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Fatima Ali Bedani mit ihrer kleinen Tochter Hidar, die nicht laufen kann, weil sie unterernährt ist. Mutter und Tochter suchen Hilfe in der Ernährungsambulanz "17. Juli" am Stadtrand von Sanaa.

© Katharina Eglau

Die vergessene Katastrophe des Nahen Osten: Jemen: Hälfte der Bevölkerung hungert

„Zum Frühstück haben wir nichts, zum Mittag bin ich froh, wenn wir meist etwas Reis zusammenbekommen, am Abend je nachdem“: Knapp die Hälfte der Bevölkerung im Jemen hungert. Die Gründe dafür sind vielfältig.

In den Fluren hängen Plakate mit abgemagerten Kindern. Zeichnungen von Gemüse, Obst und Olivenöl werben für gute Ernährung. Seit dem frühen Morgen warten Mütter mit ihren Kleinkindern in den schmalen Fluren. Zwei Stunden im Minibus hat Fatima Ali Bedani bereits hinter sich. Sie stammt aus Al Kaa al Gheidi, ein Flecken in den Bergen, wo hundert Familien in Wellblechhütten und bitterer Armut leben. Ihre Tochter Hidar ist anderthalb Jahre alt und kann nicht laufen, die Beine sind zu schwach. Selbst wenn die Kleine krabbelt, knicken ihr bisweilen die Arme weg. Vier Kinder hat die 22-Jährige bereits zur Welt gebracht, geheiratet hat sie mit 15. Nun ist sie wieder schwanger und hat Angst, dass auch das Ungeborene bereits geschädigt wird. Denn alle daheim hungern. „Zum Frühstück haben wir nichts, zum Mittag bin ich froh, wenn wir meist etwas Reis zusammenbekommen, am Abend je nachdem“, sagt sie. „Wir würden so gerne zivilisiert leben, wie die anderen Menschen.“ Oft könne sie vor Sorgen und Gram nicht schlafen. Ihr Mann arbeitet in einer Fabrik, verdient ein Drittel von dem, was seine große Familie zum Leben bräuchte.

Fatima und ihr Schicksal sind der Normalfall in der Gesundheitsambulanz „17. Juli“ am südlichen Stadtrand von Jemens Hauptstadt Sanaa. Bis zu 130 unterernährte Mädchen und Jungen sowie 200 schwangere Frauen suchen hier pro Tag um Hilfe - 2012 waren es insgesamt 110.000. Nach einer Untersuchung des Welternährungsprogramms (WFP) haben im ganzen Land zehn Millionen Jemeniten nicht genug zu essen, das sind 45 Prozent der Bevölkerung. Fünf Millionen von ihnen leiden akuten Hunger, darunter eine Million Kinder. Anders als Syrien, sagt Barry Came, Vertreter der UN-Hilfsorganisation vor Ort, „ist Jemen die vergessene Katastrophe des Nahen und Mittleren Osten“. Der Zugang zu ihm und den anderen UN-Helfern in der WFP-Zentrale in Sanaa ist mit Betonbarrieren und hohen Mauern gesichert. In den Fensternischen der Büros liegen Sandsäcke geschichtet. Hinter seinem Schreibtisch hängt eine große, farbige Karte mit den zwanzig Provinzen Jemens. Mit ihren 3000 Verteilstellen erreichten die UN-Helfer im vergangenen Jahr fast vier Millionen Bedürftige, die so zumindest die Hälfte ihres täglichen Kaloriebedarfs bekommen.

Die Gründe für die Katastrophe sind vielfältig, die chronische politische Instabilität, die Sicherheitslage, das Vordringen von Al Qaida, militante Separatistenbewegungen, inkompetente Behörden sowie der globale Anstieg der Lebensmittelpreise. Weniger als fünf Prozent des jemenitischen Territoriums sind überhaupt landwirtschaftlich nutzbar – 90 Prozent der Grundnahrungsmittel müssen importiert werden. Denn das Land an der Südspitze der Arabischen Halbinsel kann die schnell wachsende Zahl seiner Einwohner schon lange nicht mehr ökologisch tragen. Gleichzeitig fehlen dem Staat an allen Ecken und Enden die Mittel, um für die Ärmsten seiner Armen zu sorgen. Das Staatsbudget ist mit 7,5 Milliarden Euro gerade mal so hoch wie in Deutschland die Jahreseinnahmen bei den Rundfunkgebühren. Und so rechnen die humanitären Helfer für 2013 mit einem Hilfsbedarf von mindestens 550 Millionen Euro, von denen bisher lediglich ein Fünftel von der internationalen Gemeinschaft zugesagt ist.

„Seit dem Arabischen Frühling kommen die Menschen hellen Scharen“, sagt Jamal Nasr Al Shachtari, ein Mann mit blitzenden Augen und festem Händedruck, der die Gesundheitsambulanz „17. Juli“ vor neun Jahren zusammen mit anderen engagierten Bürgern gründete. Zunächst verteilten die Helfer in Saanas Armenvierteln Mahlzeiten während des Ramadans, dann kauften sie Zelte für eine erste feste Anlaufstelle. 2008 bezogen sie das heutige Klinikgebäude, zwischenzeitlich steuerte auch das Gesundheitsministerium einige Mittel bei, um die vier Ärzte und 15 Schwestern zu bezahlen. Doch inzwischen gehen auch in Al Shachtaris Haus die Vorräte zur Neige, abgesehen von einigen Resten mit abgelaufenem Verfallsdatum. „Mit dieser Hungersnot“, sagt er, „wird Jemen alleine nicht mehr fertig.“

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