinige Schuld ab. Die Katastrophe verursachte dem Konzern einen Verlust von rund 5 Milliarden Dollar. Insgesamt werde das Unglück etwa 41 Milliarden Dollar kosten – das ließ BP bei der Vorstellung der Jahresbilanz am vergangenen Dienstag in London mitteilen. Bereits in den letzten beiden Quartalen 2010 hatte BP aber auch schon wieder Gewinn gemacht.

In Pensacola arbeitet an der Universität von West-Florida Enid Siskin, eine Sozialmedizinerin. Schon 2004 sprach sie vor einem Kongressausschuss zu den Gefahren der Ölbohrungen. Sechs Jahre später geschah, was sie fürchtete.

Bis zur Bohrlochschließung am 6. August flossen rund 780 Millionen Liter Öl in den Golf von Mexiko, dazu sieben Millionen Liter der Chemikalie Corexit, die das Öl auflösen sollte.

Jetzt, Monate nach der Katastrophe, beklagt Siskin – wie andere Wissenschaftler auch – die Kurzsichtigkeit der Menschen, die denken würden, das Ölproblem sei gelöst, weil sie das Öl nicht mehr sehen würden. Vor allem um die Oilpicker sorgt sich die Wissenschaftlerin. „Ich denke, viele der Arbeiter werden erkranken“, sagt sie. Vor allem die flüchtigen Stoffe seien giftig, die könnten in die Haut eindringen und Krebs erregen. Noch gebe es keine Auswertungen, aber es gebe aus Alaska viele Berichte von Menschen, die nach dem Exxon-Valdez-Desaster 1989 unter ähnlichen Bedingungen arbeiteten. Die hätten später über Entzündungen der Mundschleimhaut, Haut-, Augen- und Lungenbeschwerden geklagt.

Und das Öl sei ja nicht weg, nur weil ein Strand wieder blendend weiß daliege. „Das Zeug wird in der Nahrungskette in den nächsten 20 Jahren auftauchen“, sagt Siskin. „Es sind 780 Millionen Liter!“ Und ein Großteil davon könnte noch auf dem Meeresgrund liegen. Es werde sein Gift nach und nach freigeben. „Fische und Krabben fressen diese Moleküle, weil sie sie für Futter halten“, sagt Siskin, dann würden erst vielleicht bestimmte Fischsorten nicht mehr gefangen. Dann würde man immer weniger Schildkröten sehen, dann immer weniger Meeressäugetiere. Und dann einen direkten Zusammenhang zu der BP-Ölkatastrophe herzustellen, werde sehr schwer werden.

Am 23. April vermeldeten die NBC Abendnachrichten, dass Erdöl ins Meer ströme. Täglich 800 000 Liter. Starker Südwind trieb den Ölteppich in Richtung Land. An der Küste zeichnete sich eine Umweltkatastrophe ab.

Anfang Juni scheiterte der Versuch, über dem Bohrloch in fast 1500 Metern Tiefe eine Absaugglocke zu platzieren. Die US-Regierung schätzte, dass täglich bis zu neuneinhalb Millionen Liter Öl auslaufen. BP-Chef Tony Hayward sagte, dass der Golf von Mexiko ein großer Ozean sei und dass „die Folgen des Unglücks für die Umwelt wahrscheinlich sehr, sehr mäßig sein werden“. Die nächste Empörungswelle löste er aus, als er – mitten in der größten Ölkatastrophe in der Geschichte seiner Firma und der USA – einen Segelurlaub antrat.

Mitte Juni erklärte British Petrol, die Schäden auf eigene Kosten beseitigen zu wollen und verkaufte deshalb für 5,5 Milliarden Euro Öl- und Gasfelder in den USA, Kanada und Ägypten.

Am 27. Juli gab BP Chef Tony Hayward seinen Rücktritt bekannt. Den Durchbruch bei den Bohrlochverschließungsarbeiten bekam er nicht mehr mit.

Ende August schätzte die US-Regierung, dass drei Viertel des Öls verschwunden seien. Das löste Widerspruch aus.

Das Wissenschaftsmagazin „Science“ berichtete, dass im Golf in 900 Metern Tiefe riesige Ölteppiche nachgewiesen würden. Und das Forschungs-U-Boot „Alvin“ brach zu einer Tauchfahrt zum Meeresboden auf, von der am 28. November NPR, das National Public Radio, live berichtete. Der Sender hatte sich verbinden lassen mit Forschern, die ungefähr 800 Meter unter der Meeresoberfläche im Macando-Ölfeld in der Nähe der gesunkenen Ölplattform arbeiteten. „Wir sehen überall einen hellbraunen Schleier der auf dem Meeresboden liegt“, meldete von dort unten Radioreporter Richard Harris an die Hörer oben. „Eine braune Färbung, so weit man sehen kann.“

Mit an Bord der „Alvin“ war auch die Meeresbiologin Samantha Joye vom Department of Marine Sciences der Universität Georgia. Sie erzählte von Wasserproben, die sie im September genommen hätten, ferngesteuert. „Da war keinerlei Leben drin. Gar nichts“, sagte sie. Nun, zwei Monate danach, würden sie einige Tiere sehen, aber die wirkten nicht sehr gesund.

Dann kam der Test: Die Forscher beleuchteten den Meeresboden mit UV-Licht. Und? Alles leuchtete grün. Das, sagte Joye, sei der Beweis! Für die Vermutung, für die Gefahr, die von der US-Regierung runtergespielt werde: Der Großteil des Öls ist keineswegs verschwunden, er liegt auf dem Meeresboden.

„Das war NPRs Richard Harris an Bord der Alvin vom Boden des Golfs von Mexiko“, und dann kam wieder Musik.

Mal hingucken, dann schnell weggucken. Vielleicht gibt es keinen anderen Umgang mit Katastrophen. Jedenfalls mit denen nicht, die menschengemacht sind.

Es sind bis heute ungemessene Mengen an Ölmolekülen im Wasser. Hochkonzentriert, so dass sie das Erbmaterial der Fische schädigen. Und die Chemikalien, die ins Wasser geschüttet wurden, um die Fette im Öl aufzulösen, lösen auch die Fette in Fischeiern auf. Alle Organismen, die Eier ausbilden, haben Fett in ihren Keimzellen. Das ist die Nahrung für den Nachwuchs. Dieses System ist gefährdet. Aber auf eine unsichtbare Art. Man sieht es nicht, und wenn man in der Sonne am Strand liegt, scheint nichts weniger gegenwärtig als eine Ökokatastrophe. Und nicht mal diejenigen, die dabei waren, als die große Plattform „Deepwater Horizon“ sank, haben einen grundsätzlichen Schrecken erfahren.

Steve Mullen parkt seinen riesigen Geländewagen wie so oft auf dem Parkplatz vor seinem Stammcafé in Fort Walton, östlich von Navarre Beach gelegen. Mullen bestellt Rührei, Speck und Toast und sagt, dass alle die immer auf die Ölindustrie schimpfen, schon wenn sie die Zahnbürste benutzen, an eines denken sollten: Das sind alles Produkte, die auf Öl basieren. Und das wird auch noch eine Weile so bleiben.

Steve Mullen ist Ende 50, groß, breite Schultern, Jeans und Polohemd. Seit seinem Dienst in der Army arbeitet er für die Ölindustrie, mehr als 30 Jahre, er ist Kapitän auf einem Versorgungsschiff für Bohrinseln. 14 Tage Dienst, 14 Tage frei. Das Schiff von Mullen war nach der Explosion eines der ersten an der Deep Water Horizon.

„Es war geradezu surreal. Diese Bohranlage, zu der wir schon so oft gefahren waren, sah aus wie eine Stadt in Flammen“, sagt Mullen. „Du siehst das Feuer. Und du hörst es und riechst es. Doch du begreifst nicht, was geschieht. Weil du zu tun hast, weil du gegen das Monster ankämpfst.“ Als die Plattform unterging, spürten sie auf dem Versorgungsschiff den Sog. „Als ich hörte, dass elf Menschen umgekommen sind, da begriff ich: Das ist viel mehr als einfach nur eine untergegangene Ölplattform“, sagt Mullen. Über Fische habe er zuerst nicht nachgedacht. Und später hat er sich daran gehalten, dass seine Firma die Natur respektiere und strenge Auflagen befolge. Schon wenn ein Öltropfen ins Meer falle, sagt Mullen, sei jede Menge Papierkram nötig.

Und dort, wo das Öl als schwarze Soße nie ankam, im rund 900 Kilometer ostwärts liegenden Süden Floridas, dort beklagen sie sich über die Hysterie der Medien. Auf Key Largo, zwei Autostunden von Key West entfernt, hat Anya Elis eine Tauchstation für Urlauber. Ihre Kunden sind Deutsche, Spanier und Franzosen. Und die wurden im vergangenen Frühjahr nachhaltig verschreckt durch die Meldungen von der Ölkatastrophe.

Elis schimpft noch immer. „Absolut furchtbar war das!“ Die Medien hätten jedes kleinste angespülte Teerhäufchen am Strand zum Fanal aufgeblasen. Dabei passiere das doch täglich, sagt sie. Aber damals seien die Funde in Zusammenhang mit der größten Ölkatastrophe der Welt gebracht worden und hätten so die Tauchlust getrübt.

Anya Elis, eine kleine, drahtige Frau, kam vor sechs Jahren aus Deutschland nach Florida. Anfangs ging sie nachts kellnern, dann erfüllte sie sich den Traum vom eigenen Tauchshop. Ihr Geschäft lief gut, 200 bis 300 Buchungen im Monat. Seit dem Öl sind es im Schnitt 20 bis 30. Zwei ihrer sechs Mitarbeiter hat sie entlassen müssen. „Und es war nichts“, sagt sie, „wir waren jeden Tag tauchen.“ Nach wie vor sei ja nichts, aber alle hätten unglaubliche Einbußen. Hotels, Fischer, Boote fahren teilweise gar nicht mehr. „Die Leute nagen am Hungertuch, weil das bisschen Business, was um die Jahreszeit normalerweise kommt, das kommt halt dann auch nicht mehr.“

Am Abend in Key West klatschen sie, als die Sonne im Meer versinkt. Wie jeden Abend haben sich ein paar hundert Menschen eingefunden. Am Mallory Square, dem südlichsten Zipfel der USA, wo die Stadt das Meer berührt. Dort wird täglich die „Sunset Celebration“ gefeiert. Im roten Abendlicht bieten Einheimische den Touristen Souvenirs an: selbstgemalte Bilder, Muschelschmuck, aus Palmblättern geflochtene Körbe. Ein Naturschauspiel wird vermarktet. Als wäre nichts gewesen.

Marion Nagel[Florida]

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