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Gammy, der Junge mit Trisomie 21, der von einer thailändischen Leihmutter ausgetragen wurde.

© dpa

Fall Gammy: Trisomie 21 wird immer seltener

Vorgeburtliche Diagnostik führt dazu, dass es immer weniger Kinder mit dem Down-Syndrom gibt. Die Lebenserwartung Betroffener ist in den letzten Jahrzehnten stark gestiegen.

Etwa 40 000 Menschen leben derzeit in Deutschland mit dem „Downsyndrom“ – das der englische Arzt John Longdon Down 1866 erstmals beschrieb. Mit der Wortbedeutung „unten“ hat die Bezeichnung also nichts zu tun.

Heute wird meistens der Begriff Trisomie 21 verwendet. Es sind Menschen mit einem dreifach vorhandenen Chromosom 21. Sie ähneln sich äußerlich zwar in einigen Merkmalen. Man weiß aber heute, dass sie sich wegen unterschiedlicher kognitiver und körperlicher Voraussetzungen und aufgrund unterschiedlich intensiver Förderung sehr verschieden entwickeln können.

Typisch ist, dass die Kinder in ihrer Entwicklung langsamer sind. Dass sie länger brauchen, bis sie laufen können, dass sie zusätzliche Hilfen brauchen, um sprechen zu lernen. Auch, weil sie oft schlechter hören. Heute wird mehr darauf geachtet, dass Kinder mit Schallleitungsstörungen rechtzeitig Hörhilfen bekommen. Dazu kommt gezielte Physiotherapie und Logopädie. Die Förderung trägt Früchte: 30 Prozent der Kinder schaffen einen Schulabschluss, oft – Stichwort Inklusion – in ganz normalen Regelklassen. Die allermeisten Menschen mit einer Trisomie 21 lernen lesen und schreiben, mit dem Rechnen haben sie allerdings oft deutlich mehr Probleme als andere. Schulklassen und andere Gruppen bereichern sie meist mit ihrer sozialen Kompetenz, ihrer Freundlichkeit und Verträglichkeit.

Die größte Veränderung hat sich in den letzten 100 Jahren bei der Lebenserwartung vollzogen. Lag sie im Jahr 1929 noch bei neun Jahren, so nähert sie sich heute den 70 an. Ein wichtiger Grund dafür ist, dass schwere angeborene Herzfehler heute viel erfolgreicher behandelt werden können. Umso wichtiger ist es, dass Menschen mit einer Trisomie 21 nicht als „ewige Kinder“ betrachtet werden, sondern einen für sie passenden Platz im Berufsleben, Möglichkeiten zu selbstständigem Wohnen, für erwachsene Freundschaften und auch Partnerschaften bekommen. Und dass man an die Krankheiten denkt, die sie im Erwachsenenalter stärker bedrohen, von Blutkrebs bis zu vorzeitiger Demenz.

2012 kam ein neuer Test auf den Markt, der ungefährlich ist

Wenn auch die Lebenserwartung gestiegen ist, so hat die Präsenz von Menschen mit Downsyndrom in unserer Gesellschaft doch deutlich abgenommen. Heute kommt nur noch nach weniger als einer von 2000 Schwangerschaften ein Kind damit auf die Welt. Doch die Chromosomenveränderung tritt bei einer von 650 bis 700 Schwangerschaften auf. Mit dem Alter der Mutter steigt das Risiko. Wenn sie bei der vorgeburtlichen Diagnostik von einer Trisomie 21 erfahren, entscheiden sich heute die allermeisten werdenden Eltern für einen Schwangerschaftsabbruch.

Im Jahr 2012 kam ein Bluttest auf den Markt, der im Unterschied zur Fruchtwasserpunktion für Schwangere und Ungeborenes ungefährlich ist. Der „Praena-Test“ spürt Fragmente der DNS des Foetus im Blut der Mutter auf, die Hinweise auf die charakteristischen Veränderungen geben. Seitdem wird heftig über die Konsequenzen diskutiert. Werden die weniger riskanten Tests in Zukunft zu leichtfertig eingesetzt werden? Wird es dann noch weniger selbstverständlich sein, ein Kind mit einer Trisomie 21 in der Familie willkommen zu heißen und großzuziehen?

Vor einigen Jahren ergab eine Studie des Sonderpädagogen Wolfram Lenhard von der Universität Würzburg: Ein Drittel der Eltern von Kindern mit Downsyndrom musste sich schon mindestens einmal die Frage gefallen lassen, ob sie „das“ nicht vorher hätten wissen können. Gegen den Automatismus, der hinter solchen Fragen steckt, kämpfen Organisationen wie die „Stiftung für das behinderte Kind“ seit Jahren vehement. In den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Humangenetik ist festgehalten, dass es keinen Test ohne gründliche vorherige Aufklärung geben darf. Oberstes Prinzip ist, dass die Beratung „nicht direktiv“ und ergebnisoffen erfolgt.

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